Mit den typischen Politiker-Bekenner-Büchern hat es wenig gemein; es legt eine Offenheit und Direktheit an den Tag, die man fast als unpolitisch oder gar antipolitisch bezeichnen kann, sofern man dem mittlerweile gängigen Politikbegriff anhängt. Höcke aber ist einer vom alten Stamm, der unter Politik nicht das Vertreten von Parteiinteressen versteht, sondern dem Volke zu nutzen und Schaden von ihm abzuwehren und dazu gehört es, die „Deutungshoheit des Establishments“ auch durch Ablehnung seiner Sprachregelungen zu brechen. Die Aversion der Herrschenden in Politik und Medien sei verständlich und korrekt: „Ich bin durch Verlockungen des Establishments nicht korrumpierbar.“
Man neigt dazu, wenn man dem Gespräch folgt, ihm diese markigen Worte abzunehmen. Höcke hat Prinzipien, aber er betont zugleich fast wie ein Mantra die Notwendigkeit der Beweglichkeit. Man lernt Höcke als Idealisten, Romantiker und Visionär kennen, aber eben auch als Real- und Machtpolitiker, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Eine historische Konstante schält sich heraus, in beiderlei Gestalt, eine davon überraschend: Preußen. Preußen, inkarniert im „Praktiker Bismarck“ und in Hegel, in der Dialektik.
Höckes dialektisches, heraklitisches, hegelianisches Denken äußert sich sowohl auf der Bekennerseite, seine wiederholten Plädoyers für Freimut nach allen Richtungen, Einsicht in die Vergänglichkeit und Widersprüchlichkeit allen Seins, im „ewigen Werden und Vergehen“ als „ontologisches Grundverständnis“, das panta rhei, das auch den Titel bestimmt, als auch in zahlreichen seiner Argumentationsfiguren, die die Gefahr im Richtigen und die Hoffnung im Falschen herausarbeiten. Es gibt kein Schwarz und Weiß, alles ist Momentaufnahme und muß als solche ebenso realisiert werden, wie man sich den Draufblick auf die große Entwicklung nicht nehmen lassen darf.
Überhaupt neigt Höcke zum Philosophieren. Erste frühkindliche Erinnerungen werden gleich zu Beginn des Buches, das sich grob an der Biographie orientiert, in geschichtsphilosophische Betrachtungen gehoben und es schließt auch mit geschichtsphilosophischen Gedanken. Dazwischen gibt es viele, mitunter zu viele Verweise auf philosophische oder klassische Autorität, so daß man mitunter den Eindruck bekommt, hier solle jemand auch als genuiner Denker, als Intellektueller vorgestellt werden. Das ist Höcke durchaus, doch bedarf es dazu keiner Verweisinflation – oft vom Frager eingeworfen – von Polybios bis Peter Rosegger, die einen Teil seiner Leserschaft eher befremden dürfte.
Mitunter streift er sogar den Tiefsinn, wenn es etwa um den „Vorsprung der Besiegten“, die Differenz von „vernünftig und verständig“ oder die sauber sezierten Aporien linken Denkens und politischen Handelns geht. In der Kontemplation ist Höcke ersichtlich ein scharfer Geist, dem auch die sprachlich griffige, fast aphoristische Verkürzung zur Verfügung steht. Oft nähert er sich den Realitäten im fragenden Gestus, wirkt weitaus unsicherer, angreifbarer, selbstkritischer als im öffentlichen Auftritt. Auch das wird dazu beitragen, das mediale „Zerrbild“ zu entzerren, sofern man sich diesen Zeilen offen nähert.
Sieht man von einigen wenigen Aussagen zur Migrationsfrage, zum Frauenbild, zur Männlichkeit, zu allzu großzügigen historischen Federstrichen und Zuschreibungen, von der „Wiederverzauberung der Welt“ ab, so dürfte der Dialog problemlos auch vom politischen Gegner gelesen werden können, ohne sogleich Abwehrreflexe auszulösen. Er ist jedenfalls auf Offenheit angelegt und will immer wieder Brücken bauen, die andere Seite der Vernunft vor allem verstehen. In dieser Rolle scheint er weniger gefährdet (und gefährdend).
Wer sich ein Bild von Höcke machen will, der kommt um diesen Band nicht herum. Man muß ihm viele und vor allem einen aufmerksamen Leser wünschen: Björn Höcke.
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Nie zweimal in denselben Fluß. Björn Höcke im Gespräch mit Sebastian Hennig, Lüdinghausen 2018. 306 S., 18,90€ kann man hier bestellen.
H. M. Richter
Wenn vorliegende Rezension nicht einmal studentisches Niveau erreicht, so kann hilfsweise angenommen werden, daß sich deren Verfasser möglicherweise noch in der Nähe des Abiturs befindet.
An eine Formulierung wie "Mitunter streift er sogar den Tiefsinn" wird er sich vermutlich noch lange erinnern müssen.
Kositza: Haben Sie was gegen den Autoren? Anders kann ich mir Ihren jähen Hader kaum erklären. "Mitunter den Tiefsinn streifen" war übrigens meine persönliche Lieblingsformulierung in dieser Rezension, das ist hübsch gesagt. Was meinen Sie hingg. mit "hilfsweise", wer braucht denn Hilfe?