Schon der vielversprechende Titel läßt vermuten, daß es Stefan Dornuf in seinem bei Karolinger erschienenen neuen Buch auf eine intellektuelle Ehrenrettung eines heute nahezu vergessenen Schriftstellers abgesehen hat, dem es zu Lebzeiten freilich nicht an Popularität mangelte.
Unter den tonangebenden Intellektuellen der jungen Bundesrepublik allerdings genoß der 1914 in der Bukowina geborene und 1938 nach Berlin übergesiedelte Gregor von Rezzori einen eher zweifelhaften Ruf: Der »Gruppe 47« verbürgte das literarische Emporkommen des vormaligen »Mitläufers« die unheilvolle Kontinuität zwischen Hitler-Deutschland und Adenauer-Republik; konservativen Kulturträgern wiederum galt der umtriebige und vielseitige Künstler, der sich zunächst als Autor von Unterhaltungsromanen und Drehbüchern profilierte und zudem als Filmschauspieler chargierte, vollends als »Schlawiner« und»Salonlöwe«, seit er auch noch mit Reportagen über die Reichen und die Schönen für die »Yellow Press« und den Playboy von sich reden machte.
Unser Autor dagegen porträtiert Rezzori als nonkonformistischen Geist einer untergegangenen Epoche, der gerade als verspäteter Donaumonarchist zum unzeitgemäßen Betrachter deutscher Nachkriegszustände prädestiniert war. Schon als Berichterstatter der Nürnberger Prozesse hatte Rezzori ’45 nicht als Jahr der Befreiung, sondern als bloßen Etappensieg der Machtergreifung eines ressentimentgeladenen Kleinbürgertums gewürdigt, welches sich zunehmend als »Generalpächter des Guten« aufspielte.
Und später avancierte er zum hintergründigen Stichwortgeber der beiden einflußreichsten deutschen Soziologenschulen: der »Philosophischen Anthropologie« und – in geringerem Maße – der »Kritischen Theorie«. Was deren Wortführer, Arnold Gehlen und Theodor W. Adorno, trotz ihrer konträren politischen Grundüberzeugungen und Lebensschicksale, untereinander verband und zu einer späten Freundschaft führte, war nicht nur die gemeinsame Frontstellung gegen die liberale, frankophile Soziologie eines René König; es war vor allem ihre großbürgerliche Herkunft, die sie zu elitären Außenseitern in dem kleinbürgerlichen Universitätsmilieu der Nachkriegszeit machte und ihnen einen soziologisch geschärften Blick verlieh – auch für ihren eigenen Anachronismus.
Daß die beiden habituellen Geistesaristokraten sich als die letzten Repräsentanten einer großen philosophischen Tradition empfanden, die keine gleichrangige Fortsetzung mehr finden würde, mußte sie gerade für die Zeitdiagnosen Rezzoris hellhörig machen, wiewohl sie es verschmähten, den Namen des allzu populären Parvenüs in ihren Schriften zu erwähnen. Jedenfalls hat Rezzori mit seinem »ironischen Konservatismus« und »austrazischen Nihilismus« eine Kritik am »Humanitarismus« und »Eudämonismus« der anbrechenden Konsumgesellschaft feuilletonistisch vorformuliert, wie sie wenig später von Gehlen und Schelsky theoretisch ausgearbeitet werden sollte.
Mag Dornuf die inspirierende Rolle Rezzoris insgesamt auch überbewerten – ihm selbst jedenfalls hat sein Held allemal Inspiration genug geboten, um diese pointierte und andekdotenreiche Kurzeinführung in die deutsche Nachkriegssoziologie zu verfassen. Wie stets gelingt es dem brillanten Essayisten Dornuf auch in diesem Buch, gewichtige Themen mit sprachlicher Leichtigkeit zu präsentieren, und so haben diese »Minima Soziologica« nur einen Fehler: sie sind entschieden zu kurz.
Der Kampf ums Dabeisein. Gregor von Rezzori und die deutsche Nachkriegssoziologie von Stefan Dornuf kann man hier bestellen.