Sibylle Berg: Der Tag, als meine Frau einen Mann fand. Roman

Sibylle Berg: Der Tag, als meine Frau einen Mann fand. Roman, München: Hanser 2015. 304 S., 19.90 €

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Es gibt gute Grün­de, von der Lek­tü­re die­ses Buches abzu­se­hen. Einer wäre: das Alter ego der Roman­au­to­rin. Sibyl­le Berg, Jahr­gang 1962, gebür­ti­ge Wei­mare­rin, Wahl­schwei­ze­rin, ver­öf­fent­licht seit 1997 Roma­ne von mitt­le­rer bis her­vor­ra­gen­der Qua­li­tät. Die ande­re Sibyl­le Berg publi­ziert Woche für Woche in ihrer Spie­gel-Online-Kolum­ne unter der Überschrift»Fragen Sie Frau Sibyl­le« haß­zer­fres­se­nes, lin­kes Geze­ter. Zwei­ter Grund gegen die Lek­tü­re: kennst du eines, kennst du alle. Der Mensch ist bei Berg eine lächer­li­che Krea­tur, aus der unab­läs­sig etwas rinnt, Trä­nen, Schweiß, Sper­ma. Er hechelt nach Lie­be, durch­aus in ech­ter Sehn­sucht, er ver­fehlt sie zuver­läs­sig. Aus allen Berg-Wer­ken spricht eine uner­schüt­ter­li­che Men­schen­feind­schaft, oder freund­lich gesagt, eine sprö­de Melan­cho­lie, die nach einem Hoff­nungs­flämm­chen schielt, das viel­leicht noch glüht, meist aber nur eine mat­te Illu­si­on ist.

Man liest das nicht zur Erbau­ung. Man tut es mit einem bösen Ver­gnü­gen, ja, mit einer gewis­sen Genug­tu­ung. In Bergs Roma­nen lei­det genau jener Men­schen­schlag, als des­sen Per­so­ni­fi­zie­rung man sich bei­spiels­wei­se die lin­ke Kolum­nis­tin Sibyl­le Berg vor­stel­len mag. Kin­der­lo­se Halbal­te, deren ver­knö­cher­tes, medio-kres Dasein ein War­ten auf den Tod ist. In Bergs neu­em Roman geht es um Chloe und Ras­mus, Mitt­vier­zi­ger bei­de, seit zwei Jahr­zehn­ten ein Paar. Er ist ein abge­half­te­ter Thea­ter­re­gis­seur, sie macht was mit Büchern.

Mag man den Berg-Sound, so emp­fin­det man bereits an der Namens­wahl die­bi­sche Freu­de. Es sind leicht über­kan­di­del­te upper­class-Namen, die man mit dem Hin­zu­fü­gen oder Weg­las­sen ganz weni­ger Buch­sta­ben zu häß­li­chen Spott­be­zeich­nun­gen fin­gie­ren kann. Unse­re Chloe jeden­falls ist, das ehe­li­che Geschlechts­le­ben betref­fend, ste­ril wie die Wir­kung von Chlor. Dane­ben aber hat sie eine ande­re, schmut­zi­ge Sei­te – ohne e. Bei ihrem Mann, dem dünn­bei­ni­gen, spitz­bäu­chi­gen, unter Haar­ver­lust lei­den­den Ras­mus, könn­te man in zwei Vari­an­ten dem Namen zwei, drei Buch­sta­ben ein­fü­gen, und man hät­te eine vita­le und eine düs­te­re Sei­te auf­ge­deckt, die in die­ser höchst gewöhn­li­chen Krea­tur schlum­mern. Chloe und Ras­mus lie­ben sich, see­lisch, aber da fun­kelt nichts. Es gibt auch geis­ti­gen Aus­tausch: die übli­chen Sti­mu­li lin­ker Intel­lek­tu­el­ler. Bei Wag­ner, »die­sem ver­damm­ten juden­has­sen­den Olm«, kriegt der sonst zorn­lo­se Ras­mus »Schaum vorm Maul«. Er hört gezielt Wag­ner, um sei­ne Thea­ter­stü­cke zu kon­zi­pie­ren, ein Holo­caust­stück mit Pup­pen, etwas mit Nack­ten und Schä­fer­hun­den. Ras­mus wäre gern »Jude oder schwul«, das wäre eine Möglichkeit.

Er sucht nun Heil in der drit­ten Welt. Dort will er – Chloe beglei­tet ihn – ein gro­ßes Kul­tur­pro­jekt ent­zün­den: deut­sche Gedich­te mit exo­tisch-ein­hei­mi­schen Rhyth­men ver­knüp­fen. Er hat edle Wil­de gesucht, »lachen­de, strah­len­de jun­ge Men­schen, die jubelnd euro­päi­sche Kul­tur­gü­ter fei­ern.« Er will sie für das ganz gro­ße Glo­bal­thea­ter begeis­tern. Er fin­det vor: »Idio­ten«, »Hohl­köp­fe«, die nichts wis­sen wol­len von »Euro­pa im Win­ter, von Depres­si­on, von ADHS«, die nur mit­ma­chen, weil es nach der Pro­be Bier gibt. Ras­mus bemüht sich, ihnen klar­zu­ma­chen, »daß wir im Kern alle gleich sind und ähn­lich am Leben lei­den.« Aber:»Alles, was sie von uns wol­len, sind iPods.«

Ras­mus ver­zwei­felt. Chloe ver­zwei­felt an der Ver­zweif­lung ihres Man­nes. Auf dem Tief­punkt des gemein­sa­men Elends läßt sie sich, opi­um­be­rauscht, flach­le­gen. Von Ben­ny, einem Mas­seur. Auf ihn setzt Chloe nun ihre trau­ri­gen Hoff­nun­gen, auch als das unglück­li­che deut­sche Paar abge­reist ist, wie­der in ihrer kin­der­lo­sen »archi­tek­to­nisch inter­es­san­ten« Woh­nung weilt und »gemein­sam mit den End­ge­rä­ten« im Bett früh­stückt. Und Ben­ny kommt tat­säch­lich nach Deutsch­land, und wie! Ras­mus lauscht sei­ner Frau und ihrem Lieb­ha­ber. Er ver­sucht, frau­en­feind­li­che Phan­ta­sien zu ent­wi­ckeln, aber es gelingt ihm nicht. Er ima­gi­niert, wie er Ben­ny aus der Woh­nung zerrt, ihm in den Hin­tern tritt, »er fällt die Trep­pe run­ter, die Nach­barn, gute Lin­ke, öff­nen die Woh­nungs­tü­ren und schau­en erstaunt, so viel Leben­dig­keit haben sie seit Jah­ren nicht mehr erfah­ren.« Doch das bleibt Phan­ta­sie. Statt des­sen schlägt Ras­mus sich den Hin­ter­kopf an der Wand blu­tig und probt ein Stück mit »einer jun­gen Frau mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund, in dem Hit­ler vor­kommt und eine Rei­se von Asy­lan­ten in die Uckermark.«

Ben­ny bringt neue Freun­de, wohl Roma wie Ben­ny selbst, mit in die Bude. Die sau­fen und kif­fen und brin­gen dem teu­ren Tep­pich Brand­lö­cher bei. Ras­mus schließt Frie­den mit dem Lieb­ha­ber sei­ner Frau.

»Er erscheint mir plötz­lich wie das rei­ne Leben, der Raum wird hel­ler und wär­mer durch ihn. … Ich lebe Offen­heit. Ich bin der Migra­ti­ons­be­auf­trag­te in mei­nem Mit­tel­klas­se­le­bens­ent­wurf. Ich bin beschwingt von mei­ner eige­nen Tole­ranz, und dafür kann ich Ben­ny nicht aus­rei­chend dan­ken.« Ras­mus beschließt, die neue Mul­ti­kul­tur in sei­nem Wohn­zim­mer herr­lich zu fin­den. »Ich wer­de mal etwas kochen, ich ver­mu­te, ein Gericht mit Fleisch­kno­chen käme sehr gut an, aber wir sind die Vege­ta­ri­er, natür­lich.« Die Berg weiß ganz gut, was sie schreibt.

Sibyl­le Bergs Der Tag, als mei­ne Frau einen Mann fand kann man hier bestel­len. 

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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