Bettina Gruber, Rolf Parr (Hrsg.): Linker Kitsch. Bekenntnisse – Ikonen – Gesamtkunstwerke, Paderborn: Wilhelm Fink 2015. 198 S., 29.90 €
»Kitsch« ist ein schwer eingrenzbarer Gummibegriff. Er bezeichnet einerseits eine ins allzu lieblich-harmonische abgleitende Ästhetik des Schönen, andererseits auch die Überreizung der Ästhetik des Erhabenen, die sich zu lächerlichen pathetischen Gesten steigern kann. Er ist zudem das Produkt eines kulturellen Gegensatzes. Was dem einen eine Ikone, ein Bekenntnis, ein Zeichen seiner Zuneigung zu einem höheren Ganzen ist, erscheint dem anderen fremd. Von den Anbetungsobjekten des Ersten belustigt oder angewidert, belegt der Zweite jene mit dem Begriff »Kitsch«.
Da der bundesdeutsche Zeitgeist seit Jahrzehnten links gepolt ist, widmete sich die »Kitsch«-Forschung folgerichtig vorrangig jenen Ritualen und Devotionalien, über die sich der aufgeklärte Linksintellektuelle zu echauffieren pflegt. Die Spannbreite reicht vom Ölbild des röhrenden Hirsches als Sinnbild des »deutschen Spießers« bis zur NS-Kunst.
Den Blick auf die andere Seite richtet nun ein Sammelband mit Beiträgen einer an der TU Dresden veranstalteten Tagung zum Thema »Linker Kitsch«. Erhellend führt das Herausgeberpaar in die linke Gefühlswelt ein. Der Wunsch nach einem »posthistorischen Heilszustand«, mindestens aber einer »weltumspannenden Gleichheit« sei die Grundlage »nahezu aller linker Politik-Entwürfe«. Da diese »Gleichheit« nicht abschließend realisiert werden könne, böte sich für Linke permanent Gelegenheit für »pathetische Gesten des An- und Einklagens, die dann auch ein reiches Kitschpotential bereithalten«. Zum »Klage- und Forderungspathos« geselle sich »die Dramatisierung der Revolution als universalhistorische Zeitenwende«. Die immer gleiche linke Großerzählung lasse sich mit der christlichen Passionsgeschichte vergleichen.
Zwei Beiträge stechen heraus. Die Literaturwissenschaftlerin
Bettina Gruber arbeitet den Unterschied zwischen linkem und rechtem Denken heraus. Während man rechts den Druck der Moderne durch den Blick auf die Prämoderne zu kompensieren trachte, strebe man links danach, diesen Druck durch Überbietung zu besiegen, um den Sprung in etwas absolut Neues zu wagen. Diese Radikalinnovation verlangt starke Gefühle und vereinfachte Feindbilder, schließlich Zwangs- und Terrormaßnahmen, um die konservative Masse zur Abwendung vom historisch Vertrauten bewegen zu können. Zudem müssen ständig neue Argumente gefunden werden, die den Nichteintritt des Heils erklären können. Gruber behandelt in diesem Zusammenhang exemplarisch Brechts Drama Die Maßnahme als eine »Variante von Intellektuellen-Kitsch«.
Der Medienwissenschaftler Klaus Kreimeier untersucht Bilder und Texte der Linken von der französischen Revolution bis zum spanischen Bürgerkrieg. Eine spezifische »Opferrhetorik linker Bewegungen« haben nicht nur die Propaganda geprägt, sondern auch das Selbstbild vieler linker Strömungen. So führten Niederlagen nicht zu selbstkritischer Analyse, sondern wurden stattdessen mit der Dämonisierung des politischen Gegners und der Erschaffung von Opfermythen verarbeitet. Diese Tendenz erkennt Kreimeier schon in Kunstwerken von Jacques Louis David und Käthe Kollwitz.
Linker Kitsch von Bettina Gruber und Rolf Parr kann man hier bestellen.