Matthias Politycki: 42,195. Warum wir Marathon laufen und was wir dabei denken

Matthias Politycki: 42,195. Warum wir Marathon laufen und was wir dabei denken, Hamburg: Hoffmann und Campe 2015. 319 S., 20 €

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Wenn man Reich-Rani­cki glau­ben darf, »ist der Sport an sich für die Lite­ra­tur unin­ter­es­sant«, weil der Sport all das lie­fe­re, was das Publi­kum brau­che: Span­nung und Unter­hal­tung. Der Sport ver­mag es zudem noch, die Zuschau­er zu »fast iden­tisch reagie­ren­den Gemein­schaf­ten wer­den las­sen« (was die Lite­ra­tur nicht kann).

Den­noch hat eine dra­ma­ti­sche Sport­art wie das Boxen Ein­gang in die Lite­ra­tur­ge­schich­te gefun­den, wohin­ge­gen der wenig auf­re­gen­de Lang­lauf es ledig­lich zur Meta­pher gebracht hat. Inso­fern ist es ein Wag­nis, wenn ein Schrift­stel­ler wie Mat­thi­as Poli­ty­cki ein Buch über den Mara­thon schreibt. Die Geschich­te des ers­ten Mara­thon­läu­fers ist zwar an Dra­ma­tik kaum zu über­bie­ten, doch dar­um geht es Poli­ty­cki nicht. Es geht ihm um das Lau­fen, dem Mil­lio­nen frö­nen, um im bes­ten Fall mal an die Leis­tungs­gren­ze zu gehen, mit­hin um das, was in Deutsch­land unter »Volks­lauf« fir­miert. Poli­ty­cki hat kei­nen Roman über das Lau­fen geschrie­ben, son­dern ein Buch, das geschickt zwi­schen Erfah­rungs­be­richt und Beob­ach­tun­gen über die lau­fen­de All­ge­mein­heit pendelt.

Poli­ty­cki ist offen­bar rela­tiv spät zum Mara­thon und damit zum ernst­haf­ten Trai­ning gekom­men. Jeden­falls stam­men sei­ne Best­zei­ten für den Halb­ma­ra­thon und den Mara­thon aus dem Jahr 2013, da war er bereits fast 60. Poli­ty­cki beschreibt das Lau­fen aus dem Blick­win­kel des­je­ni­gen, der beim Lau­fen ein Ziel braucht, das über den Erhalt der eige­nen Leis­tungs­fä­hig­keit hin­aus­geht. Das Buch ist in 42 Kapi­tel unter­teilt, die sich mit unter­schied­lichs­ten Aspek­ten des Lau­fens beschäftigen.

Selbst wenn die­se Beschäf­ti­gung manch­mal ins tech­ni­sche Detail geht (etwa bei der Fra­ge der bes­ten Lauf­schu­he), so bleibt Poli­ty­cki doch meis­tens als der­je­ni­ge erkenn­bar, als der er auch in kon­ser­va­ti­ven Krei­sen geschätzt wird: Als ein sprach­be­wuß­ter Autor, der sich über die mensch­li­che Bedürf­tig­keit nach Halt und Gren­ze kei­ne Illu­sio­nen macht und das Lau­fen als einen not­wen­di­gen Luxus definiert.

Daß es sich beim Lau­fen um Luxus han­delt, ist ein­leuch­tend. Die Zeit zum Lau­fen muß man sich neh­men wol­len (und kön­nen). Not­wen­dig ist das Lau­fen, weil es eine Mög­lich­keit ist, sich der »media­len Dau­er­be­rie­se­lung« zu ent­zie­hen. Die­sen Luxus hat jeder selbst in der Hand. Nicht weni­ge ver­zich­ten dar­auf, weil sie Tele­fon oder Musik mit sich füh­ren. Nicht so Poli­ty­cki, der die Stil­le lobt oder die Geräu­sche der Umge­bung auf sich wir­ken läßt.

Einen wei­te­ren Luxus sieht Poli­ty­cki dar­in, daß man beim Lau­fen nur eine Sache macht, wohin­ge­gen wir sonst gewohnt sind, meh­re­re Sachen gleich­zei­tig zu tun: »Erst wenn man auch all das Lang­wei­li­ge am Lau­fen akzep­tiert, ist man bereit für den Moment, wo die Ödnis der Stre­cke auf­reißt und das Glück am Weges­rand frei­gibt.« Es sind Sät­ze wie die­ser, die zei­gen, daß Sport für die Lite­ra­tur durch­aus inter­es­sant sein kann.

42,195. War­um wir Mara­thon lau­fen und was wir dabei den­ken von Mat­thi­as Poli­ty­cki kann man hier bestel­len.

 

 

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)