Eric Voegelin: Was ist Geschichte?

Eine Rezension von Julius Möllenbach 

Eric Voe­gel­in: Was ist Geschich­te?  Ber­lin: Matthes & Seitz 2015. 172 S., 15 €

»Die Ord­nung der Geschich­te ent­hüllt sich in der Geschich­te der Ord­nung.« Am Leit­fa­den die­ses Gedan­kens läßt sich die Geschichts­phi­lo­so­phie des poli­ti­schen Den­kers Eric Voe­gel­in ent­fal­ten, der in einem weit­ge­spann­ten Œuvre (Order and Histo­ry) den Ver­such unter­nahm, die mensch­li­chen Ein­sich­ten in die Ord­nung des Seins ein­zu­fan­gen. Dabei unter­zog er aller­dings sein eige­nes Pro­jekt lau­fend einer kri­ti­schen Prü­fung, weil sich die ursprüng­li­chen Annah­men über einen linea­ren Geschichts­ver­lauf, unter ande­rem auch durch Jas­pers’ Ent­de­ckung der Ach­sen­zeit, nicht als ganz trag­fä­hig erwiesen.

In die­sem Band wer­den nun zwei Tex­te, der titel­ge­ben­de Essay sowie ein wei­te­rer, bereits mehr­fach publi­zier­ter Essay »Ewi­ges Sein in der Zeit«, abge­druckt, die Voe­gel­ins geschichts­phi­lo­so­phi­schen Denk­weg Anfang der 1960er Jah­re doku­men­tie­ren. Da die­ser Denk­weg außer­or­dent­lich vor­aus­set­zungs­reich ist, sind die ent­spre­chen­den Hin­wei­se des Her­aus­ge­bers Peter Opitz unverzichtbar.

Aus­ge­hend von sophis­ti­schen Argu­men­ta­ti­ons­mus­tern räumt Voe­gel­in durch eine nega­ti­ve Ant­wort drei gene­rel­le Fra­gen bei­sei­te: 1. Gibt es Geschich­te als Objekt? 2. Ist die Geschich­te erkenn­bar? 3. Gibt es objek­ti­ve Maß­stä­be der Sinn­deu­tung von Geschich­te? Erst dann wen­det er sich dem zu, was man als Com­mon-sen­se-Erfah­rung des geschicht­li­chen Lebens bezeich­nen kann, die ihren Nie­der­schlag in der All­tags­spra­che gefun­den hat. Aus dem Betei­ligt­sein an Gescheh­nis­sen, die als erin­nerns­wert erfah­ren wer­den, wird der Mensch in die Suche nach dem Sinn jenes Gesche­hens ent­las­sen. Voe­gel­in kommt kul­tur­ver­glei­chend (Hel­las, Isra­el, Chi­na) zu der The­se, die Geschichts­schrei­bung ent­ste­he durch die Ver­wick­lung des Men­schen in das »impe­ria­le Ereig­nis«, das heißt die Zer­stö­rung einer alten Ord­nung durch impe­ria­le Expansion.

Voe­gel­ins vor­läu­fi­ge Bestim­mung lau­tet, Geschich­te wer­de im Gefol­ge einer Erschüt­te­rung der Ord­nung ent­deckt. Dies gesche­he aber nur, wenn es Men­schen gibt, die sol­che Ver­än­de­run­gen als his­to­risch und als auf­zeich­nens­wert erken­nen – was zum Bei­spiel in Indi­en nicht der Fall gewe­sen sei. Als Vor­aus­set­zung dafür, den Ver­fall einer Ord­nung dia­gnos­ti­zie­ren zu kön­nen, bedarf es schon einer Ord­nungs­vor­stel­lung, etwa wie bei Pla­ton, die nicht ohne Tran­szen­denz­er­fah­rung aus­kommt. Im geschicht­li­chen Ereig­nis der Phi­lo­so­phie vor allem Pla­tons erfah­re sich der Mensch mit sei­ner See­le als Wesen in einem »Zwi­schen« von Imma­nenz und Tran­szen­denz, in einer von ewi­gem Sein gepräg­ten »flie­ßen­den Präsenz«.

Voe­gel­ins Essays zei­gen einen Den­ker, der ers­tens kei­ne Scheu vor der klas­si­schen Meta­phy­sik hat, zwei­tens geschichts­phi­lo­so­phisch eine glo­ba­le Per­spek­ti­ve ent­fal­tet und drit­tens unbe­fan­gen jene Tran­szen­denz­er­fah­run­gen in den Blick nimmt, die es über­haupt mög­lich machen, Geschich­te und Phi­lo­so­phie in ihren wech­sel­sei­ti­gen Bezü­gen zu den­ken. Hin­ter dem schlich­ten Was-ist-Titel ver­birgt sich also anspruchs­vol­le Phi­lo­so­phie, kei­ne didak­tisch ele­men­ta­ri­sier­te Ein­füh­rung in den Geschichts­be­griff für das geis­tig abge­speck­te Geschichts­stu­di­um unse­rer Tage.

Was ist Geschich­te? von Eric Voe­gel­in kann man hier bestel­len.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)