Oft gehört in diesen Monaten: die Klage, daß der Ton rauher geworden sei, gerade im pseudonymen Meinungsaustausch. Ist das feige? Unerklärlich? Wie kommt’s? (Auch) in dieser Hinsicht wirkt dieses Buch erhellend: Siegfried Suckut, langjähriger Abteilungsleiter in der Stasiunterlagenbehörde,hat 45000 Blätter mit Briefen von Bürgern an die DDR-Regierung und ihre medialen Sprachrohre gesichtet.
All diese Schreiben sind Zeugnisse einer gestörten Kommunikation; sie wurden den Adressaten nie zugestellt. Das stilistische Spektrum der Brief-inhalte reicht von primitiven Beleidigungen bis zu elaborierten Ausführungen. Gemein ist ihnen, daß die Schreiber nicht nur das Gefühl hatten, sie würden von ihrer Regierung belogen, schikaniert und manipuliert, sondern: daß die Geschichte sie, die Besorgten und Empörten, letztlich ins Recht setzen werde. 1970 etwa schrieb ein bekennender Antifaschist aus Meißen unter voller Namensnennung an das Zentralkomitee der SED: »Für wie dumm werden eigentlich ›unsere Menschen‹ gehalten. Die merken alles und wissen viel mehr als man denkt.« Der Hochmut der Oberen, das zeigt dieses dicke Buch sehr schön, kommt vor ihrem Fall.
Volkes Stimmen von Siegfried Suckut kann man hier bestellen.