Zunächst ist dieses breit rezipierte, von allen politischen Lagern sowohl gescholtene als auch gelobte Buch ein Wechselbad: Dieser Neontitel – Hilfe! Der Untertitel dann sowie das Kleingedruckte auf dem Cover (die »Tussi« quäkt ihre Sprechblase: Immer ist der Mann schuld oder »männliche Strukturen«: wenn es mit der Karriere nicht läuft, wenn die Kinder nerven, wenn keine Kinder sich einstellen …): Ja! Das ist ein Thema, über das sich reden ließe. Daß Gesprächsbedarf herrscht zum Thema All-over-Feminismus, hat der Erfolg von Birgit Kelles Buch Dann mach doch die Bluse zu gezeigt.
Warum die beiden Autorinnen (dreißigundetwas, kinderlos) sich auf den Begriff »Tussi« (ist das nicht die mit der Lästerschnauze und den straßverzierten Fingernägeln?) geeinigt haben, bleibt wirr und weit hergeholt. Sie binden ihr im Verlauf des Buches immer unklarer werdendes Feindbild an die Thusnelda aus Kleists Hermannschlacht an. Thusnelda, die Ehefrau Hermanns, wurde von einem römischen Legaten umworben. Als sie merkt, daß man sie getäuscht hat, lockt sie den Römer in ein Bärengehege und läßt ihn zerfleischen.
Solche Handlung ist zwar hoch symbolisch, wird für den gewünschten Zusammenhang aber arg amputiert und zurechtgeschnitten. Wenn die Autorinnen dann noch von den Gegenspielern Hermann und Arminius sprechen, fühlt sich der Boden, auf dem hier gestritten werden soll, recht wackelig an. Aber man will mit Empathie lesen und geht auch über all die Wendungen hinweg, die ein schick geschriebenes Buch notwendig beinhalten: über all die Beteuerungen, wie »aufregend« es sei, daß über die Rollenfrage debattiert werde und darüber, was Geschlecht »eigentlich« bedeute. So reden und empfinden sie eben heute!
Zügig kommen Bäuerlein/Knüpling zur Sache: Der aktuelle Geschlechterdiskurs sei nicht »geschlechtssensibel«, sondern »geschlechtsbesessen«. Es sei eine Diskussion, in der von vornherein feststehe, »daß nur ganz bestimmte Beiträge erwünscht« seien: nämlich solche, die klar von einer gesellschaftlichen Unterdrückung der Frau ausgehen. Die die Frau entweder als Opfer oder als Heilige präsentieren. Aufgeräumt wird (zum x‑tenmal, was nicht schaden kann angesichts der Beharrungskraft der gängigen Parolen) mit der Mär von der Gender-Gap, vom festsitzenden Gerücht also, daß Frauen 22 Prozent weniger verdienen als Männer. Sie wollen es nicht anders, unterm Strich, und die Autorinnen halten es für denkbar, daß der Verzicht auf eine Eins-A-Karriere, auf permanente Überstunden und auf die Priorität Erwerbswelt gar keine schlechte Wahl sei. Klug: Wenn »der Ruf der Hausfrau nicht so gründlich herabgesetzt wäre«, gäbe der Feminismusdiskurs deutlich mehr »gesellschaftskritisches Potential« her!
Die Autorinnen berufen sich auf den »Klassenstandpunkt«. Das klingt forsch. Sie meinen damit, daß viele Probleme, die unter Geschlechterfragen abgehandelt werden, besser aus übergeordneter Perspektive betrachtet werden sollten: Prekäre Jobs sind kein Frauenthema. Überhaupt solle man sich hüten, von »den Frauen« zu reden, wo es um individuelle Bedürfnisse gehe. Richtig: Die sogenannte Tussi versteckt sich hinter einer statistischen Größe, der »durchschnittlich unterdrückten Frau«. Quotenfragen betreffen Bevölkerungsgrößen im Promillebereich. Im Bewußtsein von Lieschen Müller kommt aber an: Wir Frauen werden unterdrückt.
Die Autorinnen sind in puncto Individualität ein wenig inkonsequent, zumal das Buch im Ich-Ton gehalten ist. Ich sind in dem Fall zwei Personen. Die beiden kennen die gängige populärwissenschaftliche Literatur zum Thema und referieren sie breit. Das ist für jenen Leser ermüdend, der die gängige Literatur ebenfalls kennt und weiß, daß diese zu großen Teilen aus Referaten gängiger Literatur besteht. In Sachen Geschlechterdiskurs wird immer bei Null angesetzt!
Nach vielen hervorragenden Beobachtungen (eine Autorin mußte nach ihrem Anti-Harassment-Training laufend an Sex und sexuelle Bedrohungen denken), die sich mit streitbaren Einstellungen (jenseits des Kreißsaals sei die Welt geschlechtsneutral) abwechseln, wird das Buch merkwürdig flau und verliert sein Thema. Knüpling präsentiert ihr Tagebuch als Amateurboxerin. Porno als Kunstform wird leidenschaftlich verteidigt (eine Autorin war mal am Set und hat sich »verdammt wohl gefühlt«: lauter coole Menschen dort), der Freund trägt pinke Schuhe, Trans- und Intersexuelle kommen in Protokollen genauso zu Wort wie eigene sexuelle Erfahrungen. Was war noch mal das Thema? Schattenboxen, Spiegelfechten?
Tussikratie von Theresa Bäuerlein und Friederike Knüpling kann man hier bestellen.