Armin Mohler nannte Cioran einen »postrevolutionären Denker« und spielte damit auf die Absage Ciorans an jede Geschichtsphilosophie an. Seiner Meinung nach gab es in der Geschichte eine Abfolge von Ereignissen ohne jeden Sinn. Mit dieser Haltung stand Cioran im 20. Jahrhundert nicht allein. Er dürfte aber, was die Radikalität des Zweifels an allen Gewißheiten betrifft, zu den bedeutendsten Skeptikern der Geistesgeschichte gehören. Im Gegensatz zu dem in der Philosophie gepflegten »erlaubten Zweifel« geht es Cioran um die radikalere Variante, den Zweifel an sich selbst, die Verzweiflung.
Aus dieser Abgrenzung erklärt sich das Thema des Buches von Jürgen Große (Jg. 1963), der als Philosoph und Historiker bereits mit zahlreichen Büchern hervorgetreten ist, die sich nicht ausschließlich an das Fachpublikum richten, sondern allgemeinverständlich gehalten sind. Große steht damit in einer Tradition, die darauf setzt, daß es auch außerhalb der professionellen Philosophie Leser gibt, die sich der Mühe des Denkens unterziehen.
Seinen zahlreichen Büchern, etwa über die Langeweile, über Nietzsche oder die Lebensphilosophie sowie ein Band Aphorismen im Karolinger-Verlag, hat er nun eines hinzugefügt, das eine gute Hinführung auf Ciorans 20. Todestag im nächsten Jahr ist. Trotz des bescheiden anmutenden Untertitels handelt es sich um ein Buch, das die zentralen Themen des in Transsilvanien geborenen Kulturkritikers behandelt. Großes Arbeit ist vor allem deshalb grundlegend, weil er das Wagnis unternimmt, die unübersichtlichen Themen der Aphorismen und Essays Ciorans einem systematischen Zugriff zu unterwerfen. Damit geht natürlich die unmittelbare Suggestion Ciorans verloren. Sinn des Buches ist aber auch nicht, Cioran-Lektüre zu ersetzen, sondern zu ihr hinzuleiten und vor allem dem Gelegenheitsleser den Kontext aufzuzeigen, in dem einzelne Aspekte des Werkes stehen.
Im ersten Teil behandelt Große unter der Überschrift»Lektüren« die Anregungen und Einflüsse, denen sich Cioran ausgesetzt hat und deren Spuren man in seinem Werk begegnet. Das Spektrum reicht dabei von konkreten Namen wie Epikur oder Heidegger über einzelne philosophische Strömungen wie die Moralistik oder die Lebensphilosophie bis hin zu philosophischen Grundüberzeugungen, wie derjenigen, in einer Spätzeit zu leben, oder der schon genannten Verzweiflung. Im zweiten Teil versucht Große das Denken Ciorans in einzelne Begriffe zu fassen, was bei einem unsystematischen Denker wie jenem eine wirkliche Verständnishilfe ist. Die einzelnen Schriften werden im dritten Teil einzeln vorgestellt, wobei auch auf die Entstehungsgeschichte der rumänischen Frühschriften und Ciorans faschistisches Engagement eingegangen wird.
Ein knappes Porträt des Philsophen, das sich aus Selbstbeobachtungen und Beobachtungen Dritter speist, beschließt den Band. Cioran war keineswegs der menschenverachtende Kauz, als den man sich ihn aus seinen Schriften vorstellen könnte. Zum Zweifel gehört auch der Zweifel am Zweifel. Demzufolge sah Cioran seine Dauerskepsis am Ende seines Lebens kritisch, ohne deshalb daran irre zu werden – eine Kunst, die wohl nur wenige beherrschen.
Erlaubte Zweifel. Cioran und die Philosophie von Jürgen Große kann man hier bestellen.