Ulrich Herbert: Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, München: C.H. Beck 2014. 1451 S., 39.95 €
Ulrich Herbert hat sich im Rahmen diverser vergangenheitspolitischer Debatten in den vergangenen zwei Jahrzehnten klar positioniert. Er zählt zum linken und linksliberalen Hauptstrom der deutschen Historikerzunft. So war vor der Publikation der großen Gesamtdarstellung einige Skepsis geboten.
Die Konzeption dieses Buches ist durchaus konsensfähig. Das 20. Jahrhundert wird nicht auf die NS-Zeit fokussiert, immerhin sind rund siebenhundert von tausendvierhundert Seiten der Periode von 1945 bis 2000 gewidmet. Natürlich läßt sich in einem solchen Gesamtüberblick nur wenig präsentieren, was dem Kenner neu wäre. Hervorzuheben ist, daß der Verfasser aus einer Reihe unbekannter Quellen zitiert, die die Erzählung auflockern. An einigen Stellen wählt er im Kontext der behandelten Epoche ein markantes Jahr aus, um den Zustand der deutschen Gesellschaft anhand exemplarischer Beispiele zu schildern.
Herberts Deutung des Ersten Weltkrieges mutet angesichts der Kontroversen der letzten Monate unterkomplex an. Die Zeit des Dritten Reiches ist ihm aufgrund seiner bisherigen Arbeiten besser vertraut. Folgerichtig erschließt er die primär improvisatorischen Hintergründe des Mordes an den europäischen Juden, in methodischer Anlehnung an die Funktionalisten, auf der Basis neuester Forschungen. Mit Recht konstatiert er am Ende des NS-Kapitels, daß ein früher mitunter positiv eingeschätzter Aspekt des Nationalsozialismus, seine Funktion als »Gegenentwurf zum liberal-kapitalistischen System«, aufgrund der ungeheuren Gewaltdynamik, den diese Weltanschauung freigesetzt hat, nach 1945 gänzlich an Anziehungskraft verloren hat. Daß die gewaltigen Verbrechen an Deutschen am Ende des Krieges nur en passant erwähnt werden, entspricht dem bundesrepublikanischen Diskurs-Komment.
Im Anschluß an die epochale Zäsur des Kriegsendes wird vom kurzzeitigen Aufblühen des industriellen Fundaments in den 1950er und 1960er Jahren berichtet. Danach machten sich vor allem postindustrielle Herausforderungen bemerkbar. Fundamentale Diskussionen der letzten Jahre, beispielsweise über »Maastricht« wie auch über die Problematik der Asylpolitik und über das Narrativ vom »Ende der Geschichte«, beschließen die Untersuchung. Sie ist kein großer Wurf, jedoch wird ihr wohl eine gewisse Bedeutung für die künftige Geschichtsschreibung zukommen.
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