Wer sich als Liebhaber einschlägiger Gewächse in die Welt des Malers und Graphikers Franz Sedlacek begibt, wird trotz oder gerade wegen aller Seltsamkeiten, die ihm dort begegnen, rasch vertrautes Gelände entdecken. Nämlich die spezifische Mischung aus Phantastik und Satire, Beklemmung und makabrem Humor, Kauzigkeit und Grusel, die man auch aus den Werken anderer altösterreichischer Artverwandter kennt: etwa Alfred Kubin, Gustav Meyrink, Franz Kafka, Leo Perutz oder Fritz von Herzmanovsky-Orlando. Sedlaceks düstere Stadt- und Landschaftsbilder, auf denen der Himmel stets verhangen oder stürmisch umweht ist und nur einzelne markante Licht-flecken oder – punkte hervorglühen, stehen an der Kippe zwischen Traum und Alptraum.
Ist das Schöne schon schrecklich oder umgekehrt? Wie Püppchen oder Zinnfiguren in überdimensionierten Spielzeugmodellen bewegen sich darin die Menschen gleich Schlafwandlern und gehen zwielichtigen bis rätselhaften Tätigkeiten und Leidenschaften nach. Sedlacek liebte auch nocturne Gespenstererscheinungen, grotesk-anthropomorphe Pflanzen und Tiere und hoffmanneske Szenen mit skurrilen Wissenschaftlern in ihren trüben Studierstuben.
Er selbst pflegte wie viele Österreicher eine entsprechende Doppelexistenz: im zivilen Berufsleben war der 1891 in Breslau geborene, in Linz aufgewachsene und in Wien heimische Künstler Chemiker und stellvertretender Direktor eines Technischen Museums. Der Karolinger-Verlag leitete 1990 mit einen prächtigen Bildband – versehen mit einem Vorwort von Erik von Kuehnelt-Leddihn! – die Renaissance des inzwischen halbvergessenen Meisters ein. Nun ist ein lange unter Verschluß gehaltenes Romanfragment Sedlaceks erschienen, angereichert mit schönen Bildbeigaben: Die Stadt schildert ähnlich wie Kubins Die andere Seite eine Reise in ein Zwischenreich, in dem die Logik des Traumes herrscht, angelegt als Wanderung durch mehrere Sedlacek-Gemälde, die detailiert beschrieben werden.
Die titelgebende »Stadt« bleibt ungenannt, ist aber unverkennbar das dämonisch-gemütliche Wien, in dem der Erzähler gefangen ist wie die Figuren in Kafkas Erzählungen: »So war mir nun klar geworden, daß es mir bestimmt sei, in dieser Stadt auszuharren, bis ich auf irgendeine Weise aus ihr weggerufen oder fortgeführt werden würde.« Unvermeidlich waren wohl die Seitenhiebe auf die kakanische Bürokratie: so wird der Leser in die Mysterien des Abbaus von »Akten-Gestein« in entsprechenden Bergwerken und die Fließbandproduktion von Beamten, »Regierungs- und Ministerialräten« in spezialisierten Fabriken eingeweiht. Die Reise endet abrupt und verläuft ebenso im Nichts wie Sedlaceks Leben: seine Spur verliert sich Anfang 1945 bei der Verteidigung der Festung Thorn in Westpreußen.
Franz Sedlaceks Die Stadt kann man hier bestellen.