Frank Gerbert: Die Kriege der Viktoria Savs.

Frank Gerbert: Die Kriege der Viktoria Savs. Von der Frontsoldatin zu Hitlers Gehilfin, Wien: Kremayr & Scheriau. 190 S., 22 €

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Vor knapp hun­dert Jah­ren hat­te der Name Vik­to­ria Savs eini­ge Pro­mi­nenz. Da kämpf­te die Sech­zehn­jäh­ri­ge an der k.u.k.-Front gegen Ita­li­en. In der (auch über­re­gio­na­len) Pres­se wur­de sie als »Hel­den­mäd­chen« beju­belt. Zu jener arche­ty­pi­schen wie ande­rer­seits außer­ge­wöhn­li­chen Hero­inen-Kate­go­rie gehör­te in den Jah­ren 1914–18 eine Hand­voll stür­mi­scher Weibsbilder.

Frank Ger­bert stellt dar, wie die­se patrio­ti­schen Kämp­fe­rin­nen von der eige­nen Sei­te als Redi­viv­ae einer Hei­li­gen Johan­na gefei­ert wur­den, wäh­rend die Geg­ner sie als Flin­ten­wei­ber, als lächer­li­che oder hin­ter­häl­ti­ge Kom­bat­tan­tin­nen brand­mark­ten. Den Lebens­weg der Savs, gebo­ren 1890, hat Ger­bert unter Hin­zu­zie­hung ent­le­gens­ter Quel­len nach­voll­zo­gen – eine Akri­bie, die in jeder Hin­sicht erschöp­fend ist. Ein rigi­des Zusam­men­damp­fen auf die Hälf­te des Umfangs hät­te das Resul­tat gehoben.

Die Savs kam in Bad Rei­chen­hall zu Welt, spä­ter zieht der Vater mit sei­nen Töch­tern (die Mut­ter ist wohl dem Alko­hol ver­fal­len, man lebt getrennt, spä­ter wird Vik­to­ri­as Vater eine sehr viel jün­ge­re Frau neh­men) nach Arch/Arco in Süd-tirol. Nach­dem Vik­to­ria (eigent­lich mit c geschrie­ben; Ger­berts Ver­mu­tung: V. woll­te es »deut­scher« und»härter«) bereits 1914 dem Papa in den Krieg hin­ter­her­zie­hen will und auf­grund ihres Alters abge­wie­sen wird, darf sie dann noch vor ihrem sech­zehn­ten Geburts­tag die­nen: als Schan­ze­rin, Trag­tier­füh­re­rin, Offi­ziers­die­ne­rin im Ingenieurskorps.

Die­se ers­ten der acht­zehn schma­len Kapi­tel lesen sich gut. Man­gels Selbst­zeug­nis­sen der Savs schöpft Ger­bert vor allem aus dem (erkann­ter­ma­ßen panegy­ri­schen) NS-Schrift­gut. Ein inter­es­san­tes Mus­ter zieht sich über Jahr­zehn­te durch die Hel­den­mäd­chen-Rezep­ti­on: Wäh­rend die Tap­fe­re mit Orden behängt und von der Pres­se umju­belt wird, reagie­ren die männ­li­chen Mit­kämp­fer mür­risch: Mit sol­cher Lob­hu­de­lei soll­ten wohl dem »Volk Mär­chen auf­ge­bun­den« wer­den! »Wäh­rend wir an der Front schwe­ren Dienst leis­te­ten«, habe die Vik­to­ria doch nur gedient und serviert.

Wie auch immer: Nach zwei Jah­ren an der Tiro­ler Front wird die Savs ver­wun­det, sie ver­liert einen Fuß. Als Inva­li­din ohne Inva­li­den­ren­te, ja ohne Staats­zu­ge­hö­rig­keit (der Sozi­al­de­mo­krat Karl Ren­ner soll auf ihr Gesuch mit­tei­len haben las­sen, dies sei nicht »im Inter­es­se des öster­rei­chi­schen Vol­kes«) lebt sie eini­ge Jah­re in Wien. Erst 1933, dem Jahr ihres Ein­tritts in die NSDAP las­sen sich wie­der siche­re Spu­ren ihres Lebens fin­den, sie lebt abwech­selnd in Inns­bruck, Schwe­rin, Bai­er­s­bronn, Ber­lin und Salzburg.

Im zwei­ten Welt­krieg arbei­tet die unver­hei­ra­tet Geblie­be­ne (von ihrer noch leben­den Halb­schwes­ter als »när­risch und aggres­siv« beschrie­ben) als Wehr­machts­an­ge­stell­te in Bel­grad, zum Kriegs­en­de agiert sie als Block­wart in Salz­burg. 1979, so schrieb eine Zei­tung, hat die Savs »die Welt, von der sie kei­ne gute Mei­nung hat­te, für immer ver­las­sen,« es gab eine Art Staats­be­gräb­nis. Da Leben und Wir­ken des Hel­den­mäd­chens nicht mehr als eine win­zi­ge Anek­do­te der Welt­ge­schich­te her­ge­ben, bläht ihr Bio­graph ers­tens ihre Geschich­te als »Hit­lers Gehil­fin« auf, zwei­tens nimmt er Vik­to­ri­as Unter­wä­sche unter die Lupe, um sie aus dem Fens­ter zu hän­gen – Des­sous, die wohl­ge­merkt ima­gi­när sind.

Die Natio­nal­so­zia­lis­ten haben der von ihrem eige­nen Staat ver­nach­läs­sig­ten Patrio­tin eine Fuß­pro­the­se geschenkt, sie war Par­tei­mit­glied von nie­der­ran­gi­ger Pro­mi­nenz. Ger­bert hat nun Pho­tos ent­deckt, wo die Savs den »Ver­ga­sern blö­de zulä­chelt«. Bezüg­lich der betref­fen­den Ära dreht der Autor, als wäre das erfor­der­lich, auf: Ein Zitat aus der NS-Pres­se wird als »brau­ner Schleim« kennt­lich gemacht, ein »Ober­na­zi«, die bekann­te »bös­ar­ti­ge Bes­tie«, tritt auf – über­haupt woll­te der Bio­graph hin­schmei­ßen, als ihm die Ver­stri­ckun­gen die­ser »Kom­pli­zin der Mör­der« klar­ge­wor­den seien.

Ger­berts Sen­si­bi­li­tät schwin­det, wo es um die (gemut­maß­te) Sexua­li­tät der Savs geht. Sie ist nicht etwa ein unge­stü­mer Wild­fang, der zur andro­gy­nen Frau mit über­schie­ßen­dem Elan her­an­wächst; nein, sie wird hier zum »Trans­gen­der-Men­schen«, zum »coo­len tom­boy« und spä­ter zur altern­den »butch« gemacht, die »ziem­lich sicher les­bisch emp­fun­den hat«. Ein eher unbe­darf­tes Zwi­schen­fa­zit des Autors trifft es ganz gut: Er kön­ne der Bemer­kung, Vik­to­ria habe »für ein Weib unge­wöhn­li­chen Mut bewie­sen, nur zustim­men. Heu­te wür­de man den Satz aber nicht so her­ab­las­send formulieren.«

Frank Ger­berts Die Krie­ge der Vik­to­ria Savs kann man hier bestel­len.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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