Franz Sedlacek: Die Stadt

Franz Sedlacek: Die Stadt. Eine phantastische Erzählung, Wien und Leipzig: Karolinger  2014, 158 S., 24 €

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Wer sich als Lieb­ha­ber ein­schlä­gi­ger Gewäch­se in die Welt des Malers und Gra­phi­kers Franz Sedlacek begibt, wird trotz oder gera­de wegen aller Selt­sam­kei­ten, die ihm dort begeg­nen, rasch ver­trau­tes Gelän­de ent­de­cken. Näm­lich die spe­zi­fi­sche Mischung aus Phan­tas­tik und Sati­re, Beklem­mung und maka­brem Humor, Kau­zig­keit und Gru­sel, die man auch aus den Wer­ken ande­rer alt­ös­ter­rei­chi­scher Art­ver­wand­ter kennt: etwa Alfred Kubin, Gus­tav Mey­rink, Franz Kaf­ka, Leo Perutz oder Fritz von Herz­ma­novs­ky-Orlan­do. Sedlaceks düs­te­re Stadt- und Land­schafts­bil­der, auf denen der Him­mel stets ver­han­gen oder stür­misch umweht ist und nur ein­zel­ne mar­kan­te Licht-fle­cken oder – punk­te her­vor­glü­hen, ste­hen an der Kip­pe zwi­schen Traum und Alptraum.

Ist das Schö­ne schon schreck­lich oder umge­kehrt? Wie Püpp­chen oder Zinn­fi­gu­ren in über­di­men­sio­nier­ten Spiel­zeug­mo­del­len bewe­gen sich dar­in die Men­schen gleich Schlaf­wand­lern und gehen zwie­lich­ti­gen bis rät­sel­haf­ten Tätig­kei­ten und Lei­den­schaf­ten nach. Sedlacek lieb­te auch noc­turne Gespens­ter­er­schei­nun­gen, gro­tesk-anthro­po­mor­phe Pflan­zen und Tie­re und hoff­man­nes­ke Sze­nen mit skur­ri­len Wis­sen­schaft­lern in ihren trü­ben Studierstuben.

Er selbst pfleg­te wie vie­le Öster­rei­cher eine ent­spre­chen­de Dop­pel­exis­tenz: im zivi­len Berufs­le­ben war der 1891 in Bres­lau gebo­re­ne, in Linz auf­ge­wach­se­ne und in Wien hei­mi­sche Künst­ler Che­mi­ker und stell­ver­tre­ten­der Direk­tor eines Tech­ni­schen Muse­ums. Der Karo­lin­ger-Ver­lag lei­te­te 1990 mit einen präch­ti­gen Bild­band – ver­se­hen mit einem Vor­wort von Erik von Kueh­nelt-Led­dihn! – die Renais­sance des inzwi­schen halb­ver­ges­se­nen Meis­ters ein. Nun ist ein lan­ge unter Ver­schluß gehal­te­nes Roman­frag­ment Sedlaceks erschie­nen, ange­rei­chert mit schö­nen Bild­bei­ga­ben: Die Stadt schil­dert ähn­lich wie Kubins Die ande­re Sei­te eine Rei­se in ein Zwi­schen­reich, in dem die Logik des Trau­mes herrscht, ange­legt als Wan­de­rung durch meh­re­re Sedlacek-Gemäl­de, die detail­iert beschrie­ben werden.

Die titel­ge­ben­de »Stadt« bleibt unge­nannt, ist aber unver­kenn­bar das dämo­nisch-gemüt­li­che Wien, in dem der Erzäh­ler gefan­gen ist wie die Figu­ren in Kaf­kas Erzäh­lun­gen: »So war mir nun klar gewor­den, daß es mir bestimmt sei, in die­ser Stadt aus­zu­har­ren, bis ich auf irgend­ei­ne Wei­se aus ihr weg­ge­ru­fen oder fort­ge­führt wer­den wür­de.« Unver­meid­lich waren wohl die Sei­ten­hie­be auf die kaka­ni­sche Büro­kra­tie: so wird der Leser in die Mys­te­ri­en des Abbaus von »Akten-Gestein« in ent­spre­chen­den Berg­wer­ken und die Fließ­band­pro­duk­ti­on von Beam­ten, »Regie­rungs- und Minis­te­ri­al­rä­ten« in spe­zia­li­sier­ten Fabri­ken ein­ge­weiht. Die Rei­se endet abrupt und ver­läuft eben­so im Nichts wie Sedlaceks Leben: sei­ne Spur ver­liert sich Anfang 1945 bei der Ver­tei­di­gung der Fes­tung Thorn in Westpreußen.

Franz Sedlaceks Die Stadt kann man hier bestel­len.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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