Udo Bermbach: Houston Stewart Chamberlain.

von Siegfried Gerlich --- Udo Bermbach: Houston Stewart Chamberlain. Wagners Schwiegersohn – Hitlers Vordenker, Stuttgart/Weimar: Metzler 2015. 640 S., 39.95 €

Als Ver­fas­ser und Her­aus­ge­ber gewich­ti­ger Stan­dard­wer­ke und Sam­mel­bän­de zu Richard Wag­ner hat der Ham­bur­ger Poli­to­lo­ge Udo Berm­bach in den letz­ten Deka­den ent­schei­dend dazu bei­getra­gen, das Werk des Kom­po­nis­ten von den Alt­las­ten der völ­ki­schen und natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Wir­kungs­ge­schich­te zu befrei­en und des­sen revo­lu­tio­nä­res Kunst­ver­ständ­nis auch für libe­ra­le und lin­ke Zeit­ge­nos­sen zurückzuerobern.

Daß Berm­bach in sei­nem neu­es­ten Werk, einer umfang­rei­chen Bio­gra­phie über Hous­ton Ste­wart Cham­ber­lain, den Ver­such einer sol­chen Ehren­ret­tung unter­nimmt, stellt ein weit grö­ße­res Wag­nis dar, denn nie­mand scheint mit sei­ner Per­son wie mit sei­nem Den­ken so exem­pla­risch für die Kon­ti­nui­tät von Wag­ner zu Hit­ler ein­zu­ste­hen wie die­ser epo­chal wirk­mäch­ti­ge Groß­pu­bli­zist, der schon früh­zei­tig freund­schaft­li­che Bezie­hun­gen zu Cosi­ma Wag­ner pfleg­te, spä­ter dann deren Toch­ter Eva Wag­ner ehe­lich­te und an sei­nem Lebens­en­de im Wag­ne­ria­ner Hit­ler den Ret­ter Deutsch­lands zu erbli­cken glaubte.

Doch wenn der gebür­ti­ge Eng­län­der, der als Gesin­nungs­deut­scher gleich­wohl nie die deut­sche Staats­bür­ger­schaft annahm, nach dem durch­schla­gen­den Erfolg sei­ner Wag­ner-Bio­gra­phie auch zum intel­lek­tu­ell poten­tes­ten Wort­füh­rer des Bay­reu­ther Krei­ses auf­stieg, so wahr­te er dabei stets sei­ne geis­ti­ge Unab­hän­gig­keit, wie sie erst­mals in sei­nem 1899 erschie­ne­nen Haupt­werk Die Grund­la­gen des XX. Jahr­hun­derts zum Vor­schein kam, das in ganz Euro­pa sowie den Ver­ei­nig­ten Staa­ten rasch zum Best­sel­ler wurde.

Sei­nen größ­ten welt­an­schau­li­chen Ein­fluß übte Cham­ber­lain jedoch im Deutsch­land des zwei­ten Kai­ser­rei­ches aus – nicht nur auf adli­ge und bil­dungs­bür­ger­li­che Krei­se, son­dern auch auf den deut­schen Kai­ser selbst, der in ihm sei­nen Meis­ter­den­ker fand. Im übri­gen bezeu­gen sei­ne Bücher über Goe­the und Kant, die sei­ner­zeit die Bewun­de­rung der Fach­welt erreg­ten, daß sich die­ser geis­tig viel­sei­ti­ge und welt­of­fe­ne Den­ker kei­nes­wegs nur als völ­ki­scher und anti­se­mi­ti­scher Mei­nungs­bild­ner pro­fi­lier­te. Infol­ge sei­ner natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ver­ein­nah­mung ist in Ver­ges­sen­heit gera­ten, daß Cham­ber­lain noch als Ver­fech­ter eines »ari­schen Chris­ten­tums« den Akzent auf das Haupt­wort setz­te und zumal in sei­nen letz­ten Schrif­ten einem mys­tisch ver­in­ner­lich­ten und gnos­tisch ent­welt­lich­ten Chris­ten­tum auf der Spur war.

Als nicht genug zu loben­der Vor­zug die­ser dich­ten und rei­chen Werk­bio­gra­phie impo­niert, daß der Autor nir­gends in popu­lär­wis­sen­schaft­li­chen Bio­gra­phis­mus abglei­tet, son­dern sei­nen pro­ble­ma­ti­schen Hel­den als Den­ker ernst nimmt. Theo­re­tisch ambi­tio­niert und mit stu­pen­der Sach­kennt­nis folgt er bis ins Detail Cham­ber­lains Gedan­ken­gän­gen und bie­tet dem Leser kom­pak­te Rekon­struk­tio­nen von des­sen gro­ßen wie klei­nen Wer­ken, nicht ohne die­se in die Debat­ten ihrer Zeit ein­zu­bet­ten und oben­drein mit der aktu­el­len For­schungs­la­ge abzugleichen.

Gegen gän­gi­ge Kli­schees zeich­net Berm­bach so das Por­trait eines natur­wis­sen­schaft­lich wie kul­tur­his­to­risch hoch­ge­bil­de­ten Pri­vat­ge­lehr­ten, der Zeit sei­nes Lebens uner­müd­lich am Stu­die­ren war und auch in sei­nem eige­nen Schaf­fen auf wis­sen­schaft­li­che Genau­ig­keit größ­ten Wert leg­te. Inso­fern nimmt er Cham­ber­lain beim Wort, wenn er sich selbst bei der Erör­te­rung von des­sen Ras­sen­leh­re nicht scheut, die Spreu vom Wei­zen zu tren­nen und deren wis­sen­schaft­lich belast­ba­re Ansät­ze unter ihrer ideo­lo­gi­schen Über­for­mung freizulegen.

Mit wohl­wol­len­der Ambi­va­lenz ent­fal­tet Berm­bach fer­ner Cham­ber­lains inte­gra­ti­ven Begriff des Ger­ma­nen­tums, wel­cher zwar dem des Juden­tums schroff ent­ge­gen­ge­setzt war, dafür aber die Sla­wen und Kel­ten mit­um­faß­te, wodurch jener zumin­dest für den nor­di­schen Mythos und die anti­sla­wis­ti­sche Pro­pa­gan­da der Natio­nal­so­zia­lis­ten unbrauch­bar wur­de. Als ähn­lich schil­lernd erweist sich sein Ras­sen­be­griff, der sich nicht auf Blut­mä­ßi­ges beschränk­te, son­dern immer auch Geis­ti­ges einbezog.

Erklär­ter­ma­ßen woll­te Cham­ber­lain damit den Juden, mit denen er stets respekt­vol­len Umgang pfleg­te, die Mög­lich­keit einer Eman­zi­pa­ti­on von ihrem Juden­tum offen­hal­ten, moch­te des­sen Ras­sen­cha­rak­ter ihm noch so ver­haßt sein. Und was schließ­lich die »Ideen von 1914« betrifft, so such­te Cham­ber­lain den bri­ti­schen Impe­ria­lis­mus mit einer »deut­schen Kul­tur­mis­si­on« zu parie­ren, die sich in kei­ner poli­ti­schen Zwangs­herr­schaft, son­dern einer kul­tu­rel­len Schirm­herr­schaft über Euro­pa erfül­len sollte.

Vor die­sem Hin­ter­grund hält Berm­bach jenen berüch­tig­ten Hul­di­gungs­brief, den der alte Cham­ber­lain an den jun­gen Hit­ler schrieb, für eine durch­aus über­be­wer­te­te Fehl­leis­tung, denn der 1923 bereits schwer an Par­kin­son erkrank­te Meta­po­li­ti­ker war schlicht nicht mehr in der Lage, sich von sei­nem Toten­bett aus mit der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Real­po­li­tik zu befassen.

Es nimmt nicht wun­der, daß Berm­bach sich bereits im Vor­wort sei­nes nicht eben poli­tisch kor­rekt aus­ge­fal­le­nen Wer­kes durch die Erklä­rung abzu­si­chern gesucht hat, er beab­sich­ti­ge kei­nes­wegs eine Reha­bi­li­tie­rung Cham­ber­lains, denn die Revi­si­on, wel­cher er des­sen Lebens- und Denk­weg unter­zo­gen hat, kommt einer sol­chen erstaun­lich nahe.

Udo Bern­bachs Cham­ber­lain-Bio­gra­phie kann man hier bestel­len.

 

 

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