Benjamin Hasselhorn/Christian Kleinert (Bearb.): Johannes Haller (1865–1947). Briefe eines Historikers (= Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts, Bd. 71), München: De Gruyter Oldenbourg 2014. 679 S., 109.95 €
Max Weber erlebte anläßlich seines 150. Geburtstages einen regelrechten Aufmerksamkeitsboom. Das ist für einen anderen bedeutenden Gelehrten der Zeit, den ein Jahr jüngeren Johannes Haller, nicht zu erwarten, wenn die Fachwelt 2015 dessen Geburtstag begeht. Immerhin existieren einige Hinweise dafür, Haller als den meistgelesenen Historiker seiner Zeit zu betrachten.
Angesichts dieser Relevanz muß es erstaunen, daß Haller nicht schon früher in den Fokus des Interesses der Wissenschaftsgeschichte geraten ist. Benjamin Hasselhorn, der die Vorarbeiten von Christian Kleinert berücksichtigen hat können, hat eine vorzügliche Edition der Briefe eines früher anerkannten großen Gelehrten vorgelegt.
Neben Einblicken in das Privatleben Hallers, vor allem durch seine Briefe an den Vater sowie die Geschwister, gewinnt der Rezipient wissenschaftsgeschichtlich bedeutsame Erkenntnisse im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Der Erdmannsdörffer-Schüler, der zuerst in Rom, später in Basel, Marburg, Gießen und vor allem in Tübingen tätig ist, tritt in Kontakt zu bekannten Zeitgenossen aus Wissenschaft und Politik, von denen Rudolf Smend, Johan Huizinga und Theodor Heuss zu nennen sind. Von den wichtigen Publikationen Hallers ist die in späteren Auflagen auf fünf Bände angewachsene Geschichte des Papsttums erwähnenswert, weiterhin sein Buch über die »Epochen der deutschen Geschichte« und die Darstellung über das altdeutsche Kaisertum.
Es bedarf kaum eines Hinweises, daß für den heutigen Zeitgenossen Hallers Stellungnahmen im Ersten und Zweiten Weltkrieg und zum Nationalsozialismus im Hinblick auf seine Beurteilung wesentlich sind. Haller ist deutschnational gesinnt, stimmt in manchen Grundlinien den Machthabern ab 1933 zu, hält aber Distanz. Interessant sind besonders die Äußerungen im Detail. Inzwischen Emeritus, beobachtet er während des Zweiten Weltkrieges einiges sehr sachkundig, was auch aus heutiger Sicht Gültigkeit behält, jedoch durch den Schleier der politischen Korrektheit meist verdeckt wird. Dazu zählt das Ziel der polnischen Führung, bereits lange vor 1945 eine Westverschiebung der Grenze zu Deutschland zu erreichen. Nicht zuletzt deshalb sollte Haller, oft ignoriert, nicht vergessen werden.
Johannes Haller (1865–1947). Briefe eines Historikers von Benjamin Haselhorst und Christian Kleinert kann man hier bestellen.