Das Buch erweckt nur auf den ersten Blick den Eindruck eines reinen Fachbuches, das für den interessierten Leser kaum zu bewältigen sein dürfte – ein Irrtum! Zunächst ist dieses Buch, wenngleich umfangreich, durchgehend allgemeinverständlich geschrieben, und der Text wird durch zahlreiche Abbildungen veranschaulicht. Weiterhin wendet es sich weniger an ein Fachpublikum als an diejenigen Leser, die sich um ihre Zeit und Lage Gedanken machen. Michael Beleites (Jg. 1964) betreibt Wissenschaft nicht zum Selbstzweck, sondern bettet sie in die geistige Lage der Gegenwart ein. Sein Ausgangspunkt ist dabei ein doppelter: Zum einen hält er die Selektionstheorie Darwins für falsch und möchte den entsprechenden Nachweis führen. Zum anderen sieht er mit der umfassenden Anerkenntnis der Darwinschen Theorie Implikationen verbunden, die unsere wachstumsorientierte Lebensweise erst ermöglichen. Der Anspruch des Buches ist daher ein politischer.
Das ist, wenn man sich den Lebenslauf Beleites’ anschaut, nicht verwunderlich. Der Sohn eines Pfarrers erlernte den Beruf eines Tierpräparators und engagierte sich seit den frühen achtziger Jahren in der Umwelt- und Friedensbewegung der DDR. Nach der Wende war er in verschiedenen politischen Zusammenhängen der Umweltbewegung aktiv, etwa bei Greenpeace, studierte Landwirtschaft und war von 2000 bis 2010 Sächsischer Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen. Seit 1995 hat er an seinem umfangreichen Werk gearbeitet. Er lebt, was für seine Haltung nicht unwichtig ist, auf dem Land.
Beleites verschleiert seine politische Absicht nicht, sondern kommt innerhalb des Textes immer wieder auf die Frage der Konsequenzen der Darwinschen Theorie zurück. In klassischer Weise sind dem Buch die Thesen (in wirklich thesenartiger Form) vorangestellt, die Beleites im folgenden zu belegen unternimmt. Dabei geht er von den Ausgangsvoraussetzungen der Selektionstheorie aus: Aus Variationen in der freien Natur könnten neue Arten entstehen. Die Ansicht weist Beleites zurück, indem er zeigt, daß die von Darwin beobachteten Vorgänge in der Natur nicht vorkommen, sondern aus Erfahrungen der Züchtung von Haustieren abgeleitet sind. In der Natur komme Züchtung nicht vor – auch keine Zuchtwahl.
Beleites belegt dies vor allem mit eigenen Beobachtungen aus der Vogelwelt, aber auch denen des Ornithologen Otto Kleinschmidt, dessen Werk sein wichtigster Bezugspunkt ist. Auf ihn wie auf den Biologen Ludwig von Bertalanffy stützt Beleites seine theoretischen Argumente gegen die »reduktionistische Biologie«. Damit sind dann nicht nur die Mendelschen Gesetze gemeint, die bis heute die Grundlage der Vererbungslehre bilden. Laut Beleites handelt es sich um Theorien, die den empirischen Befunden nicht genügen und trotzdem zu einer Weltanschauung erhoben wurden, die deshalb so erfolgreich ist, weil sie als wissenschaftlich gilt.
Beleites geht es um die Falsifikation dieser Theorien. Seiner Meinung nach bedarf es nicht zwingend einer Ersatztheorie, um deren Vorherrschaft zu brechen (was er den Kreationisten ankreidet). Beleites legt mit der Umweltresonanzein Alternativmodell vor, das den Zusammenhang zwischen den Strukturen der genetischen und ökologischen Ebene beschreibt. Beleites lenkt den Blick auf die Bedingungen des Zusammenhalts einer Art und deren Beziehung zur Umwelt und faßt sie in einer ganzheitlichen, der organismischen Biologie zusammen. Der Zusammenhalt einer Art ist nur in freier Natur gewährleistet, wohingegen es im urbanen Raum zu Informationsverlusten und damit zu einem Auseinanderlaufen der Art kommt.
Diese Sicht der Dinge hat eine entscheidende Konsequenz: die Reintegration des Menschen in die Natur. Wenn es keinen »Survival of the fittest« gebe, so Beleites, könne es auch keinen Rassenkampf geben. Deshalb sei es unproblematisch, die Rasse weiterhin als das Unterscheidungsmerkmal der menschlichen Population zu verwenden. Die Konsequenz, so sympathisch sie im Sinne des freien Blicks auf Dinge ist, hängt an der Anerkenntnis der Grundthese, daß Darwin unrecht hat, wofür Beleites gute Argumente bringt.
Die einzige Schwäche des Buches liegt an anderer Stelle. In der löblichen Absicht, dem Menschen sein Wachstumsstreben als unnatürlich abzugewöhnen, wird zweierlei unterstellt: Erstens, daß der Mensch als Geistwesen sich nicht über die Umweltresonanz stellen könne. Und zweitens, daß uns Darwins Blick auf die Natur erst zu solchen wachstumsorientierten Wesen gemacht habe. Beides kann man mit guten Gründen bezweifeln, ohne daß man damit Beleites’ Erkenntnisse über die Gesetzmäßigkeiten in der Natur für falsch halten muß. Damit ist auch nichts gegen das Unternehmen, den offenbaren Widersprüchen und Lücken der Selektionstheorie auf die Spur zu kommen, gesagt. Im Gegenteil, ihm ist eine Debatte zu wünschen, die vor der Fachwissenschaft nicht haltmacht.
Umweltresonanz. Grundzüge einer organismischen Biologie von Michael Beleites kann man hier bestellen.