Nils Werber/Stefan Kaufmann/Lars Koch (Hrsg.): Erster Weltkrieg. Kulturwissenschaftliches Handbuch, Stuttgart: Metzler 2014. 530 S., 69.95 €
Vor einigen Jahren begründeten Gerd Krumeich und Gerhard Hirschfeld in dem Aufsatz »Wozu eine ›Kulturgeschichte‹ des Ersten Weltkrieges« (im Sammelband: Durchhalten! Krieg und Gesellschaft im Vergleich 1914–1918) die Notwendigkeit einer Kulturgeschichte des Ersten Weltkrieges. Anläßlich des Gedenkjahres 2014, das wie erwartet eine große Zahl von Titeln zu allen Forschungsbereichen der »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts« hervorbrachte, wurde dieses Postulat gleich doppelt erfüllt.
Bereits im Vorfeld des Jubiläums legte Ernst Piper einen Versuch vor, der die »Nacht über Europa« untersucht, aber an einigen Stellen nicht über essayistisch gehaltene Kommentare hinauskommt. Faktenreich und systematisch hingegen ist das Kulturwissenschaftliche Handbuch, das die umfangreiche Handbuch-Reihe im Metzler-Verlag eindrucksvoll erweitert.
Die Konzeption der Herausgeber intendiert, den vielzitierten cultural turn, der seit den späten 1980er Jahren in aller Munde ist, auf den »großen Krieg« und die Fülle seiner Deutungsansätze anzuwenden. In diesem Rahmen gehen die Autoren der Beiträge nicht nur auf den Krieg selbst mit seinen enorm vielfältigen Facetten ein (Totale Mobilmachung, Organisation, Technik, Kriegswirtschaft, ideologische Fundierung, Propaganda, Krieg der Nerven und so fort), sondern betten das historische Ringen in längerfristige Zusammenhänge ein. So werden maßgebliche Voraussetzungen wie der Faktor der Geopolitik und der »Kulturkrieg« (Barbara Beßlich), aber auch die Thematik des »Nachkrieges« dargestellt.
Hier werden einige der zahllosen Konsequenzen wie die Bedeutungszunahme radikaler Gemeinschaftskonzepte, die Neuorientierung der Gesellschaft in puncto Geld und Geschlecht und die künstlerische Bewältigung des grauenhaften Geschehens abgehandelt. Ein Ausblick (»Der Erste Weltkrieg als Katastrophe«) rundet die Erörterungen ab.
Das Handbuch wird der Komplexität der Problematik und ihrer Präsentation vollauf gerecht. Das Projekt, an dem sich profilierte Kenner beteiligten, trägt zur nicht leichten Beantwortung der alten Frage bei, was man denn unter der Bezeichnung »Erster Weltkrieg« überhaupt verstehen soll. Als Summe von Schlachten wird man heute die Zäsur zwischen 1914 und 1918, die einige Jahre nach dem Tod des letzten Beteiligten endgültig historisch ist, nicht mehr verstehen können; vielmehr findet sich auch in dieser Publikation die grundsätzliche These Herfried Münklers bestätigt, daß die Geschehnisse dieses Zeitraumes als Laboratorium aufzufassen sind, die – wenn auch unter oft extremen Bedingungen – vorweggenommen haben, welchen Risiken und Gefahren menschliches Leben im 20. Jahr-hundert ausgesetzt ist.
Erster Weltkrieg. Kulturwissenschaftliches Handbuch von Nils Werber, Stefan Kaufmann und Lars Koch kann man hier bestellen.