Wolfgang Spindler: Die Politische Theologie Carl Schmitts

Eine Rezension von Felix Dirsch

Wolf­gang Spind­ler: Die Poli­ti­sche Theo­lo­gie Carl Schmitts: Kon­text – Inter­pre­ta­ti­on – Kri­tik, Ham­burg: dis­ser­ta 2015. 124 S., 44.99 €

Rüdi­ger Voigt: Den­ken in Wider­sprü­chen. Carl Schmitt wider den Zeit­geist, Baden-Baden: Nomos 2015. 330 S., 59 €

Sam­mel­be­spre­chun­gen über Carl-Schmitt-Inter­pre­ta­tio­nen kom­men sel­ten ohne die topos­ar­ti­ge Wen­dung »… und kein Ende« aus. Tat­säch­lich ist die Zahl der Titel ufer­los – wenigs­tens, wenn man die welt­wei­te Rezep­ti­on betrach­tet. Der so vehe­ment ver­ehr­te wie hef­tig ver­damm­te juris­ti­sche Tau­send­sas­sa dürf­te selbst so exzel­len­te Gelehr­te wie Mar­tin Heid­eg­ger und Max Weber
hin­sicht­lich der welt­wei­ten Pro­duk­ti­on von Sekun­där­li­te­ra­tur übertreffen.

In einer sol­chen Situa­ti­on steigt die Bedeu­tung von kur­zen, prä­gnan­ten Ein­füh­run­gen und Über­blicks­dar­stel­lun­gen. Eine von ihnen stammt von dem Ordens­geist­li­chen, Juris­ten und Sozi­al­ethi­ker Wolf­gang Spind­ler. Gemäß sei­ner Her­kunft nähert er sich vor allem dem »katho­li­schen« Schmitt der 1920er Jah­re. Von die­sen Publi­ka­tio­nen ragen die Poli­ti­sche Theo­lo­gie (1922) und Der Begriff des Poli­ti­schen (1928) her­aus.

Wel­che Rele­vanz der ers­ten der bei­den Ver­öf­fent­li­chun­gen zukommt, wird dar­an deut­lich, daß fast fünf­zig Jah­re, nach­dem die­se Abhand­lung erschie­nen ist, eine neue Dis­kus­si­on über das The­ma der Struk­tu­raf­fi­ni­tä­ten von Poli­tik und Theo­lo­gie statt­fand. Der Fun­da­men­tal­theo­lo­ge Johann B. Metz pos­tu­lier­te Ende der 1960er Jah­re eine Ent­pri­va­ti­sie­rung des Chris­ten­tums aus lin­ker Per­spek­ti­ve und griff daher den kon­ta­mi­nier­ten Begriff auf. Schmitt war in die­ser Kon­tro­ver­se omni­prä­sent. Mit­tels sei­ner »Poli­ti­schen Theo­lo­gie II« mutier­te er, obwohl bereits über 80 Jah­re alt, vom Über­va­ter zum akti­ven Teilnehmer.

Spind­ler bemüht sich um eine ver­ständ­li­che Deu­tung. Er skiz­ziert den sozio­lo­gi­schen und juris­ti­schen Hin­ter­grund der Sou­ve­rä­ni­täts­leh­re, die in Schmitts bahn­bre­chen­der Mono­gra­phie eine so her­aus­ra­gen­de Rol­le spielt. In einem wei­te­ren Abschnitt ver­deut­licht er den Kon­text der Schmitt­schen Früh­schrif­ten. Es schlie­ßen sich Kom­men­ta­re über die wich­tigs­ten Inter­pre­ta­tio­nen der Poli­ti­schen Theo­lo­gie an. Sum­ma­risch sind die Namen Löwi­th, Beney­to, Böcken­för­de und Kon­dy­lis zu nen­nen. In der letz­ten Pas­sa­ge ver­sucht er selbst, eine kur­ze Syn­the­se vor­zu­le­gen, die die ver­schie­de­nen Sicht­wei­sen des­sen, was unter »Poli­ti­sche Theo­lo­gie« zu ver­ste­hen sei, dar­legt. Spind­lers Über­blick ori­en­tiert sich am Text und ver­mei­det mora­li­sie­ren­de Bemer­kun­gen über die Bio­gra­phie Schmitts – eine Vor­ge­hens­wei­se, die ange­sichts der ver­gan­gen­heits­po­li­ti­schen Bri­sanz des The­mas kei­nes­falls selbst­ver­ständ­lich ist. Ein wich­ti­ges Buch mit einem Nach­teil: Es wird über­teu­ert angeboten.

Zu den­je­ni­gen Exper­ten, die die Zahl der For­schungs­ar­bei­ten über den Plet­ten­ber­ger Rechts­wis­sen­schaft­ler in den letz­ten Jah­ren ver­mehrt haben, zählt der Münch­ner Eme­ri­tus Rüdi­ger Voigt. Nun­mehr hat er sei­ne Bei­trä­ge, die bereits ander­wei­tig erschie­nen sind, in einem geson­der­ten Band herausgebracht.

In der Tat war Schmitt nach 1945 ein Den­ker »wider den Zeit­geist«. Das erklärt sei­ne dau­er­haf­te Iso­lie­rung und zuneh­men­de per­sön­li­che Ver­ein­sa­mung, die auch durch die diver­sen »Gesprä­che in der Sicher­heit des Schwei­gens« höchs­tens unter­bro­chen, aber kei­nes­falls been­det wurden.

Voigts Stu­di­en sind in vier Abschnit­te geglie­dert: Nach der Ein­lei­tung sind drei Auf­sät­ze unter »Grund­la­gen« ein­ge­teilt und jeweils zwei unter »Lega­li­tät ver­sus Legi­ti­mi­tät«, »Staat im Not­stand« und»Nomos der Erde«. Die zum Teil sehr hete­ro­ge­nen Bei­trä­ge zur Schmitt-Exege­se im Ein­zel­nen zu wür­di­gen, über­steigt die Mög­lich­kei­ten des Rezensenten.

Hin­zu­wei­sen ist dar­auf, daß Voigt eini­ge para­dig­ma­ti­sche Topoi Schmitts, etwa die Freund-Feind-Distink­ti­on, im Lich­te gegen­wär­ti­ger Erfah­run­gen aus­legt. Die so umstrit­te­ne Unter­schei­dung war im Kon­text des Poli­ti­schen immer aktu­ell und ist es nach wie vor. So wirkt die Ver­ein­nah­mung sämt­li­cher Staa­ten der west­li­chen Welt als Freun­de, wie man es in Deutsch­land häu­fig antrifft, mehr als lächer­lich. Schon vor der NSA-Affä­re hät­te man wis­sen kön­nen, daß Men­schen Freun­des­ban­de knüp­fen kön­nen, nicht jedoch Staa­ten. Auf die­ser Linie destru­iert Voigt kos­mo­po­li­ti­sche Wunsch­vor­stel­lun­gen, die von pro­mi­nen­ter War­te aus auch der jüngst ver­stor­be­ne Sozio­lo­ge Ulrich Beck ver­tre­ten hat.

Nie ist Schmitts zwin­gen­der Kon­nex von Sou­ve­rä­ni­tät und unab­ding­ba­rer Grenz­zie­hung – im Sinn von: wir und die ande­ren – aktu­el­ler und exis­ten­zi­el­ler gewe­sen als in der unmit­tel­ba­ren Gegen­wart. Vor unse­ren Augen spielt sich eine Desta­bi­li­sie­rung staat­li­cher Insti­tu­tio­nen aller­größ­ten Aus­ma­ßes ab, deren Haupt­grund in einem mas­sen­pa­tho­lo­gisch-nivel­lie­ren­den »Men­schis­mus« (Peter Kunt­ze) aus­zu­ma­chen ist. »Salus huma­ni­ta­tis fiat, pro­pri­um popu­li pere­at«, so lau­tet das Mot­to der der­zei­ti­gen euro­päi­schen Poli­tik. Ange­sichts die­ser Lage muß man es nicht bedau­ern, daß Feind­schaft – in wohl­be­stimm­ter Hin­sicht jeden­falls – aus dem Leben der Men­schen nicht weg­zu­den­ken sei. Als Wider­la­ger gegen einen zer­stö­re­ri­schen Huma­ni­ta­ris­mus erfüllt sie einen pro­duk­ti­ven Zweck – zumin­dest in gewis­sen Grenzen.

Die Poli­ti­sche Theo­lo­gie Carl Schmitts von Wolf­gang Spind­ler und Den­ken in Wider­sprü­chen. Carl Schmitt wider den Zeit­geist von Rüdi­ger Voigt kann man jeweils hier bestel­len.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)