Mark Lilla, Professor für Ideengeschichte an der New Yorker Columbia-Universität, porträtiert hier mit Martin Heidegger, Carl Schmitt, Walter Benjamin, Alexandre Kojève, Michel Foucault und Jacques Derrida sechs wirkmächtige Denker, denen eine vertrackte Verstrickung mit der Realpolitik ihrer Zeit nachgesagt wird.
Die einen dienten sich dem Nationalsozialismus an, die anderen setzten Hoffnungen auf ein kommunistisches Welterlösungssystem. Jeweils geht es um eine Radikalität des Denkens, die handfest und konkret eingreift oder eingreifen will. Obwohl dieses Buch im Original bereits 2001 erschienen ist (nicht nur die Fußnoten zeigen, daß es sorgfältig aktualisiert wurde); obwohl es sich auch damals bereits um einen aufgefrischten und verfeinerten Aufguß aus diversen Rezensionen Lillas für The New York Book of Reviews handelte; obwohl dem Autor einige grobe Fehler unterlaufen (im Kapitel über Carl Schmitt fast unverzeihliche); obwohl Lilla statt von »Kriegsende« als reiner Zeitmarke durchweg von »Befreiung« spricht; obwohl er die wissenschaftlich unseriöse Vorsilbe »Nazi-« ausgiebig nutzt; obwohl jedes einzelne Kapitel für sich genommen dem Fachmann auf dem jeweiligen Gebiet wenig Neues beibringt; obwohl man weitere Porträts zu ähnlich verstrickten Personen (Sartre! Lukács! Erst recht die deutsche Linke um 1968!) vermißt: Es ist ein kluges, denkwürdiges, empfehlenswertes Buch, wofür neben einer einnehmend eleganten Sprache (Übersetzung: Elisabeth Liebl) nicht zuletzt das einrahmende Vor- und Nachwort sorgen.
Lilla steht einerseits nicht an, die – so sagt man heute – »menschenfeindlichen« Einlassungen etwa eines Michel Foucault zu verbrämen. Foucault, der Maoistischen Proletarischen Linken angehörig, überholte den damaligen Führer der Maoisten noch links, indem er sogar dem Ruf nach Volksgerichtshöfen eine Absage erteilte: Aufgabe des Staats sei nicht, ein formales Gericht einzuberufen, sondern die Massen so zu erziehen, daß sie instinktiv wüßten, welche Art Mensch getötet werden müsse.
Lilla benennt ebenso klar die wüsten Zersetzungsabsichten eines Derrida, er weist auf das tönende Schweigen Benjamins zu Stalins Terror hin, genauso wie er Schmitts antisemitische Knittelverse kennt. Und dennoch schwingt in Pro- und Epilog ein leises Bedauern mit, daß radikal revolutionäres wie konterrevolutionäres Denken heute passé sind. Er sieht nurmehr »Ersatzlinke« (die den Menschen aus allen traditionellen Verpflichtungen und Normen lösen wollen) und »Ersatzrechte« (die statt auf Autorität und Tradition auf freien Warenaustausch pochen) am Werk.
Die Intellektuellen hätten sich verkrochen, »sie sind stumm, selbst wenn sie sich zu Wort melden.« Daß Lilla heute allenthalben ein »libertäres Dogma« am Werk sieht, ist wohl seiner angelsächsischen Perspektive geschuldet. Lillas einprägsames Nachwort »Die Verlockung von Syrakus«, anspielend auf Platons Versuche, im dekadenten Syrakus eine gerechte Herrschaft zu etablieren, läßt das Buch mit einer zeitgemäßen Parabel enden.
Wie schrieb Kojève 1950 an Leo Strauss (und zwar in kühler Klaglosigkeit): »Im letzten Staat kann es keinen ›Menschen‹ mehr geben im Sinne eines historischen Menschen. Der ›gesunde‹ Automat ist zufriedengestellt (durch Sport, Kunst, Erotik etc.). Der Tyrann wird zum Verwalter, ein Geist in der Maschine, von Automaten für Automaten gemacht.«
Der hemmungslose Geist. Die Tyrannophilie der Intellektuellen von Mark Lilla kann man hier bestellen.