Sommerakademie in Schnellroda: Europa, Nation, Meuthen

Ein Veranstaltungsbericht von Tano Gerke -- Die Akademien in Schnellroda fühlen sich immer ein bißchen wie Urlaub an.


Sie füh­ren hin­aus aus der schnel­le­bi­gen Stadt, hin­ein in die Peri­phe­rie Sach­sen-Anhalts. Nicht uniro­nisch also, daß man gera­de hier die Mög­lich­keit bekommt, tief­grei­fend über die Grund­la­gen unse­rer Gesell­schaft und Poli­tik nachzudenken.

Beson­ders das Zusam­men­tref­fen mit jun­gen Leu­ten, die über einen ähn­li­chen Lek­tü­re­ka­non ver­fü­gen, ermög­licht den gedank­li­chen Aus­tausch über das Grund­sätz­li­che. Die­ses Jahr wur­de jedoch mit beson­de­rem Nach­druck klar­ge­stellt, daß die Aka­de­mien nicht dazu die­nen, ein geschlos­se­nes, rech­tes Welt­bild zu reproduzieren.

Am ver­gan­ge­nen Wochen­en­de fand unter der The­men­stel­lung „Die Zukunft Euro­pas und der Natio­nal­staat“ die dies­jäh­ri­ge, mitt­ler­wei­le 19. Som­mer­aka­de­mie statt und ver­sam­mel­te rund 150 Teilnehmer.

Refe­ren­ten aus dem euro­päi­schen Aus­land gaben einen Ein­blick in die inne­re Ver­faßt­heit ihrer jewei­li­gen Natio­nen und eröff­ne­ten dadurch die Mög­lich­keit, eige­ne Euro­pa­kon­zep­te in den eige­nen Wahr­neh­mun­gen ande­rer Län­ger zu reflektieren.

Der theo­re­ti­schen Rah­men wur­de zugleich mit kon­kret-poli­ti­schem Inhalt gefüllt, indem Spit­zen­po­li­ti­ker der AfD ihre Ein­schät­zun­gen über die Stel­lung und Zukunft Deutsch­lands inner­halb Euro­pas darlegten.

Den geis­ti­gen Rah­men der Ver­an­stal­tung spann­te der Lei­ter des Insti­tuts für Staats­po­li­tik, Dr. Erik Leh­nert, in sei­nem Ein­füh­rungs­vor­trag auf. Die Fra­ge, die im Mit­tel­punkt steht und auch den wei­te­ren Ver­lauf der Ver­an­stal­tung beglei­te­te, ist, ob Euro­pa tat­säch­lich mehr als ein Schlag­wort ist, hin­ter dem sich unter­schied­li­che Pro­jek­tio­nen und Asso­zia­tio­nen verbergen.

Aus his­to­ri­scher Per­spek­ti­ve waren die Bemü­hun­gen um ein ein­heit­li­ches Euro­pa näm­lich immer damit ver­knüpft, die Vor­macht­stel­lung Deutsch­lands auf­zu­lö­sen, so Leh­nert. Heu­te jedoch, das sei klar, sei die euro­päi­sche Auf­ga­be für uns zuerst eine deut­sche Auf­ga­be, denn nur nach dem Pro­zeß einer inne­ren Selbst­fin­dung kön­ne man sich gestärkt Euro­pa zuwenden.

Bene­dikt Kai­ser stell­te eine gesamt­eu­ro­päi­sche Kon­zep­ti­on vor, die vor allem zum Ziel hat, ein neu­es kol­lek­ti­ves Bewusst­sein zu eta­blie­ren, um die Kri­se der euro­päi­schen Soli­da­ri­tät zu über­win­den. Die­se Visi­on basiert auf dem Drei­klang von Regi­on, Nati­on und Europa.

Wich­ti­ger Bestand­teil die­ser Kon­zep­ti­on sei es, so hebt Kai­ser (wie bereits in sei­nem kapla­ken-Band Quer­front ange­deu­tet) her­vor, die Über­hö­hung einer die­ser drei Teil­be­rei­che zu überwinden.

Auch der sich so harm­los gebä­ren­de Mikro­na­tio­na­lis­mus, der heu­te in Kata­lo­ni­en eine neue Form gewinnt, ist ein Angriff auf die gesamt­eu­ro­päi­sche Idee, da er sowohl die Nati­on, als auch die kul­tu­rel­le Grund­lan­ge Euro­pas verneint.

Das neue, jun­ge Euro­pa müs­se sich selbst­ver­ständ­lich an den Erfah­rungs­räu­men der kul­tu­rel­len und his­to­ri­schen Gege­ben­hei­ten ori­en­tie­ren, zugleich aber auch neue Ele­men­te fin­den, um das alte Euro­pa zu über­schrei­ten und einen Mythos zu begrün­den, der über die kon­kre­ten poli­ti­schen Zir­kel hinauswirkt.

Eine per­sön­li­che Note gewan­nen die Vor­trä­ge der aus­län­di­schen Refe­ren­ten, indem Götz Kubit­schek über die ers­ten Begeg­nun­gen in den jewei­li­gen Län­dern berich­te­te und so einen Ein­druck erweck­te, auf wel­cher Grund­la­ge die Bezie­hung zu den euro­päi­schen Län­dern aus­ge­baut wer­den könn­te: auf ein tie­fes, gegen­sei­ti­ges Ver­ständ­nis der cha­rak­ter­li­chen natio­na­len Eigenheiten.

Der Däne Thors­ten Bramming durf­te den Anfang machen und beein­druck­te vor allem durch sei­nen authen­tisch geleb­ten christ­lich-pro­tes­tan­ti­schen Glau­ben, den er als Aus­gangs­punkt der Natio­nen und somit auch Euro­pas cha­rak­te­ri­sier­te. Euro­pa sei kein Resul­tat von pla­ne­ri­scher Poli­tik, son­dern von Kul­tur, Glau­be und Wis­sen­schaft, daher dür­fe die Poli­tik nie allein zum bin­den­den Ele­ment der euro­päi­schen Völ­ker werden.

Beson­ders sou­ve­rän und selbst­be­wußt tra­ten die Ver­tre­ter der süd­ost­eu­ro­päi­schen Staa­ten auf, deren Innen­per­spek­ti­ve in der hie­si­gen Wahr­neh­mung nach wie vor sehr unter­re­prä­sen­tiert ist. Der Ungar Gabor Tal­lai, der in Buda­pest als stell­ver­tre­ten­der Lei­ter der Stif­tung „Ter­ror Haza“ arbei­tet, posi­tio­nier­te sich gegen ein gesamt­eu­ro­päi­sches Kon­zept, da die gemein­sa­me Kul­tur nicht aus­rei­che, um die inne­re Plu­ra­li­tät Euro­pas im Ernst­fall zusammenzuhalten.

Gera­de die Erfah­rung der über­na­tio­na­len, tota­li­tä­ren Sys­te­me habe erst zu einem erbit­ter­ten Kampf der Euro­pä­er gegen­ein­an­der geführt. Die Ungarn pfle­gen daher einen Frei­heits­be­griff, der sich pri­mär auf natio­na­le Selbst­be­stim­mung bezieht. Tal­lai stellt daher kon­se­quent die für ihn ent­schei­den­de Fra­ge: Wer soll am Ende über Euro­pa herrschen?

Dr. Dusan Dosta­nic (wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter des Insti­tuts für poli­ti­sche Stu­di­en in Bel­grad) und Leo Maric (Grün­der und Chef­re­dak­teur der Zeit­schrift Obno­va, Erneue­rung, aus Zagreb) skiz­zier­ten im Anschluß das Selbst­ver­ständ­nis ihrer Länder.

Trotz des kata­stro­pha­len jugo­sla­wi­schen Bür­ger­kriegs, der bei­de Natio­nen mit aller Här­te gegen­ein­an­der trieb, führ­ten bei­de in ihren Vor­trä­gen aus, daß die nach­hal­ti­ge Aver­si­on gegen das gene­ra­li­sie­ren­de Kon­zept Jugo­sla­wi­ens weg­wei­send für die Zukunft sei, da sich dadurch ein neu­es natio­na­les Selbst­be­wußt­sein ent­wi­ckeln konnte.

In Ser­bi­en erfuhr ins­be­son­de­re der ortho­do­xe Glau­be eine Renais­sance, der zugleich auch untrenn­bar mit der Nati­ons­bil­dung Ser­bi­ens ver­bun­den ist – dar­aus kön­ne man für die Zukunft schöp­fen, so Dosta­nic. Maric berich­te­te aus Kroa­ti­en über ähn­li­che Entwicklungen.

Auch wenn mitt­ler­wei­le in bei­de Län­der eman­zi­pa­to­ri­sche Ten­den­zen aus dem Wes­ten ein­drän­gen, so sei der natio­na­le Zusam­men­halt im All­tag der Bevöl­ke­rung noch tief ver­an­kert. Anders als in Deutsch­land steht in die­sen wirt­schaft­lich schwa­chen Län­dern die Lösung der sozia­len Fra­ge im Vor­der­grund und wird mit dem Erhalt der natio­na­len Sou­ve­rä­ni­tät verknüpft.

Auf­fäl­lig ist, daß die Reprä­sen­tan­ten der „klei­nen“ Natio­nen Euro­pas von groß­an­ge­leg­ten euro­päi­schen Kon­zep­ten Abstand neh­men. Zum einen Auf­grund ihrer noch teils sehr rea­len Erfah­rung des soge­nann­ten „har­ten Tota­li­ta­ris­mus“, in dem sie Opfer von Kol­lek­ti­vie­rungs­be­stre­bun­gen wur­den und zum ande­ren des­halb, weil sie sich, anders als Deutsch­land, auf­grund ihrer Grö­ße an dem kon­kret Mach­ba­ren ori­en­tie­ren müssen.

Ihre Stel­lung und Grö­ße ermög­licht es über­haupt nicht, ganz­heit­li­che Kon­zep­te zu initi­ie­ren – kein Zufall also, daß auch his­to­risch die gesamt­eu­ro­päi­schen Ideen gedank­lich vor allem in den ehe­ma­li­gen euro­päi­schen Groß­mäch­ten vor­be­rei­tet wurden.

Der Ver­such, eini­ge inne­re Wider­sprü­che auf­zu­lö­sen und wei­ter­zu­den­ken, wur­de am Sams­tag­abend in klei­nen Nei­gungs­grup­pen unter­nom­men, in denen es zu Dis­kus­sio­nen über die Mach­bar­keit und die meta­phy­si­sche Grund­la­ge einer Euro­pa­kon­zep­ti­on kam. Vor einer Bücher­wand mit einem Glas Wein und schum­me­ri­gem Licht läßt es sich bekannt­lich doch am gründ­lichs­ten diskutieren.

Zuvor durf­te jedoch noch Ali Mer­can, Ver­tre­ter der tür­ki­schen Vat­an-Par­tei (bekannt aus Sezes­si­on 75) als Red­ner den Sams­tag abschlie­ßen. Mer­can, stell­ver­tre­ten­der Par­tei­chef der Patrio­ti­schen Par­tei, ver­trat einen wahr­lich uner­war­tet fri­schen Stand­punkt, der eini­ge Zuhö­rer mit den Gren­zen einer mög­li­chen Remi­gra­ti­on kon­fron­tier­te und statt­des­sen auf die Ver­stän­di­gung der Deut­schen mit den hier leben­den Tür­ken setzte.

Mer­can beton­te dabei die natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­re Aus­rich­tung sei­ner Par­tei, die sich dabei beson­ders an Ruß­land (respek­ti­ve dem Kon­zept Eura­si­en) ori­en­tie­re, um der Hege­mo­ni­al­stel­lung der USA Ein­heit zu gewähren.

Der Sonn­tag stand dann im Zei­chen der Real­po­li­tik und steu­er­te unter der klu­gen Mode­ra­ti­on Erik Leh­nerts Atwor­ten auf die Fra­ge an, was wirk­lich mach­bar sei. Zunächst war es an Prof. Dr. Harald Weyel, Ein­bli­cke in die Gefähr­dung Deutsch­lands durch über­ge­ord­ne­te Kon­zep­te wie die euro­päi­sche Inte­gra­ti­on zu geben.

Der Euro­pa­ab­ge­ord­ne­te und Bun­des­spre­cher der AfD Prof. Dr. Jörg Meu­then, berich­te­te direkt anschlie­ßend von sei­nen Erfah­run­gen aus dem Euro­pa­par­la­ment (kom­plet­ter Vor­trag-Mit­schnitt: sie­he unten!).

Bemer­kens­wert ist, daß Meu­then zwar die der­zei­ti­ge Pra­xis der Euro­päi­schen Uni­on ablehnt, da sie den Kon­takt zu den rea­len Pro­ble­men der Bür­ger ver­lo­ren habe und von einer „lin­ken Kul­tur­he­ge­mo­nie“ domi­niert sei, zugleich aber doch an die Refor­mier­bar­keit des EU-Par­la­ments glaubt.

Schlicht­weg des­halb, weil dort mehr und mehr gute Köp­fe aus den ein­zel­nen Mit­glieds­staa­ten zusam­men­kom­men. Auch Johan­nes Hüb­ner (FPÖ) beton­te in der Abschluß­dis­kus­si­on noch ein­mal die Not­wen­dig­keit einer Koope­ra­ti­on der euro­päi­schen Staaten.

Es ver­fes­tig­te sich in Schnell­ro­da die Über­zeu­gung, daß wir mitt­ler­wei­le tat­säch­lich »rele­vant« tagen und dis­ku­tie­ren und unse­ren grund­sätz­li­chen Über­le­gun­gen ver­mit­telt über den par­la­men­ta­ri­schen Arm in abseh­ba­rer Zeit eine Form geben können.

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Kommentare (5)

Waldgaenger aus Schwaben

16. September 2018 15:03

Liegt Schnellroda bei Canossa?

Lotta Vorbeck

16. September 2018 19:59

@Waldgaenger aus Schwaben - 16. September 2018 - 03:03 PM

Liegt Schnellroda bei Canossa?

__________________

Sie meinen Monte Cassino?

Juerg_Jenatsch

16. September 2018 22:43

@ Liebe Frau Vorbeck Canossa liegt am 14. Oktober in Schwaben, wenn der Waldgänger und seine Familie zur Wahl der CSU schreiten. Ihnen einen schönen Abend.

Waldgaenger aus Schwaben

17. September 2018 17:46

@Juerg_Jenatsch
Sie wissen schon, dass der historische Canossa-Gang vermutlich letztlich ein Erfolg für den Kaiser war?

Meine Wahl ist erstens geheim und zweitens noch offen. Aber Seehofers mutmassliche Entlassung Maaßens auf Anweisung Merkels wird mir sicher bei der Entscheidung helfen.
Verlässt allerdings die CSU die GroKo wäre dies auch wahlentscheidend für meine Wahl.
Schaun wir mal.

Juerg_Jenatsch

19. September 2018 07:23

Hochverehrter Waldgaenger sollte Ihnen entgangen sein, daß der Gang nach Canossa 2 mögliche Interpretationen beinhaltet? Eine historische und eine übertragene, im Sinne Bismarcks, der dies in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts während des Kulturkampfes formulierte. Und nun zur historischen Auslegung. Zwar haben Sie recht, daß König Heinrich durch Canossa wiederum den Freiraum gewann, seine deutschen Gegner niederzuringen. Schlußendlich konnte er gar Papst Gregor, den falschen Mönch Hildebrandt, aus Rom ins Exil vertreiben. Aber mit Canossa wurde mit dem Investiturstreit ein jahrhundertelanger Abnutzungskrieg zwischen Kaisertum und Papsttum eröffnet, welcher das Hochmittelalter prägte. Am Ende wurde der letzte staufische Thronprätendent Konradin hingerichtet, d.h. ermordet. So empfanden es schon viele Zeitgenossen. Also alles im allem langfristig keine Erfolgsgeschichte, auch wenn Heinrich IV. zeitweilig eine eigene Kreatur auf den Papstthron installieren konnte.