Werner Bräuninger: Kühnen. Porträt einer deutschen Karriere

Werner Bräuninger: Kühnen. Porträt einer deutschen Karriere. Die Biographie, Bad Schussenried: Gerhard Hess 2016. 718 S., 39.80 €

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Ein authen­ti­scher Anfüh­rer ist in der Lage, sei­ne Gefolg­schaft dazu zu brin­gen, Unter­ord­nung als Akt der Frei­heit zu begrei­fen. Als eine sol­che Füh­rungs­ge­stalt wur­de im bun­des­deut­schen Neo-Natio­nal­so­zia­lis­mus Micha­el Küh­nen wahr­ge­nom­men. Auch 25 Jah­re nach sei­nem Tod gibt es Strö­mun­gen, in denen der Mythos fort­lebt. Dabei wis­sen weni­ge Nähe­res über Leben und Schaf­fen des selbst­er­klär­ten »revo­lu­tio­nä­ren Natio­nal­so­zia­lis­ten«. Es ist ver­dienst­voll von Wer­ner Bräu­nin­ger, einem Ken­ner der NS-Geschich­te und ihrer Wider­sprü­che, ein Por­trät vor­ge­legt zu haben.

Küh­nen wur­de 1955 in Bonn-Beu­el gebo­ren, besuch­te das »Col­le­gi­um Jose­phinum« und ging nach dem Abitur zur Bun­des­wehr nach Ham­burg. Dort lern­te er Wolf-Die­ter Eck­art ken­nen, einen Hard­li­ner, der »Hit­ler­glau­ben als Reli­gi­on« begriff. Von ihm über­nahm Küh­nen den Fetisch, »J. d. F.« (Jahr des Füh­rers) in Schrift­do­ku­men­ten zu ver­wen­den, um zu signa­li­sie­ren, daß mit dem Geburts­jahr Hit­lers eine neue Zeit­rech­nung begon­nen habe. Küh­nen wirk­te fort­an als Strei­ter für eine Wie­der­zu­las­sung der NSDAPund wur­de aus der Bun­des­wehr aus­ge­sto­ßen. Die gewon­ne­ne Zeit nutz­te er, um ver­schie­de­ne Grup­pen zu grün­den. Küh­nens Wir­ken war gekenn­zeich­net durch Drang nach Akti­on und Selbst­dar­stel­lung; ste­ti­ge Medi­en­prä­senz war das Ziel. Dies gelang zu dem Preis zahl­lo­ser Fest­nah­men und einer Haft­zeit, die er etwa zur Nie­der­schrift sei­nes Pam­phlets Die zwei­te Revo­lu­ti­onnutz­te.

Über die orga­ni­sa­to­ri­schen Ver­su­che Küh­nens, sei­ne Pro­pa­gan­da­fahr­ten und die inter­nen Zer­würf­nis­se inner­halb der damals maxi­mal tau­send Akti­vis­ten umfas­sen­den NS-Sze­ne erfährt man viel. Auch über Küh­nens Tod infol­ge sei­ner AIDS-Erkran­kung im Jah­re 1991 trägt der Autor bis dato Unbe­kann­tes zusam­men. Ohne-hin hat Bräu­nin­ger in einer Fleiß­ar­beit zahl­rei­che Gesprä­che mit Freund und Feind aus Küh­nens kur­zem Leben geführt, um die Bio­gra­phie mit den Mit­teln eineroral histo­ry ver­or­ten zu kön­nen. Auch zum The­men­kom­plex Homo­se­xua­li­tät wird aus­gie­big geschrieben.

Küh­nen erscheint bei Bräu­nin­ger als Ästhet, des­sen Homo­se­xua­li­tät alt­grie­chisch fun­diert sei. Bräu­nin­ger beschreibt, wie Küh­nen die »Kna­ben­lie­be« in sei­nem tem­po­rä­ren Pari­ser Exil mit einem Strich­jun­gen prak­ti­zier­te und schil­dert Küh­nens pseud­ony­me Mit­ar­beit am vul­gä­ren pädo- und homo­se­xu­el­len Organ Gaie France. Die größ­te Lie­be Küh­nens sei übri­gens ein thai­län­di­scher Kna­be gewe­sen, für den er eine Auf­ent­halts­ge­neh­mi­gung zu erstrei­ten ver­such­te, wäh­rend zeit­gleich sei­ne Gefolgs­leu­te die hes­si­sche Stadt Lan­gen »aus­län­der­frei« machen wollten.

Wie paßt das zum ethi­schen Aus­weg eines anti­ken, gleich­ge­schlecht­li­chen Eros? Rela­ti­vie­run­gen die­ser Art sind nicht das ein­zi­ge stö­ren­de Ele­ment in Bräu­nin­gers Werk, das durch­zo­gen ist von unpas­sen­den Ver­glei­chen: Eine aus­ge­ar­te­te Hit­ler­ge­burts­tags­fei­er 1983 wird ver­gli­chen mit lite­ra­ri­schen Aben­den bei Ernst Jün­ger in den Zwan­zi­gern, Aus­sa­gen Küh­nens mit Aus­sa­gen Jün­gers oder Rolf Schil­lings, Küh­nens in Phan­ta­sie­uni­for­men umman­tel­ter Aktio­nis­mus mit Hen­ry de Mon­t­her­lants Nutz­lo­sem Die­nen, Küh­nens HIV-Infi­zie­rung mit Ulrich von Hut­tens Syphi­lis, Küh­nens Tod mit dem­je­ni­gen Bis­marcks, das Todes­al­ter Küh­nens mit einer Bemer­kung Gott­fried Ben­ns, und dann auch noch Küh­nen mit Dutschke.

Über­trof­fen wird die­ses Kurio­si­tä­ten­ka­bi­nett durch Dut­zen­de Ana­lo­gien zu Hit­lers Lebens­weg. Die­se Gleich­nis­se ver­ra­ten mehr über Bräu­nin­gers For­schungs­in­ter­es­sen als über Küh­nens Lebens­werk, zu dem der Autor auch rich­ti­ge Gedan­ken formuliert.

Die Bio­gra­phie räumt mit der Vor­stel­lung Küh­nens als »lin­kem Natio­nal­so­zia­lis­ten« auf. Rich­tig ist viel­mehr, daß Küh­nen weder Schrif­ten von Otto noch von Gre­gor Stras­ser kann­te, geschwei­ge denn von Her­bert Blank oder Richard Schap­ke. Es über­rascht kaum, daß Küh­nens Inhal­te der 1980er Jah­re unend­lich weit hin­ter dem Erkennt­nis­stand blie­ben, den die Genann­ten bereits 50 Jah­re vor­her formulierten.

Küh­nen erdach­te eben kei­nen Natio­nal­so­zia­lis­mus »nach Hit­ler«, son­dern agi­tier­te für eine Kari­ka­tur des­sel­bi­gen unter bun­des­deut­schen Gege­ben­hei­ten; ein Umstand, der nicht leug­net, daß er sich für sei­ne Sache auf­op­fer­te, ein begab­ter Rhe­to­ri­ker war, Medi­en zu nut­zen wuß­te und cha­ris­ma­tisch wirk­te. Es ver­wun­dert nicht, daß die ein­zi­gen intel­lek­tu­el­len Aus­flü­ge, die Küh­nen unter­nahm, nicht inner­halb des eige­nen Milieus von­stat­ten gin­gen, son­dern einer­seits in einem Dia­log mit dem jüdi­schen Links­li­be­ra­len Erich Fried und ande­rer­seits in einer Gast­rol­le in Hans-Diet­rich San­ders Zeit­schrift Staats­brie­fe zu fin­den sind. Es sind dies die stär­ke­ren Abschnit­te in Bräu­nin­gers Stu­die, mit der sich weder Ver­lag (die Auf­ma­chung ist plump, auf Lek­to­rat wur­de ver­zich­tet) noch Autor einen Gefal­len getan haben.

Das Werk ent­mys­ti­fi­ziert Küh­nen als Pro­dukt sei­ner Zeit: inhalt­lich der sprö­de Auf­guß eines ver­bli­che­nen Hit­le­ris­mus, habi­tu­ell die Par­odie der Sturm­ab­tei­lun­gen (SA); sum­ma sum­ma­rum das Zerr­bild einer fun­da­men­tal-oppo­si­tio­nel­len Bewe­gung und das per­fek­te Objekt media­ler Skandalisierung.

 

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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