Markus Feldenkirchen: Keine Experimente. Roman

Markus Feldenkirchen: Keine Experimente. Roman, Zürich/Berlin: Kein & Aber 2013. 400 S., 22.90 €

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Fre­de­rik Kal­len­berg ist ver­schwun­den. Das ist schon des­halb der Rede wert, weil Kal­len­berg kein Mann für spon­ta­ne Spe­renz­chen ist. Zur Schlag­zei­le wird sei­ne fast spur­lo­se Abwe­sen­heit des­halb, weil er MdBist, Mit­glied des Bun­des­tags. »Kei­ne Expe­ri­men­te« ist Kal­len­bergs Mot­to, und auf sei­nen Wahl­pla­ka­ten ste­hen Slo­gans wie »Wer­te wäh­len«, »Anstand hat einen Namen« oder, umständ­lich, wie er ist: »Ande­re spot­ten über die hei­le Welt – ich kämp­fe für sie.« Kal­len­berg ist durch und durch kon­ser­va­tiv. Er ist eine ehr­li­che Haut. Sei­ne Hei­mat ist die sau­er­län­di­sche Provinz.

Als Jun­ge hat­te er schwer unter der müt­ter­li­chen Untreue, dem väter­li­chen Phleg­ma und Suff gelit­ten. Er ent­wi­ckel­te Zwangs­neu­ro­sen und fand dau­er­haf­ten Trost und Zuspruch in der katho­li­schen Kir­che. Und in Julia, die er seit der Schul­zeit liebt. Die bei­den haben zwei Kin­der und tele­pho­nie­ren zu fest­ge­leg­ten Zei­ten, wenn Fre­de­rik in Ber­lin sein muß. Fre­de­rik ist das gute Gewis­sen sei­ner Par­tei, er gilt als »letz­ter Joker des deut­schen Konservatismus«.
Man­che nen­nen ihn einen »kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­tio­när«, ande­re schimp­fen den attrak­ti­ven, nach­denk­li­chen Mann einen »reak­tio­nä­ren Sack«. Im Netz kur­sie­ren Haß­sei­ten wie»kallenbergswirrewelt« und»stoppt-kallenberg«.

Den Poli­ti­ker tan­giert das nur am Ran­de. Aus grund­sätz­li­chen Erwä­gun­gen begibt er sich sel­ten in vir­tu­el­le Wel­ten, selbst sein Mobil­te­le­phon bedient er nur spo­ra­disch. Heu­te: das ist nicht sei­ne Welt. Sie erscheint ihm als laut, ver­lo­gen, mit alber­nen Angli­zis­men durch­setzt, durch und durch deka­dent. Mit Schre­cken und Ekel merkt er, daß auch sei­ne welt­an­schau­lich nahes­ten Kol­le­gen des »Kon­ser­va­ti­ven Krei­ses« längst ange­fres­sen sind von den Übeln der Zeit, daß sie Zoten rei­ßen und Strip­bars besu­chen. Kal­len­berg hat sich einen Namen gemacht als Ver­fech­ter eines Müt­ter­gel­des. Schla­gen­de Argu­men­te für die häus­li­che Betreu­ung des Nach­wuch­ses hat er stets parat, er kennt Stu­di­en, Sta­tis­ti­ken, Fälle.

Aber dann gerät er aus­ge­rech­net in der meist­ge­se­he­nen Talk­show an Dag­mar Kepp­ler, jene dop­pel­ge­sich­ti­ge Gran­de Dame des bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen (Alt-)Feminismus. Kepp­ler (kaum ver­bor­gen und tref­fend gezeich­net ein Alter ego Ali­ce Schwar­zers) redet den gut­mü­ti­gen Fon­ta­ne-Lieb­ha­ber Kal­len­berg in Grund und Boden: »Stop­stop­stop! Jetzt las­sen sie mich mal aus­re­den!« Die Frau­en­recht­le­rin beginnt jede ihrer publi­kums­wirk­sa­men Ein­la­gen mit einer fau­chen­den Dro­hung: Die Sen­dung wird zur glat­ten Nie­der­la­ge Kal­len­bergs. So sehr, daß sich selbst die Kanz­le­rin per Han­dy bei ihrem Par­tei­kol­le­gen mel­det. Frau Bun­des­kanz­ler fragt süf­fi­sant, ob er, Kal­len­berg, etwa ein Pro­blem mit einer Frau als Che­fin habe?

Deut­lich bes­ser lief da die Dis­kus­si­on, die Kal­len­berg kurz zuvor in einem klei­nen, lin­ken Asta-Kreis mit der Jung­fe­mi­nis­tin Lia­ne führ­te. Es hat­te Rede und Gegen­re­de gege­ben, und es zeig­te sich, daß Gegen­sät­ze sich durch­aus anzie­hen kön­nen. Und aus-! Was der zuvor treue Fami­li­en­va­ter nicht ahnt: Lia­ne hat eine Wet­te lau­fen. Sie soll Kal­len­berg ver­füh­ren. Es wird ihr gelingen.

Mar­kus Fel­den­kir­chens Buch der Psy­cho­ge­ne­se eines strau­cheln­den kon­ser­va­ti­ven Über­zeu­gungs­tä­ters ist über­aus unter­halt­sam, auch wenn die oft holz­schnitt­ar­ti­ge Spra­che («die Frau­en ras­te­ten fast aus vor Begeis­te­rung«) ver­rät, daß hier kein gro­ßer Sti­list am Werk war. Sein Per­so­nal hin­ge­gen führt er trotz zahl­rei­cher Kli­schees nicht vor. Kal­len­berg ist stock­kon­ser­va­tiv und see­lisch leicht behin­dert, aber er ist kein Idi­ot. Er ist ein bele­se­ner, emp­find­sa­mer und begeis­te­rungs­fä­hi­ger Idea­list. Natür­lich wird er am Ende geläu­tert, und die Tra­gö­die wird zum Aufklärungsstück.

Das Autoren­pho­to mag den einen oder ande­ren Leser übri­gens stut­zen las­sen: Das ist doch ein höchst bekann­ter kon­ser­va­ti­ver Publi­zist! Doch nein, es ist eine char­man­te opti­sche Täu­schung. Fel­den­kir­chen, preis­ge­krön­ter Publi­zist und Roman­au­tor, arbei­tet seit vie­len Jah­ren für das Haupt­stadt­bü­ro des Spie­gel. Er wird sei­ne Pap­pen­hei­mer kennen.

 

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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