Nun spielen sie also wieder – auch noch gegen ihre Nachfolger – die traurigen Recken der Weltmeisterschaft. Auch der Pleitier Jogi hat inzwischen gesprochen und das Sommertheater vorläufig beendet.
Seine nach Monaten gezogene Bilanz räumt Fehlerchen ein, darunter (sogar mit starken Worten) „Arroganz“ in Sachen Ballbesitzfußball. Verschiedene soziale und mentale Rahmenbedingungen hätten nicht gestimmt, multikulturelle Probleme in der Mannschaft habe es jedoch nie gegeben.
Ein bißchen bodenständiger und volksnäher müsse man wohl wieder werden. Auch wissen wir jetzt genau: Die Durchschnittszeit zwischen Ballannahme und ‑weitergabe hat sich von 1,2 Sekunden 2010 auf 1,51 2018 verlängert, was viel und garnichts erklärt. Aber wer erwartete von dieser Pressekonferenz auch mehr als vom Hornberger Schießen?
Zuvor hatte auch Mesut gesprochen bzw. geschrieben bzw. schreiben lassen. Nicht mehr zu deutschen Fans, die er bezeichnenderweise englisch informierte, sondern per Twitter zur weltweiten Gemeinde seiner 23 Millionen Follower. Er trete zurück. Denn er werde hierzulande ausgegrenzt, weil er sich zu seinen türkischen Wurzeln bekannt habe. Werde von Rechten und manchen Zeitungen übelst attackiert und von früheren Nutznießern wie dem DFB im Stich gelassen.
Umgehend startete auch eine „#MeTwo“- Kampagne im Netz als Aktion gegen was? … Natürlich gegen Rassismus. Denn dieses beschämend einfallslose, meist erbärmlich definierte, zur bloßen Dreckschleuder verkommene, aber millionenfach gebrauchte Schlagwort taugt seit Jahrzehnten als Passepartout zur hiesigen medialen Aufmerksamkeit.
Uli Hoeneß, froh, daß mit Özils Rücktritt nun „der Spuk“ zu Ende sei, kommentierte die Einlassung seinerseits polternd: Der habe doch „seit Jahren einen Dreck gespielt. Den letzten Zweikampf hat er vor der WM 2014 gewonnen. Und jetzt versteckt er sich und seine Mist-Leistung hinter diesem Foto.“ Doch dergleichen erhellender Grobianismus scheint in Deutschland unzulässig.
Politiker oder Medien im Dutzend reagierten empört und sehen weiterhin Bedarf zur Aufarbeitung des Rassismus in der deutschen Gesellschaft. Auch kann man jede Wette darauf eingehen, daß der DFB in Zukunft wieder und wieder über dieses Stöckchen springt, weitere Diversity-Millionen für Propaganda sinnlos verpulvert oder seine Maßnahmen im Jugendbereich falsch adressiert.
Das schäbige Sommertheater bleibt uns also noch lange erhalten. Denn jetzt ist ein Faß aufgemacht, aus dem Dutzende von Lobbygruppen und NGO.s mittrinken. Und sie werden es fraglos bis zur Neige leeren.
Ein todsicheres Geschäftsmodell
O wie schön waren die glücklichen Tage vor dem Erdogan-Fototermin! Dutzende von Profiteuren befällt Nostalgie. Schließlich waren Nationalmannschaften als Geschäftsmodell bislang unschlagbar, obwohl geldgierige FIFA-Funktionäre sich redlich Mühe geben, durch inflationäre Aufblähung der Spiele ihr Produkt zu ruinieren.
Die Vermarktung beschränkt sich schließlich nicht nur auf Sympathisanten von Clubs, wo doch z.B. eingefleischte Schalker niemals Dortmund- oder Bayern-Trikots kaufen. Sie erfaßt vielmehr ganze Länder. Für den DFB etwa warten gigantische Marketing-Erlöse durch 80 Millionen potentieller Devotionalien-Kunden, von Trikots über Bettwäsche bis zu Panini-Fotos, wobei Babys väterlich vertreten werden. Auch der Marktwert der Stars steigt auf internationaler Bühne bis in Höhen entfesselter Schamlosigkeit.
Die Spiele bescheren Fernseh- und Radiosendern über Wochen einen Mega-Unterhaltungsauftrag mit hohen Einschaltquoten. Der Staatsfunk kann sich volksnah geben – wie das alte Rom durch „circenses“ – und scheinbar seine Zwangsgebühren rechtfertigen. Werbefirmen erhalten Riesenstücke vom Geschäftskuchen, nicht zuletzt durch Multikulti-Gesinnungsreklame.
Regierende Politiker können im Umkreis nationaler „Helden“ ihre Popularitätswerte verbessern und bei Siegen durch kollektive Euphorie ihre Mißwirtschaft bemänteln. In dieser unverbindlichen Form läßt sich folgenlos Patriotismus simulieren und wunderbar instrumentalisieren – ein Faktor, den einfältige grüne Miesmacher nie recht verstanden haben.
Ein ruhmvolles Auftreten der Kicker verbessert das Image des ganzen Landes. Im Idealfall – etwa nach einem WM-Sieg – läßt es sich sogar als Überlegenheit des multikulturellen Gesellschaftskonzepts verkaufen und bei ahnungslosen Gutmenschen im „Kampf gegen Rechts“ punkten. Kurz: Eine todsichere Win-Situation winkt für nahezu jede und jeden.
Allerdings funktioniert das Projekt „Nationalmannschaft“ als krisensicheres Markenprodukt nur unter gewissen Voraussetzungen und ist stark an Emotionen gebunden, die umschlagen können. Auch ist es äußerst riskant, Massengefühle so weit anzukurbeln, daß sie Höchstgewinne auswerfen, wenn der Fan dann durchschaut, daß teils falsch gespielt wurde.
Tradition und ihre Versumpfung
Denn eine alle vier Jahre ablaufende sportliche Leistungsschau erzeugt Gefühle, die an eine Generalmobilmachung erinnern. Ein ganzes Land feiert wochenlang ein rauschendes Fest und projiziert seine Hoffnungen auf zwei Dutzend Vorkämpfer, die sie würdig vertreten mögen. Wenn ja, erhebt man die Spieler in den Status von Halbgöttern.
Zudem rückt die Nation in Freud und Leid der Ergebnisse, Vorlieben oder Aversionen auch emotional stärker zusammen. Zweifellos berühren spektakuläre Taten zum Ruhm eines Landes auch dessen Kollektivseele und senden nationale Hoffnungssignale aus.
Exemplarisch geschah dies beim „Wunder von Bern“. Und obwohl inzwischen nur noch wenige Deutsche von diesem 1954er Erlebnis zehren, stehen wir nach wie vor in der Tradition eines quasimythischen Sieges. Und die Erinnerung an Fritz Walter, Max Morlock, Toni Turek oder Helmut Rahn ist noch nicht völlig verblaßt.
Die damaligen Helden erhielten für diesen Triumph meines Wissens gerade mal eine Armbanduhr. Aber den meisten von ihnen traute man ohnehin zu, daß sie Hunderte von Kilometern zu Fuß zum Bundes-Sepp Herberger gepilgert wären, nur um für Deutschland zu spielen.
Was die Löws, Bierhoffs und etliche DFB-Funktionäre von solcher Mentalität trennt, liegt auf der Hand. Sie denken wie ihre Spieler in Vermarktungs- und PR-Kategorien. Ihr Horizont kreist um Imagefragen, SAP-Spielanalysen oder bestenfalls statuserhöhende Hofierung durch die Politik. (Jogi Löw etwa durfte als illustre Galionsfigur der Grünen den bereits vorbestimmten Herrn Steinmeier zum Präsidenten „wählen“.)
Der Gefühlswert des Begriffs „Deutsche Nationalmannschaft“ wird von solchen Typen daher kaum höher taxiert, als es Produktmanager bei der Vorstellung neuer Marken empfinden. Ihnen kam somit nicht in den Sinn, daß eine Hymne vor Spielbeginn mehr bedeuten könnte als zur Siegerehrung Queens‘ „We are the champions“.
Zugegebenermaßen wußten auch frühere „Leitbilder“ nicht mehr so recht, welche Vorbildfunktion ihnen zukam: die Netzers, Beckenbauers, Breitners & Co., coole Vertreter ihrer Branche, die das Singen einstellten und zudem bei der Heim-WM zu streiken drohten, falls ihre Prämienwünsche nicht erfüllt würden.
Der damalige Bundestrainer Schön, Gentleman alter Schule, wollte darauf sein Amt hinwerfen und ließ sich nur schweren Herzens umstimmen. Daß dies keine nachhaltigen Sympathieeinbußen mit sich brachte, lag ausschließlich daran, daß diese Generation Siege in Serie einfuhr. Denn Erfolg kaschiert bekanntlich alles.
Das Publikum
Niederlagen gefährden jedoch das emotionale Band erheblich. Es sei denn, die Fans haben den Eindruck, daß die Protagonisten alles taten, um sie abzuwenden. Thermopylen- oder Nibelungen-Kämpfer entbindet der Mythos vom schlichten Resultat. Oder weniger martialisch auf Sportergebnisse bezogen: Wo alles versucht wurde, das böse Schicksal abzuwenden, entschuldigt das Publikum auch Niederlagen. Vielfach werden die Protagonisten sogar in die kollektive Trauer mit einbezogen.
In diesem Sinne erhielten etwa deutsche Mannschaften, die 1966 gegen England oder 1970 in Mexiko gegen Italien den Kürzeren zogen, ihren großen Bahnhof. Und als Helden gefeiert wurden bei dieser Weltmeisterschaft auch die ausgeschiedenen Russen, Japaner, Iraner, Kolumbianer oder gar Jamaikaner, deren erstes bei einer WM geschossenes Tor frenetisch umjubelt wurde.
Eins aber wird bei Mißerfolg nicht verziehen: mangelnder Einsatz und das Gefühl, daß die Landesvertreter sich nicht voll mit der Nation identifizieren – dies übrigens sogar aus einem Schuß Pragmatismus. Denn wer die diesjährige WM aufmerksam verfolgte, konnte beispielhaft erkennen, daß nationale Verbundenheit offenbar letzte Kraftreserven mobilisiert und selbst hochbezahlte Auslandslegionäre plötzlich dazu brachte, ihren Egoismus zurückzustellen.
Das galt unmißverständlich für Kroatien, das möglicherweise nur durch zwei äußerst dubiose Schiedsrichterentscheidungen um den ganz großen Triumph gebracht wurde. Und gerade deutsche Nationalmannschaften glänzten, von Ausnahmen wie 1990 abgesehen, schon traditionell nie durch eine Fülle an Techniktalenten. Doch wurde dies vielfach durch sog. deutsche Tugenden wettgemacht.
Demgegenüber signalisierte besonders Özils fußballerischer Phänotyp, verglichen etwa mit dem Kroaten Modric, nichts weniger als letzte Einsatzbereitschaft. Was die Fan-Kritik (wie ausgewogen oder geschmacklos-undifferenziert auch immer) auf ihn fokussierte, war daher jene Mischung aus politischer Instinktlosigkeit, mangelndem Engagement bzw. einer Ausstrahlung, die Mario Basler nicht ganz grundlos mit der eines „toten Froschs“ verglich.
Der Startrainer Mourinho nannte ihn übrigens einmal „Heulsuse“. Zwar war er kein Alleinverantwortlicher für die Misere und im Mexiko-Spiel gewiß nicht als Verteidiger aufgestellt. Aber sein Verhalten vor dem Gegentor glich fast einer Arbeitsverweigerung, gekrönt durch die hilflose Geste beanspruchter Unzuständigkeit.
All das war einfach zu viel für die Fans, die zudem noch eine Resultatskrise verdauen mußten. Ihre Pfiffe sind also verständlich, und man braucht nicht wie üblich fremdenfeindliche Motive zu unterstellen.
Schuld
Damit zur „Schuld“ der beiden Erdogan-Wahlkämpfer. Abgesehen von Özils verbalem Nachtreten erscheint sie mir nicht übermäßig und steht in keinem Verhältnis zur Wirkung ihres Auftritts. Der hatte für mich eher etwas von der Naivität eines Kindes, das in der Schulversammlung öffentlich ausplaudert, man müsse bei der Lehrerin X oder dem Lehrer Y keine Hausaufgaben machen, weil die das nie kontrollieren.
Auch sehe ich die PR-Eselei vor allem bei den Beratern der beiden und natürlich bei der sportlichen Leitung, die ihnen niemals beibrachte, was sich mit der Marke „Nationalmannschaft“ schlecht verträgt. Denn jetzt liegt auf dem Tisch, was man bislang krampfhaft ignoriert hat und für jeden, der zwei und zwei korrekt addiert, ohnehin nie ein Geheimnis war.
Daß nämlich ein beträchtlicher Teil der Zugewanderten (gerade der zweiten Generation) hier innerlich nie ganz angekommen ist. Zertrümmert wurde also lediglich die Fassade einer Integrationslegende, wie sie unser Parteienkartell so halsstarrig verbreitet oder im Versagensfall „Biodeutschen“ als Defizit anlastet.
Wenn somit DFB-Präsident Grindel plötzlich Özil zur Erklärung aufforderte, fragt sich, was er jenseits nationaler Scheinbekenntnisse ex post erwartete – eine Farce, die uns glücklicherweise erspart blieb. Viel nötiger wäre es, das (von Kumpanei mit unserer politmedialen Klasse geprägte) zeitgeistliche Selbstverständnis des Deutschen Fußballbunds aufzuarbeiten.
Man müßte also in den Führungsetagen überhaupt wieder das Bewußtsein dafür wecken, was eine Nationalmannschaft ist oder im besten Fall sein könnte. Denn der bisherige Begriffshorizont jener Verantwortlichen gleicht dem von Schnäppchenjägern, was für sie selbst angesichts von Millionenrenditen oder persönlichen (teils peinlichen) Werbeverträgen ja zweifellos der Fall ist.
Diagnosen und Konsequenzen
Welche Folgerungen wären daraus zu ziehen, und was wird stattdessen wohl mittelfristig passieren?
- Die Reaktion vieler Zuschauer auf das Erscheinungsbild von Löws Truppe muß den Verantwortlichen zu denken geben. Schon im Vorfeld sah man in unseren Straßen erheblich weniger Fähnchen als früher. Und das Ausscheiden selbst wurde vielfach als gerechte Strafe für eine Abgehobenheit betrachtet, der gemäß mangelnder Komfort in Watutinki zum Zentralproblem avancierte. Von Teilen der Fans droht also „Liebesentzug“. Und soll das Vermarktungskonzept „Nation“ in seiner einträglichen Fülle aufrechterhalten werden, wird man nach diesem ergebnismäßigen Tiefpunkt deutscher Fußballhistorie wohl kaum um wenigstens verbale Konzessionen an die Zuschauer herumkommen. Viele Fans wünschen nämlich keine Mogelpackung mehr, sondern ein Produkt, in dem, wo Nationalmannschaft draufsteht, auch Nationalmannschaft drin ist.
Das allenfalls zu erwartende offizielle Deutschland-Bekenntnis wird jedoch vermutlich schon bald durch die Verpflichtung auf „universelle“ DFB-Werte verwässernd austariert, wonach man strikt gegen ein ominöses „Rechts“ flaggt.
Das Ganze im Geist der unseligen Zwanziger-Ära oder des Präsidenten der Frankfurter Eintracht mit seinem demokratiefeindlichen Anti-AfD-Beschluß. Özils Rassismus-Kuckucksei zeigt die Richtung.
- Der DFB hat sich durch unsere Funktionselite bestimmte tagespolitische Frontstellungen (exemplarisch gegenüber Rußland) oder gesellschaftliche Dogmen aufschwatzen lassen. Die Nationalmannschaft alias „Mannschaft“ soll nämlich belegen, wie herrlich weit wir’s hier mit der Eingliederung ethnischer Minderheiten gebracht haben. Das allerdings kann nur behaupten, wer vieles Gegenläufige unter den Teppich kehrt. Und immer mehr Fans, die auch anderweitig die Folgen multiethnischer Traumtänzerei ausbaden, reagieren auf diese Als-ob-Verlautbarungen heute allergisch. Die offiziellen Weichzeichnungen der Lage stoßen also umso schneller an Glaubwürdigkeitsgrenzen, je mehr sie die realexistierenden Probleme übertünchen.
- Im „Tagesspiegel“ vom 17. Juni stand als Symptom veröffentlichter Meinung: „Der WM-Titel 2014 war das alleinige Verdienst einer multiethnischen Fußballmannschaft. Das Team ist der beste Beweis dafür, wie grotesk das Verlangen nach einer bewahrenswerten deutschen Identität ist.“ Ich kann hier nicht alle Denkfehler dieses so gesinnungsstarken wie analyseschwachen Mainstreamers aufspießen. Doch immerhin sei mit Michael Klonovsky gefragt: „Tja, und wessen Verdienst ist der letzte Gruppenplatz in der Vorrunde?“
Aber selbst, wenn sie erfolgreicher gespielt hätte, was wäre dadurch bewiesen?
Daß hochbezahlte Ballkünstler nicht nur in internationalen Club- sondern auch Ländermannschaften großes Kino bieten können. Daß es spezifische athletische Fertigkeiten gibt, die in der Dritten Welt (besonders Schwarzafrikas) gegenwärtig häufiger vorkommen.
Daß sich künftig Superstars wohl mehrheitlich aus dem Pool eingewanderter Straßenfußballer rekrutieren lassen. Doch spricht dies wirklich gegen die unzweifelhafte Identität einer Nationalmannschaft und ihr Auftreten als vorbehaltlose Repräsentanten ihres Landes?
Katar hat 2015 durch abenteuerliche Einbürgerungen eine Handballtruppe zur Weltmeisterschaft zusammengekauft, die sogar ins Finale einzog. Ein einziger Bio-Katarer durfte damals kurzzeitig mittun. Hier zählen nur nackte Resultate, die ohnehin nicht durchweg programmierbar sind, weil bei heutiger Leistungsdichte vieles zu einem erheblichen Teil Glücksspiel bleibt. Eine ernstzunehmende Nationalauswahl folgt daher anspruchsvolleren Kriterien, deren positive öffentliche Ausstrahlung sie zudem erfolgsunabhängiger macht.
- Alle paar Jahre werden uns aber solche (Endspiel-)Siege als Scheinbeweise für angeblich geglückte Integration verkauft. Man hat etwa die französische Équipe Tricolore der Jahrhundertwende in den multikulturellen Himmel gehoben und tut dies mit dem neuesten Team wieder. Und in der Tat spielten die Männer um Zinédine Zidane einen berauschenden Fußball und triumphierten zu Recht bei der Welt- und Europameisterschaft. Einiges später in Südafrika jedoch stand ein völliges Zerwürfnis der Mannschaft zu Buche, das exakt ethnischen Bruchlinien folgte. Oder man denke an einen entsetzten Staatspräsidenten Sarkozy, als er ansehen mußte, wie das Gros der Zuschauer die Marseillaise auspfiff. Was also beweisen Siege jenseits des Umstands, daß Erfolgreiche scheinbar immer Recht haben?
- Wer wirklich wissen will, wie es um Integration steht, möge sich besonders in Kreisklassen umsehen, nicht bei hochdotierten Werbeagenturen, die ihr einfältig-einträgliches Lied von der Vielfalt singen. Er möge Schiedsrichter über gewaltsame Vorkommnisse in diversen Milieus befragen und etliche vom Verband unterschwellig ausgehende Nötigungen, bestimmte Mißstände lieber zu beschönigen. (Man will ja schließlich auch mal eine Liga höher pfeifen oder sich auch nur peinlichen Papierkram vom Hals halten.) Es gibt fraglos zahlreiche Sportbeziehungen, die reibungslos ablaufen. Aber man sollte auch die wachsenden Hinterhöfe im Blick behalten, in denen von Hitzköpfen inner- wie außerhalb des Spielfelds Tageskonflikte ausgetragen werden. Daß nicht überall reibungslos zusammenwächst, was zusammengehören soll, ist eigentlich unverkennbar.
Von Autochthonen gibt es darunter gewiß auch mal fremdenfeindliche Pöbeleien. Aber mehr noch wird man mit der Wehleidigkeit Eingewanderter konfrontiert, die sich, gestützt durch die bundesrepublikanische Diskriminierungsideologie, schon strukturell benachteiligt sehen und Rassismusvorwürfe im Tausenderpack hervorsprudeln.
Das Ganze natürlich als akkusatorische Einbahnstraße. Denn natürlich gibt es offiziellerseits keinen die Öffentlichkeit interessierenden antideutschen Rassismus. Eben den wahrzunehmen wäre aber höchst aufschlußreich, zumal dieses Phänomen, demographiebedingt, demnächst ähnliche Folgen haben wird, wie dies in abgekippten Vierteln im Schulbereich bereits gang und gäbe ist.
Auch im Sport ist übrigens die Bildung einer leistungsfähigen multiethnischen Mannschaft nicht unkompliziert. Man unterschätze unterschiedliche Temperamente, Mentalitäten und nicht zuletzt Ehrbegriffe nicht! Der Zuwachs an spielerischer oder athletischer Qualität hat seinen Preis durch aufwendige Vermittlungs- und Überzeugungsarbeit. Selbst unter Luxusbedingungen eines Universitätsfußballclubs, den ich einige Jahre trainierte, durfte ich schon vor Jahrzehnten solche Erfahrungen sammeln.
- Zurück zur Nationalmannschaft: Wirkliche Integration läge vor, wenn Spieler, die die deutschen Farben vertreten, von sich aus öffentlich ihre Freude darüber bekundeten, es hier geschafft zu haben. Wenn sie ihre Entscheidung für Deutschland als bewußte darstellten, die nicht vorwiegend auf höherer Kommerz- oder Erfolgserwartung beruht. Und wenn gerade sie sich als Mut machende Vermittler gegenüber ebenfalls eingewanderten Landsleuten verstünden. Nicht bloß als (auch noch von Netzwerken prämierte) Vertreter jenes Diskriminierungs-Gejammers, das immer mehr Deutsche nervt.
Inzwischen hält sich als Trittbrettfahrer, bestärkt vom einschlägig empfindsamen FAZ-Redakteur Michael Horeni, auch Antonio Rüdiger für berufen, die Rassismus-Karte zu spielen. Statt die Quote seiner Leichtsinnspatzer zu minimieren, monierte er mangelnde Solidarität mit Özil. Auch habe man ihn irgendwo mit „uh, uh, uh“ begrüßt, ohne dass Sanktionen erfolgten. Sollen wir demnach noch mehr Fanbetreuer, Lauscher oder gar Schnellrichter in die Stadien schicken?
Schon immer entluden sich in den Zuschauerrängen unkorrekte Emotionen, und man sei zufrieden, wenn das gewaltlos abgeht. Das „Arschloch, Wichser, Hurensohn“ gehört bei Abschlägen mittlerweile zum Standard.
Und die seinerzeit Richtung Kahn geworfenen Bananen ernährten einen halben Zoo. Schon vor Jahrzehnten in meinen Kreisklasse-Zeiten mußte man bei bestimmten Auswärtsspielen mit heftigen Zuschauerreaktionen rechnen, als Außenverteidiger oder ‑stürmer gar mit Schirmstichen einer fanatisierten Oma.
Also mögen unsere sonst so gehätschelten Kicker-Millionäre mit irgendwelchen fremden Wurzeln zuweilen ein bißchen mehr psychische Robustheit zeigen. Nur Sozialidylliker behaupten, Multikulti sei durchweg ein Kinderspiel. Aber gegen Häme gibt es ein Zaubermittel: nämlich Leistung, die Rufe verstummen läßt.
Daß darüber hinaus ein von allen Spielern gesungenes Bekenntnis zur Nation und den per Hymne vermittelten Werten ein wichtiges gesellschaftliches Signal ist, versteht sich von selbst. Nicht zu singen oder sich mit ein paar müden Lippenbewegungen zu begnügen, mag in den 1970ern folgenlos cool gewesen sein.
In einem durch Masseneinwanderung bedrohten Land hat es negativ-demonstrativen Charakter. Wenn Spieler mit Migrationshintergrund im Gegensatz zu ihren biodeutschen Kameraden oder sportlichen „Leitern“ (fast) kollektiv darauf verzichten, nehmen sie zumindest fahrlässig in Kauf, daß man dies als trotzige Desolidarisierung versteht.
Wenn sie in Kenntnis solcher Stimmungen weiterhin Probleme haben, einen so unverfänglichen Text wie „Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland“ zu intonieren, stimmt etwas nicht mit ihrer vielberedeten Vorbildfunktion. Und wenn ihnen dies eine hilflose DFB-Führung, die sonst bei jeder Gelegenheit „mutig“ gegen „Rassismus“ aufsteht, nicht nachhaltig ans Herz legen kann, möge sie sich eine andere Beschäftigung suchen.
Ob sie allerdings bei solchem Mangel an Überzeugungskraft auch nur für mittlere Firmen infrage käme, bleibt fraglich. Denn dort lebt oder spielt man nach außen hin stets „große Familie“. Und wer die PR-Seligkeit der Corporate Identity stört, fliegt schneller als er eingestellt wurde.
Nicht so beim DFB. Denn dessen Standard-Antwort, die schon vor Beginn der WM auf entsprechende Anfragen versandt wurde, liest sich als klassisches Armutszeugnis respektive als Kapitulation:
„Sehr geehrter Fußballfan,
herzlichen Dank für Ihre Mail und Ihr Interesse am Deutschen Fußball-Bund, das Sie damit bekunden.
Ohne Wenn und Aberstimmen wir sicher darin überein, dass das Abspielen der Nationalhymne vor Länderspielen immer etwas Besonderes sein wird. Was das Mitsingen durch die Spieler betrifft, ist unsere Position ebenfalls klar: Natürlich wäre es schön, wenn wirklich alle mitsingen würden.
Bei allem angebrachten Respekt vor der Nationalhymne ist es für den DFB ausschlaggebend, dass sich die Nationalspieler voll und ganz mit Deutschland identifizieren – und das tun sie auch! Entscheidend ist doch, dass alle Spieler ihr Bestes für ihr Land und ihre Fans geben und nicht ihre Bereitschaft, in der Öffentlichkeit zu singen.
Zwarist es unser Wunsch, dass die Spieler mitsingen und dies ist ihnen auchbekannt, aber wenn es nur ein Teil der Mannschaft tut, müssen wir das akzeptieren. Es gehört zu den Stärkeneines freiheitlichen, demokratischen Staates, dass jeder selbst entscheiden kann, ob er die Hymne mitsingt oder nicht.
Wir hoffen, dass Sie dem DFB auch weiterhin verbunden bleiben und unserer Nationalmannschaft die Daumen drücken.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr DFB-Team“ [Kursivierung durch G.S.]
7. Was Özil & Co. als Debatte anstießen, wird uns nicht mehr verlassen. Und die jetzigen Stürme waren kaum mehr als Vorgeplänkel. Schon bei dieser WM zeigte sich, wie stark etwa die Mannschaftsaufstellung politischer Bewertung unterlag. Denn als die beiden Erdogan-Werber kritisiert oder ausgebuht wurden, reagierten einige Medien geradezu strategisch durch klassische Revanchefouls nach dem Motto: Schlägst du meinen Özil, schlag ich deinen Müller.
Mit solchen Attacken traf man wie „zufällig“ gerade einen Typus, der als urwüchsig, deutsch-bajuwarisch und bodenständig galt. Er sollte nun mindestens ebenso schuld an unserem Zeitlupenfußball sein und wurde umgehend von Journalisten sogar an erster Stelle unter den Versagern genannt. War er das?
Er hat wie andere in diesem Turnier tatsächlich unter Form gespielt und durfte so fraglos ausgewechselt werden. Aber daß Löw, souffliert von einer ganz bestimmten Öffentlichkeit, im entscheidenden Spiel ausgerechnet Özil den Vorzug gab, setzt ihn dem Verdacht aus, daß nicht nur Leistung zählte, wenn ich mal unappetitliche Geschäftsverbindungen außer Betracht lasse.
Denn während Müller in der Tat häufig als nimmermüder Muntermacher und Führungsspieler auffiel, wüßte ich kein einziges entscheidendes Spiel zu nennen, das der begnadete Techniker Özil, wenn es eng wird, an sich gerissen oder gar umgedreht hätte.
- Bei einer so gestrickten medialen Öffentlichkeit werden künftig mehr denn je Aufstellungs-Entscheidungen als Gesellschaftsfragen diskutiert. Und kritisierte oder nicht berücksichtige Spieler werden sich dieses Druckmittels zu bedienen wissen. Insofern scheint für Bundestrainer demnächst eine diplomatische Grundausbildung zu den essentiellen Voraussetzungen zu gehören. Aber vielleicht ist eines noch wichtiger: Standfestigkeit gegenüber (medialen wie politischen) Pressionen. Eigenschaften also, die dem so medien- und interessenabhängigen Löw fremd sind. In seiner erstaunlich erfolgreichen Karriere ging er fast immer den Weg des geringsten Widerstands. Und nicht selten wurde er durch Verletzungen zu besseren Aufstellungen gezwungen. Er wagte nie eine direkte Konfrontation mit potentiellen Publikumslieblingen, wenn er ihr Verhalten mißbilligte. Diszipliniert wurden dagegen stets Spieler, die er ohnehin aussondern wollte. Zu glauben, daß ausgerechnet er der Mann sein soll, den gordischen Knoten durchzuhauen, fällt mir schwer.
Wie es mit der Nationalmannschaft weitergeht, bleibt somit im doppelten Wortsinn spannend. Aber solche Reibungshitze sei ja ein Fortschritt, verkündete jüngst ein professorales Honigkuchenpferd aus Münster: der Politologe Aladin El-Mafaalani, der sich aktuell bezeichnenderweise im nordrhein-westfälischen Familien- und Integrationsministerium tummelt.
Seiner auf 240 Seiten verkündeten spaßigen Grundthese gemäß, erkennt man nämlich gelungene Integration daran, daß sie zu mehr Konflikten führt.
Nun, daran wird es künftig gewiß nicht mangeln.
Hartwig aus LG8
Ich kenne noch die Zeit, als Vereins- und Club-Mannschaften nicht mehr als vier Ausländer auf den Platz bringen durften. (Der Trainer musste bei Ein- und Auswechslungen höllisch aufpassen, dass er nicht gegen diese Regel verstieß.) Ich kenne noch die Zeit, als ein dunkelhäutiger Spieler in einer europäischen Nationalmannschaft als exotische Ausnahme galt (und als solche durchaus begrüßt wurde).
Nur die Rückkehr zu derartigen Regularien und Beschränkungen können den Fußball als Sportart retten, die eine integrierende Kraft über einer Stadt, einer Region oder einer Nation entfaltet. Da die Entwicklung in eine entgegengesetzte Richtung geht, wird Fußball ein Showbiz unter vielen anderen sein, von dem zumindest ich mich abwende.
Ca. acht Wochen sind seit dem Finale vergangen. Herr Scholdt hat sich Zeit genommen. Bis auf ein paar Ausnahmen kann ich dieser Analyse rundweg zustimmen.