Kaum war das gestern öffentlich, ging es der versammelten Zivilgesellschaft nur noch um eines: Diskursverhinderung. Das ist mit dem heutige Twitter-Statement der Studienstiftung geglückt. Zitat:
Personen, die außerhalb des Grundgesetzes stehen, haben in der #Studienstiftung keinen Platz. #Kubitschek einzuladen war ein Fehler, den wir bedauern.
Ich kommentiere diese Begründung vorerst nicht weiter, empfehle aber meinen Beitrag über die “Selbsterdrosselung der Zivilgesellschaft” der erneuten Lektüre, vor allem Punkt 5, der den Abschnürungsmechanismus erläutert: Es kommt alles, wie es kommen muß, wenn man in der Moralfalle steckt. Ob diese Mechanismen an mir oder an einem anderen kenntlich werden, ist Nebensache.
Dank Euch Klügeren und Weitsichtigeren unter den Gegnern für die konsternierten Mails, habe sie mit Genuß gelesen: Wer Leute wie Laurin, Quent, Liedtke uswusf. auf seiner Seite hat, schämt sich zurecht. Kopf hoch, Laptop an: nicht mein Problem, wenn Eintagsfliegen Euren Diskurs bestimmen.
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Die Selbsterdrosselung der Zivilgesellschaft
hierzu: PDF der Druckfassung aus Sezession 85/August 2018
1. Im Frühherbst des vergangenen Jahres hat Sahra Wagenknecht ihre Bewegung mit dem wenig einfallsreichen Namen “Aufstehen” endgültig aus der Taufe gehoben.
Es ging ja häppchenweise vor sich, es war die Chronik einer angekündigten Woge: Wir alle würden die Geburt einer Linken erleben, die diesen Namen wieder verdiente. Dazu müßten wir alle #aufstehen. Das hat uns interessiert.
Aber: Was von der Vokabel her nach einer Ausweitung der Perspektive klingt, nach einem Ende der bequemen Sitzhaltung, ist – bei Lichte betrachtet – doch wieder kein “Aufstehen”, sondern nur eine weitere Spielart einer alten brd-linken Krankheit: morbus kitahara – der sich vergrößernde Blinde Fleck.
Denn in Gesprächen mit linken, teils sehr gebildeten, stets geistig offenen Intellektuellen hören wir immer wieder dasselbe Lamento:
daß man, wenn man könnte, wie man wollte, längst mit uns spräche, um das Notwendige, den fehlenden Part ganz selbstverständlich aufzunehmen, von uns zu übernehmen, zu kapern, um »die Lücke« in der eigenen Theorie und Weltwahrnehmung auszufüllen und die offensichtlichen blinden Flecken zu beseitigen – die Nation, das Eigene, die Begrenzung, das Organische, die Differenz, die Hierarchie, die Unfertigkeit.
Als wir dann jüngst in München in die großbürgerliche Wohnung eines linken Theoretikers eingeladen waren, weil er sich mit uns in der Öffentlichkeit nicht zeigen dürfe;
als wir dort in dieser Wohnung auf und neben feinstem Jugendstil Platz nahmen und eines der klügsten Gespräche seit langem führten;
als wir auf dem chaotischen Intellektuellenschreibtisch einiges aus unserer Verlagsproduktion, daneben aber auch Böckelmann, Sarrazin, Klonovsky und Krüger liegen sahen und mitgeteilt bekamen, daß dies in den Seminaren mit den Studenten zu lesen vollkommen, wirklich vollkommen ausgeschlossen sei;
als wir dann aufbrachen und an der Tür, noch nach dem Abschied, den Satz nachgeflüstert bekamen, dieses Gespräch sei »zwar interessanter gewesen als jedes andere in diesem Jahr«, aber es habe »nie stattgefunden« -
da fragten wir: Warum eigentlich nicht?, und gaben uns die Antwort selbst: Diese Linke, dieses intellektuelle Milieu hat sich auf eine Art und Weise selbst gefesselt, eingeschnürt, verschnürt, die Schlinge ums Gehirn gelegt, daß nur noch ein Quent zur »Selbsterdrosselung« fehlt.
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2. Wenn wir über die »Selbsterdrosselung« der Linken sprechen, müssen wir an den Oktober letzten Jahres erinnern, genauer gesagt: an die Buchmesse in Frankfurt, deren Berichterstattung unser Verlag Antaios dominierte.
Über die Dramaturgie dieser Tage ist viel berichtet worden. Interessant für das Thema »Selbsterdrosselung« ist die punktgenaue Plazierung zweier Bücher aus zwei Verlagen für diese Messe sowie der Vorlauf zweier weiterer Titel, die der Auseinandersetzung erst den Weg bahnten und den dramatischen Knoten schürzten:
Ohne Rolf Peter Sieferles Finis Germania aus unserem Verlag und die Untersuchung Die Angstmacher (Aufbau) aus der Feder des linken Publizisten Thomas Wagner wäre die Aufregung nicht halb so groß und die Erwartungshaltung des verstörten Feuilletons nicht so indifferent (und damit halbgeöffnet) gewesen.
Der Sieferle-Skandal, in dessen Zentrum das schmale Finis Germania stand (Band 50 der reihe kaplaken), führte im Juni und Juli des vergangenen Jahres zur Exekution einer Literatur-Bestenliste, die der NDR und die Süddeutsche Zeitung jahrelang mit Erfolg und Binnenreputation geführt hatten. Er beschädigte weiterhin die Spiegel-Bestsellerliste, aus der Finis Germania trotz glänzender Absatzzahlen gestrichen wurde.
Im Kielwasser einer verschämten Diskussion über die Souveränität der Agierenden in diesem Ausnahmezustand kamen Thesen von Thomas Wagner zum Tragen, der als linker Publizist das getan hatte, was in unserer Republik ständig für selbstverständlich erklärt, selbstverständlich aber nie ernstgenommen wird: daß miteinander zu reden sei.
Wagner hatte Lichtmesz und Sellner, Stein und Kaiser, Kositza und mich, Eichberg und Rabehl, Böckelmann und Maschke aufgesucht und uns in langen, gut vorbereiteten Gesprächen zu Herkunft, Lesebiographie, Denkschule, Vorbildern, Drive und Skrupel, Grenze und Provokation, Prognosen, Alternativen und Kontakten befragt. Das Ergebnis war ein Buch, das uns als Gesprächspartner nicht vorführte, sondern vorstellte und uns dadurch etwas vom Nimbus des unbekannten Unberechenbaren (und damit vom unheimlich Interessanten) nahm – ein Vorgang, den wir selbst als die Entzauberung des Scheinriesens beschrieben und für völlig normal erachteten:
Man kann nicht ständig und wiederholt schockierend präsent sein – man ist irgendwann einfach präsent, und wenn dieser Normalisierungsvorgang lange genug dauert, ist diese Präsenz etwas, das niemanden mehr über die Maßen interessiert.
Erst auf dieser Grundlage des vorbildlichen Zuhörens konnte dann schließlich das Autorentrio Per Leo, Volker Steinbeis und Daniel-Pascal Zorn die Schrift Mit Rechten reden (Klett-Cotta) als Buch zur Stunde plazieren – der Titel wurde zu einer der stehenden Wendungen der verrückten Frankfurter Tage.
Und wiederum unser Verlag konterte diesen Aufschlag und legte Mit Linken leben von Martin Lichtmesz und Caroline Sommerfeld vor. Das Buch kam nach einem Parforceritt tatsächlich am Tag vor der Messe gerade noch rechtzeitig aus der Druckerei.
Die Feuilletondiskussion über den richtigen Umgang mit uns als einem geradezu übermächtigen Phänomen, das keiner so recht auf der Karte hatte, lief während der Buchmesse auf dieses halb durchgerungene, halb wagemutige »mit Rechten reden« zu. Das Autorentrio selbst suchte in Person Per Leos an unserem Verlagsstand das Scheinwerferlicht, und später saßen wir im Klett-Cotta-Stand, als sei daran nichts außergewöhnlich oder anstößig. Getuschel, Handyphotos – aber es wirkte so, als sei die erste große, öffentliche Diskussion über die Frage, ob mit uns zu reden sei, tatsächlich mit unserer Beteiligung geplant, und zwar in sehr absehbarer Zeit.
Dennoch blieben die Pressetermine oberflächlich und eindimensional. Der Höllenbetrieb am Stand konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß nicht mit uns, sondern über uns geredet wurde, daß die Fragen vorgestanzt und plakativ gestellt wurden und an »der anderen Sicht der Dinge« im Grunde kein Interesse bestand. Festgefahren die Erzählmuster, die Attribute; omnipräsent das Pflichtgefühl des »Wehret den Anfängen«; spürbar die Suche nach einem Hebel, nach einer Möglichkeit, sich nicht mit dem beschäftigen zu müssen, was jenseits der schieren Provokation inhaltlich durch unseren Verlag vorgelegt wurde.
Das Ergebnis ist bekannt: Es kam nicht zu den gerade von uns erhofften Normalisierungsgesprächen, und zwar nicht, weil wir eine zu hohe Hürde gesetzt oder auf Bedingungen bestanden hätten, die frech oder höhnisch oder unangemessen gewesen wären.
Es kam zu diesen öffentlichen Auseinandersetzungen nicht, denn diejenigen, die solche Ideen vorantrieben, wurden von ihren eigenen »Communities«, ihren Freundeskreisen und Resonanzräumen auf eine Art beschimpft, angefeindet, entfreundet, vor das geistige Tribunal gezerrt, daß ihnen nach kurzer Abwägung von Gewinn und Verlust und einer intensiven Durchmusterung der Folterwerkzeuge die Entscheidung nicht schwerfiel: Sie legten sich ihre Fesseln wieder an.
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3. Wir sollten uns das Bewegungsprofil des überforderten, linksliberalen Feuilletons in den Monaten vor, während und nach der Messe (also: bis heute) wie das eines DDR-Flüchtlings vorstellen, der auf allen Vieren durch einen Tunnel in die Freiheit kriecht und noch in derselben Nacht denselben Weg zurück nimmt, weil er sich der Unbegrenztheit und einem Leben ohne die alten Freunde nicht gewachsen fühlt. Wir müssen das zur Kenntnis nehmen. Wir müssen das einkalkulieren.
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4. Auch der Verleger des Lit-Verlages, Wilhelm Hopf, ist zurückgekrochen, oder sollten wir besser sagen: ist zurückgeholt worden? Jedenfalls hat er im April seine Unterschrift unter die »Erklärung 2018« zurückgezogen, die im März dieses Jahres für Furore sorgte, obwohl sie nur aus zwei recht banalen Sätzen bestand:
Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird.
Aber es sammelte sich eben doch hinter diesen Sätzen das, was man – sehr vorsichtig – zum bürgerlichen »Gegenmilieu von rechts« rechnen könnte.
Natürlich mußte Hopf für die Öffentlichkeit nach seinem Rückzieher behaupten, er sei im April klüger als im März gewesen und habe zu spät erkannt, daß er mit den falschen Leuten im selben Boot sitze. Aber diese Erklärung ist ähnlich viel wert wie die beruhigende Telefonauskunft einer Geisel über ihre Lage, die während des Gesprächs in die Mündung einer Pistole blickt. Im Falle Hopfs war es seine Homezone aus Autoren, Lektoren und Kunden, die ihm die Pistole auf die Brust setzte.
Wir müssen uns diesen Vorgang als zugleich verzweifelten und alternativlosen Stabilisierungsversuch vorstellen. Die Panik vor abweichenden Meinungen, Stellungnahmen, Diskussionsbeiträgen, Wahlentscheidungen und Gesprächsangeboten ist unter den Linken und ihren bevorzugten Berufsgruppen mittlerweile so groß, daß sie sich vor alledem abzuschotten versuchen wie vor einem Infektionsherd. Man glaubt dort wirklich an die Notwendigkeit der Disziplinierung von Abtrünnigen und hofft auf die stabilisierende, erzieherische Wirkung solcher Vorgänge.
Wird jemand wie der Verleger Hopf zurückgepfiffen, ist das ein Hexenprozeß auf zivilgesellschaftlicher Ebene: Das Ergebnis der peinlichen Befragung steht fest, bevor die erste Frage gestellt wird. Die richtigen Antworten sind Phrasen, die jeder ohne nachzudenken wiederholen kann, wenn er in Ruhe gelassen und bis auf weiteres zu den Dazugehörigen gerechnet werden will.
Woran ließ sich Hopf ketten? An den nicht hinterfragbaren Verhaltenskodex seines sozialen Umfelds. Der Soziologe Arnold Gehlen hätte dies als Entlastungsfunktion mittels institutionalisiertem Antworten beschrieben: Überraschungslosigkeit sorgt für Stabilität. Der gefesselte Mensch ist der verfügbare, der erdrosselte ist still.
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5. Bis es soweit kommt, müssen Stufen der Einschnürung erklommen werden, die der Betroffene selbst allerdings (und leider!) für notwendige Maßnahmen hält. Wir wollen diesen Vorgang »moralische Selbstoptimierung« nennen, oder noch etwas vorbewußter: »moralische Selbstverzauberung«, und rufen in Erinnerung, daß dies nur andere, schönere Begriffe für die konstatierte intellektuelle Selbsterdrosselung sind. Die Luft wird schrittweise knapper:
- Zunächst wird »die andere Meinung« nicht mehr sachlich, sondern entlang der Kategorien »gut« und »böse« bewertet, wobei »gut« der linken, »böse« der rechten Seite des Meinungsspektrums zugewiesen ist. Wer jetzt noch sprechen will, spricht nicht mehr mit dem Anderen, sondern mit dem bösen Anderen, kurzum: mit jemandem, mit dem man besser gar nicht spricht.
- Rechtfertigen muß sich ab sofort, wer dennoch den Dialog sucht. Rechtfertigen muß sich aber auch, wer diese Kategorisierung grundsätzlich in Frage stellt.
- Und rechtfertigen muß sich recht bald auch jener, der Verständnis dafür hat, daß es Leute gibt, die noch immer mit dem bösen Anderen in den Dialog treten möchten.
- Daß auch diejenigen Schuld an der Aufweichung der moralischen Front tragen, die den Dialogbesessenen aus den eigenen Reihen nicht denunzieren, nicht verstoßen, nicht bloßstellen und nicht ächten wollen, ist von diesem Punkt aus die konsequente Steigerung.
- Denn selbst eine Nicht-Beteiligung an der wilden Jagd auf diejenigen, die eine Auseinandersetzungssperre für falsch halten, gilt mittlerweile als brennendes »Ja« zum Dialog, zum Feind selbst, und »den Feind zu lesen« ist aus der Sicht der moralisch Selbstverzauberten zweifellos eine Einstiegsdroge, von der aus ohne Entzugskur und Selbstkritik eine alternativlose Bahn zur verheerenden Wahlentscheidung führt.
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6. Wir haben uns in Cottbus einen Vortrag angehört. Die Philosophin Angelika Seewald sprach in der »Mühle« über das Thema »Warum wir demonstrieren«. Eingeladen hatte das Bündnis »Zukunft Heimat«, das seit zwei Jahren Demonstrationen für einen Politikwechsel organisiert und Tausende Bürger auf die Straße bringt. Seit Ende Juni hat dieses Bündnis nun ein Ladenlokal direkt hinter dem Altmarkt in Cottbus – die »Mühle« eben. Mit Christoph Bernd ist da jemand an der Arbeit, der die Struktur, das Netzwerk und die inhaltliche Grundierung in Südbrandenburg schrittweise, klug und authentisch ausbaut.
Die Antifa war auch schon da, man erkennt den Treffpunkt an der gesprenkelten Fassade.
Angelika Seewald korrigierte in ihrem Vortrag die Erwartungshaltung: Keine Regierung werde durch Demonstrationen gestürzt, der Sinn liege ein paar Stufen darunter: sich sammeln, einander kennenlernen, sich vernetzen, eine Gegenstimme laut werden lassen, ganz persönlich Mut fassen und der Tatenlosigkeit entkommen.
»Wir demonstrieren nicht zuletzt für uns selbst!« Das klingt so banal und ist doch fürs Ich in unserer Zeit ein revolutionärer Schritt, den eine Zuhörerin geradezu dramatisch faßte: »Es war, als hätte ich die Wasseroberfläche erreicht und könnte endlich wieder Luft holen.«
So ist es. Dies ist unsere Freiheit. Und einstweilen erdrosselt sich die Linke selbst.
Nemo Obligatur
Irgendwie auch tröstlich: Solange die Antifa Ihre Auftritte an Universitäten und sonstigen Zentren progressiven Lebens verhindert, sind Sie auf einem geraden Weg, Herr Kubitschek. Sorgen sollten Sie sich machen, wenn das nicht mehr der Fall wäre.