Helmut Lethen: Der Schatten des Fotografen. Bilder und ihre Wirklichkeit

Eine Rezension von Christian Marschall

Hel­mut Lethen: Der Schat­ten des Foto­gra­fen. Bil­der und ihre Wirk­lich­keit, Ber­lin: Rowohlt 2013. 256 S., 19.95 €

Der Ger­ma­nist Hel­mut Lethen, Jahr­gang 1939, hat mit sei­nen Ver­hal­tens­leh­ren der Käl­te (1994) einen Klas­si­ker ver­faßt. Die Wer­ke Gott­fried Ben­ns und Ernst Jün­gers waren lan­ge Jah­re Objek­te sei­nes ger­ma­nis­ti­schen und kul­tur­wis­sen­schaft­li­chen Schaf­fens. Im Früh­jahr ist Lethen, mitt­ler­wei­le eme­ri­tiert, mit dem Sach­buch­preis der Leip­zi­ger Buch­mes­se aus­ge­zeich­net wor­den. Lethens Buch­ti­tel ist Hans Becker von Sothens zeit­nah erschie­ne­nen Bild-Legen­den. Fotos machen Poli­tik ver­wandt, doch wäh­rend letz­te­rer einen ent­lar­ven­den Abgleich von publi­zier­ter Fäl­schung und Ori­gi­nal vor­nimmt (fünf Ster­ne in der durch­schnitt­li­chen Ama­zon-Bewer­tung, also Höchst­no­te), geht es Lethen um die »Rhe­to­rik der Bil­der«, um die Aus­lo­tung von »Wirk­lich­kei­ten zwei­ter Hand« (ein Punkt bei Amazon).

Soweit ist es klar: Als Medi­en­nut­zer neh­men wir nur ver­mit­telt am Tat­säch­li­chen teil. Die Pho­to­gra­phie, so sagt es Lethen mit Roland Bar­thes, sei­ner hier wich­tigs­ten Bezugs­grö­ße, sei eine »Emana­ti­on des Refe­ren­ten«, also des­sen, der das Bild »macht« und des­sen, der es publi­ziert. Lethen inter­pre­tiert, plau­dert, schwa­dro­niert ent­lang sei­ner eige­nen Bio­gra­phie als Muse­ums- und Kinobesucher.

Sprach­lich ist das absatz­wei­se schön, mal abs­trakt-theo­re­tisch, oft auch voll­ends ver­schwur­belt. »Mit dem Ver­lust der Fähig­keit zur Objek­ti­va­ti­on in einem durch sym­bo­li­sche Prak­ti­ken aus­ge­dehn­ten Per­so­nal­raum fällt der Betrof­fe­ne aus der Sphä­re des inter­sub­jek­ti­ven Aus­tauschs«, so schreibt Lethen über eine Per­for­mance. Durch zahl­rei­che Sät­ze die­ser Art, sel­ten dezi­diert wer­tend (allen­falls Wer­tun­gen als Zitat wie­der­ge­bend), immer im intel­lek­tua­lis­ti­schen Duk­tus des unent­schie­de­nen Dazwi­schen­seins befan­gen, hat sich der Leser zu wühlen.

Lethen, der Ex-Mao­ist, beschreibt sei­nen »Hun­ger nach Empi­rie« nach der Erschöp­fung des kom­mu­nis­ti­schen Pro­jekts. Es sei ihm in sei­ner post­ideo­lo­gi­schen Pha­se dar­um gegan­gen, sich »die Din­ge räum­lich und mensch­lich näher zu brin­gen, um der Fer­ne hab­haft zu wer­den«. Das klingt plau­si­bel. Es wird frag­wür­dig, wo sich Lethen sei­ten­lang mit Bruce Nau­manns Skulp­tur »Wax impres­si­on of the Kne­es of Five Famous Artists« (1966) beschäf­tigt. Nur ein Detek­tiv, der die unge­nann­ten Urhe­ber jener Knie­ab­drü­cke ding­fest machen könn­te, wer­de vom »Schre­cken des unge­wis­sen Zei­chens« befreit. Wel­cher Knie­ab­druck gehört zu wel­chem Künst­ler? Lethen erhebt die Fra­ge zum phi­lo­so­phi­schen Ernst­fall. Ist das abge­ho­ben? Anspruchs­voll? Oder doch non­sen­se, völ­lig irrelevant?

Auch in den weni­gen inter­es­san­ten Pas­sa­gen macht Lethen wenig Anstal­ten, Stel­lung zu bezie­hen. Er beschreibt, wie 1945 dem deut­schen Kino­pu­bli­kum gele­gent­lich Wes­tern ange­kün­digt wur­den, statt des­sen aber Atro­ci­ty-Fil­me vor­ge­führt wur­den, zum Bei­spiel die Todes­müh­len von Ausch­witz. »Die Ree­du­ca­ti­on-Offi­zie­re regis­trier­ten mit Erleich­te­rung, daß das Publi­kum nicht scha­ren­wei­se den Saal ver­ließ.« Die Besu­cher wur­den beim Zuschau­en gefilmt, um die »Beschä­mung in der Ver­ge­gen­wär­ti­gung der Grau­sam­kei­ten eines Täter­volks welt­weit publik« zu machen.

Län­ge­re Pas­sa­gen wid­met Lethen den Bil­dern der soge­nann­ten Wehr­machts­aus­stel­lung, die 1995–1999 durch acht­und­zwan­zig Städ­te tour­te, bis sie auf­grund von Kri­tik an der Authen­ti­zi­tät zahl­rei­cher Bil­der (»fata­ler Lei­chen­tausch«) abge­setzt und 2001 in neu­em Gewan­de eröff­net wur­de. Nun wur­de nicht mehr auf Pole­mik und die Schock­wir­kung der Bil­der gesetzt. Text domi­nier­te. Der Besu­cher sah sich in ein ste­ri­les For­schungs­la­bor ver­setzt, er durf­te in Ple­xi­glas­ka­bi­nen die akri­bisch-kri­mi­no­lo­gi­schen Kom­men­ta­re lesen. »Die ana­ly­ti­sche Prä­sen­ta­ti­on löst einen psy­chi­schen Mecha­nis­mus aus, den man vom Gen­re des Hor­ror kennt: Selbst­re­fle­xi­on erhöht den Schre­cken«, schreibt Lethen. Erst der betont sach­li­che Text­rah­men habe die Bil­der zu »Hit­ze­kam­mern der Empa­thie gemacht«.

Ande­re Pho­tos, etwa die aus dem Inne­ren des Kre­ma­to­ri­ums V in Ausch­witz, sei­en nie zum Objekt der Wis­sen­schaft gewor­den. Daß sich nur Nar­ren mit einer wis­sen­schaft­li­chen Beweis­füh­rung rund um die Todes-KZbe­schäf­ti­gen, daß die Beschäf­ti­gung damit unter Umstän­den straf­be­wehrt ist, schreibt Lethen nicht. Nur, daß die­se Bil­der «von der Aura hei­li­gen Ent­set­zens umge­ben bleiben«.

Der Schat­ten des Foto­gra­fen. Bil­der und ihre Wirk­lich­keit von Hel­mut Lethen kann man hier bestel­len.

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