Michael Beleites: Umweltresonanz. Grundzüge einer organismischen Biologie

Michael Beleites: Umweltresonanz. Grundzüge einer organismischen Biologie, Treuenbrietzen: Telesma 2014. 688 S., 39.80 

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Das Buch erweckt nur auf den ers­ten Blick den Ein­druck eines rei­nen Fach­bu­ches, das für den inter­es­sier­ten Leser kaum zu bewäl­ti­gen sein dürf­te – ein Irr­tum! Zunächst ist die­ses Buch, wenn­gleich umfang­reich, durch­ge­hend all­ge­mein­ver­ständ­lich geschrie­ben, und der Text wird durch zahl­rei­che Abbil­dun­gen ver­an­schau­licht. Wei­ter­hin wen­det es sich weni­ger an ein Fach­pu­bli­kum als an die­je­ni­gen Leser, die sich um ihre Zeit und Lage Gedan­ken machen. Micha­el Belei­tes (Jg. 1964) betreibt Wis­sen­schaft nicht zum Selbst­zweck, son­dern bet­tet sie in die geis­ti­ge Lage der Gegen­wart ein. Sein Aus­gangs­punkt ist dabei ein dop­pel­ter: Zum einen hält er die Selek­ti­ons­theo­rie Dar­wins für falsch und möch­te den ent­spre­chen­den Nach­weis füh­ren. Zum ande­ren sieht er mit der umfas­sen­den Aner­kennt­nis der Dar­win­schen Theo­rie Impli­ka­tio­nen ver­bun­den, die unse­re wachs­tums­ori­en­tier­te Lebens­wei­se erst ermög­li­chen. Der Anspruch des Buches ist daher ein politischer.

Das ist, wenn man sich den Lebens­lauf Belei­tes’ anschaut, nicht ver­wun­der­lich. Der Sohn eines Pfar­rers erlern­te den Beruf eines Tier­prä­pa­ra­tors und enga­gier­te sich seit den frü­hen acht­zi­ger Jah­ren in der Umwelt- und Frie­dens­be­we­gung der DDR. Nach der Wen­de war er in ver­schie­de­nen poli­ti­schen Zusam­men­hän­gen der Umwelt­be­we­gung aktiv, etwa bei Green­peace, stu­dier­te Land­wirt­schaft und war von 2000 bis 2010 Säch­si­scher Lan­des­be­auf­trag­ter für die Sta­si-Unter­la­gen. Seit 1995 hat er an sei­nem umfang­rei­chen Werk gear­bei­tet. Er lebt, was für sei­ne Hal­tung nicht unwich­tig ist, auf dem Land.

Belei­tes ver­schlei­ert sei­ne poli­ti­sche Absicht nicht, son­dern kommt inner­halb des Tex­tes immer wie­der auf die Fra­ge der Kon­se­quen­zen der Dar­win­schen Theo­rie zurück. In klas­si­scher Wei­se sind dem Buch die The­sen (in wirk­lich the­sen­ar­ti­ger Form) vor­an­ge­stellt, die Belei­tes im fol­gen­den zu bele­gen unter­nimmt. Dabei geht er von den Aus­gangs­vor­aus­set­zun­gen der Selek­ti­ons­theo­rie aus: Aus Varia­tio­nen in der frei­en Natur könn­ten neue Arten ent­ste­hen. Die Ansicht weist Belei­tes zurück, indem er zeigt, daß die von Dar­win beob­ach­te­ten Vor­gän­ge in der Natur nicht vor­kom­men, son­dern aus Erfah­run­gen der Züch­tung von Haus­tie­ren abge­lei­tet sind. In der Natur kom­me Züch­tung nicht vor – auch kei­ne Zuchtwahl.

Belei­tes belegt dies vor allem mit eige­nen Beob­ach­tun­gen aus der Vogel­welt, aber auch denen des Orni­tho­lo­gen Otto Klein­schmidt, des­sen Werk sein wich­tigs­ter Bezugs­punkt ist. Auf ihn wie auf den Bio­lo­gen Lud­wig von Ber­tal­anffy stützt Belei­tes sei­ne theo­re­ti­schen Argu­men­te gegen die »reduk­tio­nis­ti­sche Bio­lo­gie«. Damit sind dann nicht nur die Men­del­schen Geset­ze gemeint, die bis heu­te die Grund­la­ge der Ver­er­bungs­leh­re bil­den. Laut Belei­tes han­delt es sich um Theo­rien, die den empi­ri­schen Befun­den nicht genü­gen und trotz­dem zu einer Welt­an­schau­ung erho­ben wur­den, die des­halb so erfolg­reich ist, weil sie als wis­sen­schaft­lich gilt.

Belei­tes geht es um die Fal­si­fi­ka­ti­on die­ser Theo­rien. Sei­ner Mei­nung nach bedarf es nicht zwin­gend einer Ersatz­theo­rie, um deren Vor­herr­schaft zu bre­chen (was er den Krea­tio­nis­ten ankrei­det). Belei­tes legt mit der Umwelt­re­so­nanzein Alter­na­tiv­mo­dell vor, das den Zusam­men­hang zwi­schen den Struk­tu­ren der gene­ti­schen und öko­lo­gi­schen Ebe­ne beschreibt. Belei­tes lenkt den Blick auf die Bedin­gun­gen des Zusam­men­halts einer Art und deren Bezie­hung zur Umwelt und faßt sie in einer ganz­heit­li­chen, der orga­nis­mi­schen Bio­lo­gie zusam­men. Der Zusam­men­halt einer Art ist nur in frei­er Natur gewähr­leis­tet, wohin­ge­gen es im urba­nen Raum zu Infor­ma­ti­ons­ver­lus­ten und damit zu einem Aus­ein­an­der­lau­fen der Art kommt.

Die­se Sicht der Din­ge hat eine ent­schei­den­de Kon­se­quenz: die Reinte­gra­ti­on des Men­schen in die Natur. Wenn es kei­nen »Sur­vi­val of the fit­test« gebe, so Belei­tes, kön­ne es auch kei­nen Ras­sen­kampf geben. Des­halb sei es unpro­ble­ma­tisch, die Ras­se wei­ter­hin als das Unter­schei­dungs­merk­mal der mensch­li­chen Popu­la­ti­on zu ver­wen­den. Die Kon­se­quenz, so sym­pa­thisch sie im Sin­ne des frei­en Blicks auf Din­ge ist, hängt an der Aner­kennt­nis der Grund­the­se, daß Dar­win unrecht hat, wofür Belei­tes gute Argu­men­te bringt.

Die ein­zi­ge Schwä­che des Buches liegt an ande­rer Stel­le. In der löb­li­chen Absicht, dem Men­schen sein Wachs­tums­stre­ben als unna­tür­lich abzu­ge­wöh­nen, wird zwei­er­lei unter­stellt: Ers­tens, daß der Mensch als Geist­we­sen sich nicht über die Umwelt­re­so­nanz stel­len kön­ne. Und zwei­tens, daß uns Dar­wins Blick auf die Natur erst zu sol­chen wachs­tums­ori­en­tier­ten Wesen gemacht habe. Bei­des kann man mit guten Grün­den bezwei­feln, ohne daß man damit Belei­tes’ Erkennt­nis­se über die Gesetz­mä­ßig­kei­ten in der Natur für falsch hal­ten muß. Damit ist auch nichts gegen das Unter­neh­men, den offen­ba­ren Wider­sprü­chen und Lücken der Selek­ti­ons­theo­rie auf die Spur zu kom­men, gesagt. Im Gegen­teil, ihm ist eine Debat­te zu wün­schen, die vor der Fach­wis­sen­schaft nicht haltmacht.

Umwelt­re­so­nanz. Grund­zü­ge einer orga­nis­mi­schen Bio­lo­gie von Micha­el Belei­tes kann man hier bestel­len.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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