Warum wird dieser Kracher im Feuilleton beschwiegen? Immerhin war das Romandebüt von Vermes, Er ist wieder da, ein echter Weltbestseller. Diese Satire um einen unversehens wieder auferstandenen Adolf Hitler erschien 2012. Das Buch kostete, haha, 19, 33 €, es hat sich über zwei Millionen Mal verkauft. (Auf Anhieb habe ich übrigens kein Buch gefunden, daß auf amazon.de mehr Leserbewertungen erhalten hat als Vermes’ Er ist wieder da, nämlich 2.691.)
Wenn ein Schriftsteller mit einem derart fulminanten Debüt reüssiert hat, stürzt sich normalerweise das Großfeuilleton auf das Nachfolgewerk.
Das blieb nun aus. Dabei ist Die Hungrigen und die Satten a) besser, b) realistischer, c) krasser. Meine Vermutung: Eine Hitlersatire – auch wenn sie den Unhold vermenschlicht – mag grenzwertig sein, eine Gesellschaftssatire über Flüchtlinge ist jenseits dieser Grenze.
Womit wir beim Thema wären: Grenze. Die Handlung spielt in der nahen Zukunft. Europa hat dichtgemacht. Man hat eine Grenze errichtet, und zwar südlich der Sahara. Dort sitzen die wanderwilligen Afrikaner zu Huntertausenden auf gepackten Koffern. Seit Jahren schon, in gigantischen Lagern. Es gibt noch Schlepperdienste, aber die sind unerschwinglich. Schwarzmarkt und Prostitution im Lager blühen, die Hoffnung auf ein schönes Leben mit Kühlschrank, gutem Bier, blonden Frauen und Markenturnschuhen sinkt.
Zuviel Zeit ist seit dem Moment vergangen, als Deutschland die Türen aufgemacht hat. Damals, als sie noch eine Frau als Merkel hatten. Wer damals in Reichweite war, hatte das große Los gezogen.
Jetzt aber ist in Deutschland ein anderes „Merkel“ am Ruder.
Es trifft sich, daß der deutsche Superstar Nadeche Hackenbusch (schon diesen Namen hätte sich auch ein Martin Walser nicht besser ausdenken können), Moderatorin des Privatsenders mytv, gerade eine neue Staffel der Sendung „Engel im Elend“ plant. In der letzten Staffel war sie in Flüchtlingsheimen unterwegs und hat gezeigt, daß Flüchtlingskinder, die eigentlich „ganz niedlich aussehen“, schwarze Zähne haben und „aus dem Mund riechen wie eine Klärgrube.“ Motto: Es muß betroffen machen und „weh tun“!
Frau Hackenbusch, Vorbild Hunderttausender junger Frauen, ist so dumm wie gewieft: Wie wär´s, denkt sie sich aus, wenn man mal dort unten in Afrika drehen würde? Es geht zunächst darum, hübsche Flüchtlingsfrauen für eine Modestrecke zu casten. Ihr fällt auf, daß es den Frauen dort „am Nötigsten“ fehlt: „Sehr viele Frauen haben noch nicht einmal einen BH!“ Wie es der Zufall will, sind noch zahlreiche Exemplare ihres selbstkreiierten HackenPus-ups übrig, sie verschenkt sie „ohne viel Wirbel“, wie die reichweitensärkste deutsche Frauenzeitschrift berichtet:
“Es ist nicht viel”, bleibt Nadeche Hackenbusch auf dem Boden der Tatsachen. “Ein BH kann auch nicht alle Probleme dieser Welt lösen. Aber es ist ein kleiner Schritt.”
Die nächsten Schritte stehen bevor, es sollen exakt 15 km sein, pro Tag, nordwärts. Die Hackenbusch und mytv planen, mit einem gigantischen Flüchtlingstreck ins gelobte Land aufzubrechen!
Ja, der Organisationsaufwand wird immens sein. Die „Flüchtenden“ dürfen ja nicht verdursten oder verhungern unterwegs. Tausende Betonmischer mit Sojabrei müssen in exakter Taktung den Treck flankieren.
Natürlich muß auch bedacht werden, daß jeder Flüchtende rund 300 g Kot täglich ausscheidet (was sich nicht nur auf dem Bildschirm schlecht macht, sondern zum Horror werden kann für die, die am Ende des Trecks an 45 Tonnen Scheiße vorbeilaufen müssen) und daß massenweise Kinder zur Welt gebracht werden in dieser langen Zeit beim Lauf auf Europa. Die von kundigen Schwestern betreuten Säuglingswagen sind ein Bonuspunkt für mytv!
Überhaupt gibt es immer viel zu berichten, „exklusiv“: Der schönste Flüchtling wird gekürt, der jüngste etc. Nadeche beginnt eine Affäre mit einem talentierten Schwarzen. Nadeches Söhne in Deutschland haben derweil Drogenprobleme, einer trägt sich mit dem Gedanken an Geschlechtsumwandlung – aber schließlich kann selbst ein Engel nicht überall zugleich sein!
Bis zur Grenze der Türkei, der Flüchtlingsstrom ist auf rund 300.000 ungewaschene Schwarze angeschwollen (weil jedes Transitland noch ein paar tausend Leute mitgibt), läuft die Sache durch Schmiergeld und diplomatisches Sendergeschick erstaunlich glatt. Unterdessen wird die deutsche Regierung sehr unruhig. PEGIDA hat sich wiederbelebt, mit sechsstelliger Teilnehmerstärke: “Statt Spendegeld und Sojamehl: Mauerbau und Schießbefehl!”.
Der konservative Innenminister, der so spontan wie hilflos beschließt, alle reinzulassen, fällt einem Attentat zum Opfer. Sein schwuler Nachfolger (dessen pittoresken Lifestyle der Leser von Buchbeginn an mitverfolgt) hat eine andere Idee: Ein Grenzzaun muß her. Geladen mit Starkstrom.
Timur Vermes Buch ist alles zugleich: Unterhaltungsroman (formidabel geschrieben, ohne Längen), Gesellschaftssatire (Vermes ist ein exzellenter Beobachter), Dystopie, und zwar von der galligsten Sorte. Das Hitler-Buch war ein großer, vergnüglicher Blödsinn. Hier geht es ans Eingemachte. Jean Raspails Heerlager der Heiligen sowie Der Marsch, das TV-Drama von 1990, lassen grüßen.
Aber wehe, wehe, wehe! Wenn ich auf das Ende sehe! Zu lachen gibt es am Ende des Buches gar nichts mehr. Es wird bestalisch. GANZ am Ende darf dann doch geschmunzelt werden, einen Joke gibt es als Nachklapp. Eine wichtige Institution nämlich ist aus dem Drama unbescholten hervorgegangen: Der Qualitätsjournalismus.
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Kaffeesud
"SPIEGEL ONLINE: Haben Sie "Das Heerlager der Heiligen" von Jean Raspail gelesen? Darin führt ein ganz ähnliches Szenario, von keiner Satire abgefedert, unter der Masse der Zuwanderer zum Untergang des Abendlandes.
Vermes: Ich habe im Juni davon erfahren und bin dann zur Stadtbibliothek. Weil, so was kauft man nicht.
SPIEGEL ONLINE: Warum?
Vermes: Nach fünf Seiten weiß man: Da will einer von der ersten Seite an den Schießbefehl rechtfertigen. Haben Sie's gelesen?
SPIEGEL ONLINE: Ja.
Vermes: Dann wissen Sie ja, dass hier niemand ein Problem verhandelt. Der will, dass wir uns die passenden Flinten zulegen, das ist die einzige Option von Anfang an. Und dann geht's weiter mit "Guck dir die Leute doch an! Das sind überhaupt keine Menschen! Wie kann man überhaupt auf die Idee kommen, dass man nicht auf sie schießt?" Wer das veröffentlicht, veranstaltet keine literarischen Salons, der baut literarische Gaskammern."
(https://www.spiegel.de/kultur/literatur/timur-vermes-ueber-die-hungrigen-und-die-satten-alle-reden-vom-schiessbefehl-a-1224819.html)
Wenn Satire unwillkürlich west, um's mit Heidegger im unreinen Stabreim zu skandieren.
Reicht das für eine 2-, @Maiordomus? (Deutsches Notensystem, Sie Schelm!)
@Kositza: Was weiß man eigentlich nach der fünften Seite des besprochenen Romans?