Kai Voss: Das NSU Phantom.

Eine Rezension von Wiggo Mann

Kai Voss: Das NSU Phan­tom. Staat­li­che Ver­stri­ckun­gen in eine Mord­se­rie, Graz: Ares 2014. 288 S., 19.90 €

2013 kün­dig­te der Ver­lag Antai­os Das NSU-Phan­tom an. Nun liegt die­ses Buch vor, jedoch nicht bei Antai­os: So viel Recher­che und Ent­hül­lung in und aus schwer zu beschaf­fen­dem Mate­ri­al, aus Ver­schluß­sa­chen und behörd­li­chen Doku­men­ten: Der Boden war in Deutsch­land zu heiß, der Ares-Ver­lag aus Graz über­nahm. War­um ist der Boden über­haupt heiß, bei einer Mord­se­rie, deren Sach­la­ge – gemäß sach­kun­di­gen Medi­en – doch längst geklärt ist?

Der Boden ist heiß, weil man über den »Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Unter­grund« (NSU) letzt­lich nur weiß, daß man nichts Kon­kre­tes weiß. Ver­fas­sungs­schutz­mit­ar­bei­ter schred­der­ten die womög­lich ent­schei­den­den Akten zu einem Trio, das bis 2006 meh­re­re Mor­de und bis 2011 Bank­über­fäl­le began­gen haben soll, um Angst und Schre­cken zu ver­brei­ten. Allein, kei­ner nahm die drei aus Jena wahr als das, was sie vor­geb­lich dar­stel­len woll­ten: Nazi-Terroristen.

Im Novem­ber 2011 wur­den plötz­lich in Eisen­ach zwei Män­ner­lei­chen ent­deckt, eine Frau stell­te sich der Poli­zei (oder such­te deren Schutz?), und ein Haus in Zwi­ckau ging in Flam­men auf. Der Rest kann als satt­sam bekannt gel­ten: Eine undurch­sich­ti­ge Anti­fa-Grup­pe ver­kauf­te kurz dar­auf ein »Beken­ner-Video« an ein Nach­rich­ten­ma­ga­zin, besag­te Frau steht in Mün­chen vor Gericht, weil sie das besag­te Haus ange­zün­det habe, um Bewei­se zu ver­nich­ten – frei­lich nur, um kurz dar­auf das »Beken­ner-Video« zu versenden.

Die Geschich­te von mor­den­den Nazi-Bes­ti­en fand Ein­gang in die offi­ziö­se Geschichts­schrei­bung der Bun­des­re­pu­blik. Der Pro­zeß wird anhand von Indi­zi­en und VS-Agen­ten-Aus­sa­gen geführt. Ohne­hin spie­len die Zuträ­ger des Ver­fas­sungs­schut­zes eine dubio­se Rol­le in die­sem Dra­ma, des­sen offi­zi­el­le Ver­si­on nicht hin­ter­fragt wer­den darf.

Kai Voss, Mit­ar­bei­ter einer mit­tel­deut­schen Behör­de, geht den Ein­las­sun­gen der staat­lich und medi­al kol­por­tier­ten Ver­si­on des­sen unge­ach­tet auf den Grund. Er kann dies tun, weil Voss einer­seits ein Pseud­onym ist, und weil er ande­rer­seits mit Com­pactvon Anfang an ein ihn unter­stüt­zen­des Medi­um fand. Für Jür­gen Elsäs­sers Maga­zin griff Voss wie­der­holt zur Feder und publi­zier­te ein Son­der­heft. Da indes wöchent­lich neue Skur­ri­li­tä­ten rund um den »NSU« bekannt wer­den, sah er die Not­wen­dig­keit gege­ben, die­se teils weit ver­streu­ten und schwer zugäng­li­chen Fak­ten zusammenzutragen.

Dem Autor gelingt es im vor­lie­gen­den Buch, einen Bogen zu span­nen, der – abseits von blo­ßen Ver­schwö­rungs­theo­rien – bei Staats­ter­ror (»Gladio«,»Stay behind«) beginnt und bei einem nach­denk­li­chen Fazit endet. Dazwi­schen unter­sucht der Autor die ein­zel­nen Mord­fäl­le, ver­weist auf Unge­reimt­hei­ten und offen­sicht­li­che Täu­schun­gen und nimmt sich auch des 4. Novem­bers 2011 an, also jenes Tages, an dem der »NSU« in sei­ner heu­ti­gen Dar­stel­lung womög­lich erst gebo­ren wurde.

Minu­ti­ös weist Voss nach, wes­halb die Beweis­mit­tel der Ankla­ge vie­les sind – aber kei­ne Bewei­se. Regel­recht erschüt­ternd ist sei­ne Dar­stel­lung des V‑Mann-Bezie­hungs­ge­flechts rund um die mut­maß­li­chen Ter­ro­ris­ten. Es zeigt, daß der Ver­fas­sungs­schutz min­des­tens wuß­te, wer sich wo auf­hält und mit wem wer wann kor­re­spon­dier­te. Min­des­tens: Denn das mys­te­riö­se Able­ben gleich meh­re­rer wich­ti­ger Zeu­gen in die­ser als »Jahr­hun­dert­pro­zeß« bezeich­ne­ten Far­ce legt nahe, daß hier mehr als blo­ßes Wis­sen im Spiel war.

Die fina­le Fra­ge, die sich zwi­schen all den toten Zeu­gen und mys­te­riö­sen Geheim­dienst-akti­vi­tä­ten auf­drängt, lau­tet: Gab es den NSU überhaupt?

Das NSU Phan­tom. Staat­li­che Ver­stri­ckun­gen in eine Mord­se­rie von Kai Voss kann man hier bestellen. 

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