Klaus Farin: Frei.Wild. Südtirols konservative Antifaschisten

Eine Rezension von Franziska Kunc

Klaus Farin: Frei.Wild. Süd­ti­rols kon­ser­va­ti­ve Anti­fa­schis­ten, Ber­lin: Archiv der Jugend­kul­tu­ren 2015. 400 S., 36 €

Vie­les ist kuri­os an die­sem und um die­ses Buch – nicht zuletzt die Tat­sa­che, daß es an die­ser Stel­le als Haupt­re­zen­si­on bespro­chen wird. Also an einem Ort, wo für gewöhn­lich gelehr­te Schrif­ten oder Brief­wech­sel ver­bli­che­ner Intel­lek­tu­el­ler gewür­digt wer­den. Gelehrt ist hier wenig – lehr­reich hin­ge­gen vie­les. Um die­ses ein­drei­vier­tel­ki­lo­schwe­re, so groß­for­ma­ti­ge wie klein­ge­druck­te Mam­mut­werk kom­plett (die dem­nächst erschei­nen­de ebook-Ver­si­on wird noch umfang­rei­cher sein) zu lesen, braucht es ers­tens einen Ses­sel mit hohen Arm­leh­nen, zwei­tens viel Zeit, drit­tens (um es mit Ver­gnü­gen zu tun) eine gewis­se Lie­be zur »Hefe des Volkes«.

Die­ses viel­schich­ti­ge, reich bebil­der­te und vor allem sozio­lo­gisch auf­schluß­rei­che Por­trät der als zunächst »Rechts-« dann»Deutschrockband« bekannt­ge­wor­de­nen Süd­ti­ro­ler Grup­pe Frei.Wild ist von der Band nicht auto­ri­siert wor­den. Ver­faßt hat es der 57jährige Klaus Farin, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Respekt – Stif­tung zur För­de­rung jugend­kul­tu­rel­ler Viel­falt und Tole­ranz. Farin ist Vor­stand­mit­glied von Akti­on Cou­ra­ge e.V., er war lang­jäh­ri­ger Lei­ter des umtrie­bi­gen Archivs der Jugend­kul­tu­ren. In des­sen Rei­he ist das Frei.Wild-Buch nun erschie­nen, umge­ben von Titeln wie Vega­nis­mus; Can­na­bis in Jugend­kul­tu­ren; Rechts­extre­mis­mus, Ras­sis­mus und Anti­se­mi­tis­mus in Comics. Zuletzt (2015) hat Farin ein Buch über Die Auto­no­men ver­faßt, sein Heimatmilieu.

Dem Band sind zwei Mot­tos vor­an­ge­stellt, Farins eige­nes (»Wer sich auf die Rea­li­tät ein­läßt, muß die beru­hi­gen­de Ein­deu­tig­keit auf­ge­ben«) und ein Frei.Wild-Liedtitel: »Wer nichts weiß wird alles glau­ben« (»… öff­ne du ihnen die Augen/ Lie­ber auf dem Scheiterhaufen/ als in Lügen zu ersaufen!«).

Ist das sim­pel? Prol­lig? Volks­zorn? Je nun. Frei.Wild, das ergibt Farins Stu­die, wird kaum von Aka­de­mi­kern gehört, statt­des­sen von jun­gen Män­nern und (min­des­tens eben­so­vie­len) Frau­en, die vor allem im länd­li­chen mit­tel- und süd­deut­schen Raum woh­nen. Die Lyrik der vier mit­tel­jun­gen Män­ner (Frei.Wild wur­de 2001 gegrün­det) ist weni­ger ela­bo­riert als die Tex­te deutsch­spra­chi­ger Nach­denk­sän­ger (gän­gi­ge Volks­fluch­wör­ter wie »Fres­se« »verarscht«,»Sch…« gehö­ren zum Reper­toire), doch weit­aus kom­ple­xer als die der aller­meis­ten anglo­pho­nen Hitparadenstürmer.

Apro­pos Hit­pa­ra­de: Die letz­ten drei der bis­lang zehn Frei.Wild–Studioalben stan­den je mona­te­lang auf Platz 1 der Ver­kauf­scharts, Fein­de dei­ner Fein­de (2012) gan­ze 39 Wochen lang. Im öffent­lich-recht­li­chen Radio oder im popu­lä­ren Pri­vat­funk gespielt wur­den und wer­den sie: nie. Dafür gel­ten sie (wie dazu­mal die Böh­sen Onkelz) als zu »rechts­las­tig«, ein Ver­dikt, das still­schwei­gend auch auf Hits ohne Hei­mat­lie­be­be­zug aus­ge­wei­tet wurde.

Von der »Echo«-Preisverleihung 2013 wur­den sie unter Getö­se auf­grund Pro­tes­ten weni­ger erfolg­rei­cher Grup­pen aus­ge­la­den. Farins Buch nun, man stau­ne und schwel­ge, setzt sich nicht zuletzt harsch mit jenen »emo­tio­nal-mora­lisch moti­vier­ten« Men­schen aus­ein­an­der, die (even­tu­ell nai­ver ver­an­lagt als die Frei.Wild-Hörer) den Kam­pa­gnen jener Pro­fi­teu­re des »Kamp­fes gegen rechts« auf den Leim gehen, die es hier­zu­lan­de reich­lich gibt. Farin: »Wenn es gegen rechts geht, sind vie­le schnell dabei. (…) Rechts­extre­mis­mus wird für die­se Pro­fi­teu­re zur Geld­druck­ma­schi­ne und Imagekampagne.

Dazu gehö­ren zahl­rei­che Trä­ger der poli­ti­schen Bil­dung und gro­ße Wohl­fahrts­ver­bän­de, denen es längst nicht mehr um Wohl­fahrt geht, son­dern um poli­ti­sche Macht und die Selbst­er­hal­tung ihrer auf­ge­bläh­ten Struk­tu­ren.« Mit Vor­wort und Anhang fin­den wir neun in jeder Hin­sicht bun­te Kapi­tel, dar­un­ter einen Süd­ti­rol-Exkurs (»Kampf um und gegen die Moder­ne«), eine schö­ne Unter­richts­an­re­gung zum The­ma »Hei­mat« (anhand von Tex­ten Frei.Wild/Grönemeyer) und eine groß­an­ge­leg­te Fanstudie.

Wir sehen etwa ein Kör­per­glied von Niels (26) aus Mölln, das scharf­ge­sto­chen mit den Köp­fen der Frei.-
Wild-Män­ner täto­wiert ist und Arme, die von Hand­ge­lenk bis Ach­sel den (Liedtitel-)Schriftzug »Sie­ger ste­hen da auf, wo Ver­lie­rer lie­gen blei­ben« tra­gen. Eine Poli­zei­be­am­tin »kotzt es an«, daß sie sich auf­grund ihres Berufs nicht Frei.-Wild auf den Unter­arm ste­chen las­sen darf. Die­se Fans bren­nen! Frei.Wild-Konzerte sind selbst in größ­ten Hal­len rasch aus­ver­kauft. Ein Fan benennt es gül­tig: »Die­se Band ist mein Sprach­rohr für Din­ge, für die ich selbst schwer Wor­te finde.«

Frei.Wild (von Wiki­pe­dia trot­zig als »ita­lie­ni­sche Band« geführt) ist ein Ven­til, auf dem ein schwe­rer Deckel las­tet. Klaus Farin läßt einen Film­so­zio­lo­gen zu Wort kom­men (über die Wir­kung der Vide­os), dane­ben den Lei­ter des Aus­stei­ger­pro­gramms EXIT und zahl­rei­che rech­te wie ein­deu­tig nicht­rech­te Anhän­ger der Band. Er stellt klu­ge Fra­gen, ord­net ein. Farins Buch laviert zwi­schen seriö­sem Künst­ler­por­trait, Bra­vo-Stil und Sozio­pa­nel. Frei.Wild, das ist eine Art PEGI­DA-Sound: kein Streich­quar­tett, kein Gangs­ter-Rap und defi­ni­tiv kein Nazi­lied­gut: »Jedes mal die glei­che Fra­ge / Jedes mal der glei­che Scheiß / Seid ihr nicht die, die, die? / Komm, laß ste­cken, ich weiß / Wir fra­gen uns: Bist du nur bescheu­ert oder auch taub und blind?«

Frei.Wild. Süd­ti­rols kon­ser­va­ti­ve Anti­fa­schis­ten von Klaus Farin kann man hier bestel­len.

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