6. August
Ich miste aus. Kleider, Krempel, Bücher. Die Tochter darf die Bücher auf eigene Kasse an den Gebrauchtwarenhändler verticken. Eine Menge Zeug wandert ins Altpapier; Sachen, die an der Gebrauchtbücherbörse nicht gehen oder die wir doppelt und dreifach haben.
Der Sohn durchstöbert den Kram: Das, dies und jenes wolle er noch mal lesen: Frauenkitschromane mit Nibelungenbezug („Siegfrieds Schwert wird ewig glänzen“ u.ä.) und Anne Franks Tagebuch, das wir in vier Ausgaben vorhielten. Drei langen ja eigentlich. Letzteres („Verbindliche Ausgabe“ steht drauf) las er heute a) beim Frühstück, b) während des Päuschens beim Holzhacken, c) in der Freizeit am Saalestrand.
Beknackter Kurzdialog heute um 21: 30h: „Papa, hast Du Anne Frank gesehen?“ – „Ist in der Küche. Du hattest sie auf der Tischtennisplatte liegengelassen.“
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7. August
Gespaltene Gesellschaft, jeden Abend: Gehen wir zum Schwimmen an die Prolostelle oder an die Superprolostelle? Tertium non datur, in unserer Region. Die Superproletenstelle gewinnt fast immer. Hier hat es zwar keinen Sandstrand, dafür aber massig Brombeeren. (Daß die Brombeersaison nun schon einen Monat währt ist, nebenbei, eine Strophe in meinem Loblied auf den „Klimawandel“).
Am Strand baden die Prolos, die über ein Auto verfügen, man muß dazu einmal um den (großen) See rum. An der Kiesstelle wir und die mutmaßlich autolosen Prolos.
Zurück zur gespaltenen Gesellschaft: Das Grüppchen neben uns nimmt einen Bräunungsvergleich vor. „Ey, Du bist ja voll der Neger!“- „Das heißt nicht Neger, das heißt Bimbo!“
Kind 1: „Habt ihr das gehört?“; Kind 2, kommt etwas später, flüstert: „Habt ihr das gehört: Bimbo?“; Kind 3, noch später: „Das hättet ihr grad hören sollen, Neger und Bimbo!“
Softer Sommerstreit unter uns (Erwachsenen): Ist das „Volksmund, irgendwie witzig, daß es so was noch gibt“? Oder mal ein eklig-derbes Beispiel für „nach oben buckeln und nach unten treten“?
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8. August
Grad im “Aussteigerinnenbuch” der ehemaligen AfDlerin Franziska Schreiber entdeckt:
Kubitschek ist ein merkwürdiger Geselle. Er duzt Höcke, siezt
aber seine Frau. Das ist konsequent für Menschen, die offenbar ins
Mittelalter zurück möchten. Ihr Umgang ist ausgesprochen höflich
und steril, sie demonstrieren die strenge Distanz einer intellektuell
vergeistigten Zweckehe, die statt auf Leidenschaft, Emotionen
und Liebe eher auf Respekt, Vernunft und höflichen
Austausch setzt. Die Kinder tragen graue und beige Leinenkleider,
die wie selbst genäht aussehen, die langen blonden Haare der
Mädchen sind zu einem Zopf geflochten, sie sprechen, als könnten
sie zwar ein Ritterturnier huldvoll eröffnen, aber ein I‑Pad nicht
einmal anschalten. Das ist traurig, denn sie werden ja in der Zukunft
leben müssen und nicht in der Vergangenheit.
Ich so zu meinen Ritterfrolleins: “So, jetzt mal her mit den Leinenkleidern, den grauen und den beigen! Was treibt Ihr da heimlich, wovon ich nichts weiß?! Andere Leute werden traurig über Euch, und Ihr führt anscheinend ein Doppelleben!”
Da hatte ich glatt mal meine Lebensregeln – Respekt und höflicher Austausch – vergessen.
PS: Befinde mich mittlerweile wieder in steriler Fasson. Flechte, nähe und memoriere ein paar mittelhochdeutsche Weisheiten des von mir hochverehrten Kreuzzugteilnehmers Freidank.
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9. August
Als Stadtkind hatte ich mir immer gewünscht, „mit Tieren zu leben.“ Ich durfte keine halten. Heute darf ichs’s, und es ist oft desillusionierend. Daß in diesem heißen Sommer nicht mal die Kürbisse was werden, ist gut verkraftbar. Tote Jungtiere sind einfach nur ätzend. Vier kleine Kaninchen aus dem ersten Wurf der Junghäsin waren zu verkraften, und nachdem es wohl mittlerweile das fünfzigste Tier war, das uns in all den Jahren weggestorben ist, haben die Kinder auch keinen Elan mehr zu großangelegten Beerdigungszeremonien mit beschriftetem Kreuz und weihevollen Gesängen. Im zweiten Wurf gab es fünf Kaninchen, alle leben bereits in der vierten Woche. Man muß nur gucken, daß sie nicht totgestreichelt werden.
Darüber, daß moderne Hühner nicht mehr glucken (brüten) wollen (und aus wirtschaftlichen Erwägungen auch nicht mehr sollen), hatte ich mich mit qua Menschenvergleich in meinem Büchlein Gender ohne Ende ausgelassen. Treusorgliche Aufzucht ist retro, also passè!
Nun hatte ich erstmals diese Brutmaschine angeworfen, die wir anno dazumal in unserem Rittergut als Altbestand aus DDR-Zeiten vorgefunden hatten. Ich habe im Juli zwölf Eier eingelegt, fleißig gewendet, Temperatur und Luftfeuchtigkeit kontrolliert. In den letzten Tagen sind drei Küken geschlüpft. Nur eines lebt noch. Die anderen neun Eier durften/mußten die Kinder zwecks naturwissenschaftlichem Studium aufschlagen: Fünf waren unbefruchtet (dabei ist der Hahn echt ein Macker), zwei zeigten ein Embryonalstadium, zwei weitere hatten fertig ausgebildete, aber leide tote Küken.
Was hingegen lebt, sind unsere kleinen Kätzchen, mittlerweile elf Wochen alt und sehr süß. Sie werden gern im Puppenwagen durch die Gegend gefahren. Drei hatten wir für Leser „reserviert“. Eines wurde gestern abgeholt, bei den zwei anderen ist der Kunde abgesprungen. Wer noch ein Schnellrodakätzchen will, melde sich: verlag(at)antaios.de. Hier spielen Sie miteinander:
Durendal
Der armen Frau Schreiber ist zu wünschen, dass ihr Gegenwartsverständnis von Liebe, das diese angenehmen Gefühlen gleichsetzt, nicht allzu sehr enttäuscht werden wird.
Im von ihr so unterschätzten Mittelalter, als man Liebe im christlichen Sinne des Begriffes verstand, galt diese als die Entscheidung eines Menschen zum selbstlosen Dienst an einem anderen Menschen.
Nur in diesem Sinne ist ein Versprechen lebenslanger Liebe überhaupt möglich, denn positive Gefühle kann man einem anderen Menschen nicht versprechen.
Traurig werden die Menschen sein, die diesbezüglich modernen Illusionen anhängen und traurig ist auch die lieblose Welt, in der sie leben.