Die von Willi Baer und dem ehemaligen RAF-Terroristen Karl-Heinz Dellwo herausgegebene Bibliothek des Widerstands ist ein inzwischen auf 32 Bände angewachsenes enzyklopädisches Monumentalwerk zur Geschichte der linken Bewegungen, insbesondere der sechziger und siebziger Jahre. Dem »Verdeckten Bürgerkrieg und Klassenkampf in Italien« widmete der stramm rote Verlag bereits zwei voluminöse und reich bebilderte Bände. Der jüngste Band konzentriert sich auf die Jahre 1967–68, mit einem Schwerpunkt zum Bombenattentat auf der Mailänder Piazza Fontana am 12. Dezember 1969 und seinen Folgen.
Der Anschlag kostete 17 Menschenleben und gilt als Beginn der von italienischen Geheimdiensten, der NATO-»Stay-Behind«-Organisation Gladio und den Strippenziehern der Geheimorganisation Propaganda Due orchestrierten »Strategie der Spannung«. Der Ansturm gegen den Staat durch sich radikalisierende Studenten- und Arbeiterproteste, der Ende der sechziger Jahre seinen Höhepunkt erreichte, sollte neutralisiert werden; um die Stimmung im Land gegen die Roten zu kippen, wurden gezielt terroristische Aktionen unter »falscher Flagge« inszeniert.
So auch in Mailand, wo dem Anarchisten Giuseppe Pinelli die Rolle des »fall guy« zugeschanzt wurde, und zwar buchstäblich: er stürzte unter ungeklärten Umständen aus dem fünften Stock des Polizeipräsidiums. Tatsächlich ging das Attentat auf das Konto der faschistischen Organisation Ordine Nuovo, die sich zum Erfüllungsgehilfen des »Staatsterrors« machen ließ.
Von besonderem Interesse ist hierzu der Beitrag des Historikers Mimmo Franzinelli, der die Verstrickungen zwischen Schwarzhemden und Geheimdiensten beleuchtet. Die Mitglieder des ON waren zum Teil schillernde Figuren: sein Kopf Pino Rauti war ein Anhänger Julius Evolas, Franco Freda eine Art »Nazi-Maoist«, der die extremistischen Kräfte von links und rechts bündeln wollte, um den »Zerfall des Systems« zu beschleunigen, während Mario Merlino antiklerikale und katholische, anarchistische und faschistische Gruppen frequentierte.
Eine Zerrissenheit und Identitätssuche, in der Franzinelli eine generelle Zeitsignatur sieht: »All dies ist schwer verständlich für jemanden, der diese an Erschütterungen reiche Periode, in der es scheint, als müsse die kulturelle und politische Ordnung von heute auf morgen zusammenbrechen, nicht erlebt hat.«
Wie alle Bände der Bibliothek ist auch dieser mit einer DVD-Zugabe ausgestattet, die rare Filmdokumente enthält, darunter ein besonderer Schatz, den der Laika-Verlag zusammen mit der Cineteca di Bologna gehoben hat: Der 12. Dezember (1972) ist ein lange »verschollener« Film, an dem kein Geringerer als Pier Paolo Pasolini maßgeblich beteiligt war. Ausgehend vom Kriminalfall um Pinelli gerät er ansatzweise zu einer Art soziologischen Umschau quer durch Italien, läßt einfache Leute zu Wort kommen. Besonders in diesen Szenen ist die Handschrift des Autors unverkennnbar.
Der Film entstand in Zusammenarbeit mit der linksradikalen Gruppe Lotta Continua (»Ständiger Kampf«), für die Pasolini Sympathien hegte, der er aber wie allen einschlägigen Gruppen dieser Zeit mit solitärer Distanz gegenüberstand. Auch er, der sich von den revolutionären »Illusionen« seiner Jugend bereits verabschiedet hatte, war von der inneren »Zerrissenheit« seiner Epoche geprägt: zur gleichen Zeit wie das in rohem Schwarzweiß gefilmte Dokument drehte er deftige, scheinbar der Politik den Rücken zukehrende Publikumsschlager wie »Decamerone«. Unterdessen wuchs sein Pessimismus, Mailand erschien ihm als das Vorspiel einer wahrhaft »apokalyptischen« Zukunft.
Den 2.Band von Verdeckter Bürgerkrieg und Klassenkampf in Italien von Willi Baer und Karl Heinz Dellwo kann man hier bestellen.