Udo Wengst: Theodor Eschenburg. Biographie einer politischen Leitfigur 1904–1999, Berlin: Walter de Gruyter 2015. 279 S., 34.95 €
Jetzt hat es sogar ihn erwischt! So oder so ähnlich dürften viele gedacht haben, als sie den Namen Theodor Eschenburg in den letzten Jahren öfters in den Medien vernommen haben – natürlich mit negativem Beigeschmack. Notorische Vergangenheitsbewältiger taten das Ihre um zu verhindern, daß der »öffentliche Professor« einen angemessenen Platz in den Geschichtsbüchern einnehmen kann, nachdem sich der mittlerweile Hochbetagte in den 1990er Jahren anläßlich der Veröffentlichung seiner Memoiren ein letztes Mal selbst ins Gespräch bringen konnte.
So präzisiert Rainer Eisfeld seine Vorwürfe gegen den lange Zeit hoch angesehenen Gelehrten, den er der »staatskonservativen Kollaboration« bezichtigt, in vier Punkten: Der Angegriffene sei als Vertreter der Knopf- und Reißverschlußindustrie an »Arisierungen« beteiligt gewesen und habe seine kurzzeitige Mitgliedschaft in einer Unterabteilung der SS verschwiegen. Daß der Austritt aus einer solchen Organisation während der NS-Zeit nicht geringen Mut erforderte, ist dem Kritiker keinen Hinweis wert. Weiter bekrittelt Eisfeld das Engagement des jungen Erwachsenen im nationalliberalen Milieu der Weimarer Republik, das vom grassierenden Rechtsradikalismus nicht weit entfernt gewesen sei. Darüber hinaus stört er sich daran, daß Eschenburg nach 1945 Selbstbespiegelungen vermieden habe.
Die Kontroverse um die Eisfeld-Thesen war für Udo Wengst, dem früheren stellvertretenden Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, Anlaß, seine Quellenforschungen über Eschenburg zu Ende zu führen. Das Ergebnis ernüchtert einige selbsternannte Ankläger. Einen Teil der Aufzeichnungen hat Eschenburg wohl selbst im Dritten Reich vernichtet. Ein anderer Teil hat bei Luftangriffen das gleiche Schicksal erlitten. Wengst kommt zu dem Resultat, dass über den prominenten Gründervater der westdeutschen Politikwissenschaft nach 1945 nur wenig Belastendes vorliegt. Eschenburg, der in den 1920er Jahren im Kreis um Gustav Strese-mann aktiv war, wirkte unter den Nationalsozialisten eher unspektakulär. Die erwähnten Beteiligungen an »Arisierungen« ließen sich wohl – so sehr man dies heute bedauern mag – kaum verhindern.
Nach 1945 war Wengst in der Ministerialbürokratie von Württemberg-Hohenzollern tätig. In den frühen 1950er Jahren erhielt er einen Lehrstuhl in Tübingen und war danach vielfältig aktiv, unter anderem als Vortragender, Zeitschriftenmitherausgeber, Publizist und Regierungsberater. Wengst schildert den liberal-konservativen Denker als Mann mit Facetten, eben nicht als Stromlinienförmigen, der bereits in seiner aktiven Zeit etliche Debatten auslöste. Besonders attackiert wurde in der Öffentlichkeit eine Rede von 1968, in der er angeblich eine »Diktatur auf Zeit« gefordert habe, die die durch den Parlamentarismus bewirkten »Sauereien« wieder zu beseitigen habe. Schon allein die Darstellung der streitbar-knorrigen Persönlichkeit lohnt die Lektüre von Wengsts ausgewogener Studie!
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