Lukas Hammerstein: Die Guten und das Böse

Lukas Hammerstein: Die Guten und das Böse. Deutschlandessay (= Fröhliche Wissenschaft, Bd. 55), Berlin: Matthes & Seitz 2015. 204 S., 15 €

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

Die Aus­ein­an­der­set­zung mit der Aus­ein­an­der­set­zung mit der NS-Ver­gan­gen­heit in Deutsch­land kann einem Schrift­stel­ler eigent­lich nur um die Ohren flie­gen. Das hat man beson­ders plas­tisch am Bei­spiel Mar­tin Walsers gese­hen, doch auch die »mora­li­sche Instanz« Gün­ter Grass geriet so ins öffent­li­che Faden­kreuz (vgl. Sezes­si­on66). Lukas Ham­mer­stein, immer­hin im Erst­be­ruf Jurist, hat bei Matthes & Seitz Ber­lin des­halb zur Sicher­heit einen ziem­lich frei­schwe­ben­den Essay veröffentlicht.

Genau­er gesagt: einen »Deutsch-lan­d­es­say«. Ham­mer­stein betont gleich zu Anfang, der Mora­lis­mus der Deut­schen rei­ze ihn seit lan­gem. Das heischt Zustim­mung, auch wenn sein Objekt der Able­hung im Lau­fe der Zeit sehr unter­schied­li­che Gestal­ten ange­nom­men hat. 1958 in Frei­burg gebo­ren und mit einem Onkel ver­se­hen, der vor sei­ner Ent­frem­dung kurz­zei­tig der Wei­ßen Rose nahe­ge­stan­den habe, bekennt er sich frei­mü­tig zu sei­ner Gemüts­la­ge Mit­te der 1970er Jah­re: »Das Gefühl, über­all Nazis am Werk zu sehen, ließ mich nicht mehr los, kaum daß ich erwach­sen war.«

Ham­mer­steins Betrach­tun­gen der deut­schen Befind­lich­keit bewe­gen sich zwi­schen judi­ka­ti­ven Fest­punk­ten: dem Pro­zeß gegen Adolf Eich­mann in Jeru­sa­lem 1961 und jenem gegen John Dem­jan­juk in Mün­chen 2009ff. Bei­de Gerichts­ver­fah­ren lös­ten – wie auch dazwi­schen lie­gen­de Ereig­nis­se à la deut­sche Holo­caust-Erst­aus­strah­lung 1979 – Wen­den in der Ver­gan­gen­heits­be­trach­tung aus; das Buch spürt vor allem ihren ästhe­ti­schen und poli­ti­schen Nie­der­schlä­gen nach.

Die­se stell­ten nach Ham­mer­steins Beweis­füh­rung jeweils Umbe­wer­tun­gen »des Bösen« an sich dar. Unab­hän­gig von der his­to­ri­schen Aus­ein­an­der­set­zung hät­ten die­se es »den Deut­schen« ermög­licht, sich schritt­wei­se selbst zu remo­ra­li­sie­ren, so daß (kon­kret im Bei­spiel der Schrö­der­schen Wei­ge­rung, am Drit­ten Golf­krieg teil­zu­neh­men) heu­te »der Frie­de als ein Meis­ter aus Deutsch­land« erschei­ne. Gegen einen sol­chen Neo­mo­ra­lis­mus und »hyper­mo­ra­li­sche Schein­de­bat­ten« wie in unse­ren täg­li­chen Polit­talk­shows rich­tet Ham­mer­stein sei­ne 15 Sei­ten lan­ge »Kri­tik der sen­ti­men­ta­len Ver­nunft«, unter ande­rem mit einer genüß­li­chen Abkan­ze­lung des Ehe­paars Mit­scher­lich und ihrer Unfä­hig­keit zu trauern.

Daß der Autor ein­lei­tend den NSU-Pro­zeß zum Aus­gangs­punkt sei­ner Über­le­gun­gen (über »Mei­ne Schuld«) macht, kann man da ruhig hin­neh­men. Eben­so küh­ne Behaup­tun­gen wie die, daß heu­te kein Mensch, »von alten und neu­en Faschis­ten abge­se­hen«, Juden­wit­ze mach­te – was Sal­cia Land­mann und Oli­ver Polak glatt leug­nen wür­den. Und immer­hin gesteht Ham­mer­stein ein, daß er sich mit sei­nem nega­ti­ven NS-Fetisch »manch­mal komisch vor(gekommen)« sei, des­sen »böser Virus« ihm»das fieb­ri­ge Gefühl gab, gut zu sein«. Doch ent­schul­digt das nicht die meh­re­ren Stel­len, in denen er etwa behaup­tet, es hät­ten »qua­si wir die alli­ier­ten Bom­ber geru­fen« – der vor­ei­li­ge »Sün­den­stolz« (H. Lüb­be) bricht sich eben manch­mal noch Bahn. Ham­mer­stein ist sein eige­ner Untersuchungsgegenstand.

Die Guten und das Böse. Deutsch­lan­d­es­say von Lukas Ham­mer­stein kann man hier bestel­len.

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

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