Vor knapp hundert Jahren hatte der Name Viktoria Savs einige Prominenz. Da kämpfte die Sechzehnjährige an der k.u.k.-Front gegen Italien. In der (auch überregionalen) Presse wurde sie als »Heldenmädchen« bejubelt. Zu jener archetypischen wie andererseits außergewöhnlichen Heroinen-Kategorie gehörte in den Jahren 1914–18 eine Handvoll stürmischer Weibsbilder.
Frank Gerbert stellt dar, wie diese patriotischen Kämpferinnen von der eigenen Seite als Redivivae einer Heiligen Johanna gefeiert wurden, während die Gegner sie als Flintenweiber, als lächerliche oder hinterhältige Kombattantinnen brandmarkten. Den Lebensweg der Savs, geboren 1890, hat Gerbert unter Hinzuziehung entlegenster Quellen nachvollzogen – eine Akribie, die in jeder Hinsicht erschöpfend ist. Ein rigides Zusammendampfen auf die Hälfte des Umfangs hätte das Resultat gehoben.
Die Savs kam in Bad Reichenhall zu Welt, später zieht der Vater mit seinen Töchtern (die Mutter ist wohl dem Alkohol verfallen, man lebt getrennt, später wird Viktorias Vater eine sehr viel jüngere Frau nehmen) nach Arch/Arco in Süd-tirol. Nachdem Viktoria (eigentlich mit c geschrieben; Gerberts Vermutung: V. wollte es »deutscher« und»härter«) bereits 1914 dem Papa in den Krieg hinterherziehen will und aufgrund ihres Alters abgewiesen wird, darf sie dann noch vor ihrem sechzehnten Geburtstag dienen: als Schanzerin, Tragtierführerin, Offiziersdienerin im Ingenieurskorps.
Diese ersten der achtzehn schmalen Kapitel lesen sich gut. Mangels Selbstzeugnissen der Savs schöpft Gerbert vor allem aus dem (erkanntermaßen panegyrischen) NS-Schriftgut. Ein interessantes Muster zieht sich über Jahrzehnte durch die Heldenmädchen-Rezeption: Während die Tapfere mit Orden behängt und von der Presse umjubelt wird, reagieren die männlichen Mitkämpfer mürrisch: Mit solcher Lobhudelei sollten wohl dem »Volk Märchen aufgebunden« werden! »Während wir an der Front schweren Dienst leisteten«, habe die Viktoria doch nur gedient und serviert.
Wie auch immer: Nach zwei Jahren an der Tiroler Front wird die Savs verwundet, sie verliert einen Fuß. Als Invalidin ohne Invalidenrente, ja ohne Staatszugehörigkeit (der Sozialdemokrat Karl Renner soll auf ihr Gesuch mitteilen haben lassen, dies sei nicht »im Interesse des österreichischen Volkes«) lebt sie einige Jahre in Wien. Erst 1933, dem Jahr ihres Eintritts in die NSDAP lassen sich wieder sichere Spuren ihres Lebens finden, sie lebt abwechselnd in Innsbruck, Schwerin, Baiersbronn, Berlin und Salzburg.
Im zweiten Weltkrieg arbeitet die unverheiratet Gebliebene (von ihrer noch lebenden Halbschwester als »närrisch und aggressiv« beschrieben) als Wehrmachtsangestellte in Belgrad, zum Kriegsende agiert sie als Blockwart in Salzburg. 1979, so schrieb eine Zeitung, hat die Savs »die Welt, von der sie keine gute Meinung hatte, für immer verlassen,« es gab eine Art Staatsbegräbnis. Da Leben und Wirken des Heldenmädchens nicht mehr als eine winzige Anekdote der Weltgeschichte hergeben, bläht ihr Biograph erstens ihre Geschichte als »Hitlers Gehilfin« auf, zweitens nimmt er Viktorias Unterwäsche unter die Lupe, um sie aus dem Fenster zu hängen – Dessous, die wohlgemerkt imaginär sind.
Die Nationalsozialisten haben der von ihrem eigenen Staat vernachlässigten Patriotin eine Fußprothese geschenkt, sie war Parteimitglied von niederrangiger Prominenz. Gerbert hat nun Photos entdeckt, wo die Savs den »Vergasern blöde zulächelt«. Bezüglich der betreffenden Ära dreht der Autor, als wäre das erforderlich, auf: Ein Zitat aus der NS-Presse wird als »brauner Schleim« kenntlich gemacht, ein »Obernazi«, die bekannte »bösartige Bestie«, tritt auf – überhaupt wollte der Biograph hinschmeißen, als ihm die Verstrickungen dieser »Komplizin der Mörder« klargeworden seien.
Gerberts Sensibilität schwindet, wo es um die (gemutmaßte) Sexualität der Savs geht. Sie ist nicht etwa ein ungestümer Wildfang, der zur androgynen Frau mit überschießendem Elan heranwächst; nein, sie wird hier zum »Transgender-Menschen«, zum »coolen tomboy« und später zur alternden »butch« gemacht, die »ziemlich sicher lesbisch empfunden hat«. Ein eher unbedarftes Zwischenfazit des Autors trifft es ganz gut: Er könne der Bemerkung, Viktoria habe »für ein Weib ungewöhnlichen Mut bewiesen, nur zustimmen. Heute würde man den Satz aber nicht so herablassend formulieren.«
Frank Gerberts Die Kriege der Viktoria Savs kann man hier bestellen.