Mark Lilla: Der hemmungslose Geist. Die Tyrannophilie der Intellektuellen

Mark Lilla: Der hemmungslose Geist. Die Tyrannophilie der Intellektuellen, München: Kösel 2015. 224 S., 19.99 €

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Mark Lil­la, Pro­fes­sor für Ideen­ge­schich­te an der New Yor­ker Colum­bia-Uni­ver­si­tät, por­trä­tiert hier mit Mar­tin Heid­eg­ger, Carl Schmitt, Wal­ter Ben­ja­min, Alex­and­re Kojè­ve, Michel Fou­cault und Jac­ques Der­ri­da sechs wirk­mäch­ti­ge Den­ker, denen eine ver­track­te Ver­stri­ckung mit der Real­po­li­tik ihrer Zeit nach­ge­sagt wird.

Die einen dien­ten sich dem Natio­nal­so­zia­lis­mus an, die ande­ren setz­ten Hoff­nun­gen auf ein kom­mu­nis­ti­sches Welter­lö­sungs­sys­tem. Jeweils geht es um eine Radi­ka­li­tät des Den­kens, die hand­fest und kon­kret ein­greift oder ein­grei­fen will. Obwohl die­ses Buch im Ori­gi­nal bereits 2001 erschie­nen ist (nicht nur die Fuß­no­ten zei­gen, daß es sorg­fäl­tig aktua­li­siert wur­de); obwohl es sich auch damals bereits um einen auf­ge­frisch­ten und ver­fei­ner­ten Auf­guß aus diver­sen Rezen­sio­nen Lil­las für The New York Book of Reviews han­del­te; obwohl dem Autor eini­ge gro­be Feh­ler unter­lau­fen (im Kapi­tel über Carl Schmitt fast unver­zeih­li­che); obwohl Lil­la statt von »Kriegs­en­de« als rei­ner Zeit­mar­ke durch­weg von »Befrei­ung« spricht; obwohl er die wis­sen­schaft­lich unse­riö­se Vor­sil­be »Nazi-« aus­gie­big nutzt; obwohl jedes ein­zel­ne Kapi­tel für sich genom­men dem Fach­mann auf dem jewei­li­gen Gebiet wenig Neu­es bei­bringt; obwohl man wei­te­re Por­träts zu ähn­lich ver­strick­ten Per­so­nen (Sart­re! Lukács! Erst recht die deut­sche Lin­ke um 1968!) ver­mißt: Es ist ein klu­ges, denk­wür­di­ges, emp­feh­lens­wer­tes Buch, wofür neben einer ein­neh­mend ele­gan­ten Spra­che (Über­set­zung: Eli­sa­beth Liebl) nicht zuletzt das ein­rah­men­de Vor- und Nach­wort sorgen.

Lil­la steht einer­seits nicht an, die – so sagt man heu­te – »men­schen­feind­li­chen« Ein­las­sun­gen etwa eines Michel Fou­cault zu ver­brä­men. Fou­cault, der Mao­is­ti­schen Pro­le­ta­ri­schen Lin­ken ange­hö­rig, über­hol­te den dama­li­gen Füh­rer der Mao­is­ten noch links, indem er sogar dem Ruf nach Volks­ge­richts­hö­fen eine Absa­ge erteil­te: Auf­ga­be des Staats sei nicht, ein for­ma­les Gericht ein­zu­be­ru­fen, son­dern die Mas­sen so zu erzie­hen, daß sie instink­tiv wüß­ten, wel­che Art Mensch getö­tet wer­den müsse.

Lil­la benennt eben­so klar die wüs­ten Zer­set­zungs­ab­sich­ten eines Der­ri­da, er weist auf das tönen­de Schwei­gen Ben­ja­mins zu Sta­lins Ter­ror hin, genau­so wie er Schmitts anti­se­mi­ti­sche Knit­tel­ver­se kennt. Und den­noch schwingt in Pro- und Epi­log ein lei­ses Bedau­ern mit, daß radi­kal revo­lu­tio­nä­res wie kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­res Den­ken heu­te pas­sé sind. Er sieht nur­mehr »Ersatz­lin­ke« (die den Men­schen aus allen tra­di­tio­nel­len Ver­pflich­tun­gen und Nor­men lösen wol­len) und »Ersatz­rech­te« (die statt auf Auto­ri­tät und Tra­di­ti­on auf frei­en Waren­aus­tausch pochen) am Werk.

Die Intel­lek­tu­el­len hät­ten sich ver­kro­chen, »sie sind stumm, selbst wenn sie sich zu Wort mel­den.« Daß Lil­la heu­te allent­hal­ben ein »liber­tä­res Dog­ma« am Werk sieht, ist wohl sei­ner angel­säch­si­schen Per­spek­ti­ve geschul­det. Lil­las ein­präg­sa­mes Nach­wort »Die Ver­lo­ckung von Syra­kus«, anspie­lend auf Pla­tons Ver­su­che, im deka­den­ten Syra­kus eine gerech­te Herr­schaft zu eta­blie­ren, läßt das Buch mit einer zeit­ge­mä­ßen Para­bel enden.

Wie schrieb Kojè­ve 1950 an Leo Strauss (und zwar in küh­ler Klag­lo­sig­keit): »Im letz­ten Staat kann es kei­nen ›Men­schen‹ mehr geben im Sin­ne eines his­to­ri­schen Men­schen. Der ›gesun­de‹ Auto­mat ist zufrie­den­ge­stellt (durch Sport, Kunst, Ero­tik etc.). Der Tyrann wird zum Ver­wal­ter, ein Geist in der Maschi­ne, von Auto­ma­ten für Auto­ma­ten gemacht.«

Der hem­mungs­lo­se Geist. Die Tyrann­o­phi­lie der Intel­lek­tu­el­len von Mark Lil­la kann man hier bestel­len.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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