Der Journalist André Müller (1946–2011) ist durch seine Interviews bekannt geworden. Seit den siebziger Jahren hatte er sich darauf spezialisiert, berühmten Zeitgenossen mit unerbittlichen Fragen auf den Leib zu rücken. Müller konnte diese Interviews in großen Tages- und Wochenzeitungen, aber auch Magazinen wie Playboy oder dem Spiegel unterbringen. Der ein oder andere Skandal folgte daraus. So machte Claus Peymann, damals Intendant des Wiener Burgtheaters, aus seiner Verachtung für einige Personen keinen Hehl, was entsprechende Reaktionen zur Folge hatte. Oder Hans-Jürgen Syberberg, der Müller zum Duell fordern wollte.
Bei seinen Gesprächen mit Ernst Jünger ist bei Müller dagegen offenbar echte Sympathie im Spiel, die bald auch von Jünger erwidert wird. Die drei Gespräche, die Müller mit Jünger führte, fanden 1989, 1990 und 1993 in Wilflingen und München (in der Wohnung von Jüngers Neffen) statt, zwei erschienen in der Zeit. Darüber hinaus standen beide in Brief- und Telefonkontakt und trafen sich gelegentlich. Die Briefe, Telefonate (als Notiz oder Anrufbeantworterspruch) und vor allem die wörtlichen Transkripte der Interviews liegen jetzt gesammelt vor. Jünger zeigt sich darin als hellwacher Gesprächspartner, der allerdings auf viele Fragen Müllers recht einsilbig antwortet.
Im Band wird zwar gezeigt, mit welcher Akribie Müller die Transkriptionen bearbeitet hat, um die Druckfassungen zu erstellen – die Druckfassungen selbst sind jedoch nicht dokumentiert. Dabei zeigt gerade der Vergleich, daß Müller aus dem Rohmaterial des Gesprächs etwas ganz Neues geschaffen hat. Er konnte sich dabei des Vertrauens von Jünger offenbar gewiß sein, da er die Druckfassungen nicht zur Autorisierung vorlegen mußte. Um ein Beispiel für die Umarbeitung zu geben:
In der Druckfassung des ersten Gesprächs antwortete Jünger auf die Frage »Sind Sie Christ?«: »Nein. Das ist gar nicht nötig. Der einzelne tritt, wie Stirner sagt, dem Verein ab und zu bei. Das kann die Nation sein, die Familie oder auch eine Glaubensgemeinschaft. Er sieht sich das an wie im Zirkus, findet das eine gut, das andere weniger, und geht dann wieder hinaus. Was immer er tut, er bleibt er selbst. Ich habe ihn den Anarch genannt.«
Im Gespräch selbst wird Stirner bei der Antwort auf eine ganz andere Frage, nämlich bei der nach dem eigenen Weg unter extremen Bedingungen, angeführt. Allerdings hat Müller Jüngers Haltung damit nicht verfälscht, da dieser auf Müllers Aussage »Kierkegaard und die sind alle später Christen geworden. Das enttäuscht mich immer so« antwortet:»Ja, ich werd’ aber nicht Christ.« Jünger betont diese Haltung noch einmal im zweiten Gespräch, wenn er sagt: »Ich bin aber kein Christ.« Er ist bekanntlich wenige Jahre später zum katholischen Glauben übergetreten.
Die von Christophe Fricker herausgegebenen Gespräche zwischen Ernst Jünger und Andre Müller kann man hier bestellen.