Und, was viel schlimmer ist, sie geht am Kern vorbei. Wir können aus dieser Debatte viel lernen, denn sie offenbart wie in einem Laborversuch Wahrheiten und liefert Erkenntnisse, die auf wissenschaftlich-theoretischem Weg kaum herbeizuführen gewesen wären. Jedenfalls nicht in dieser kurzen Zeit.
Aber dazu bedarf die Debatte, bedürfen die Geschehnisse der letzten beiden Wochen einer Analyse, einer Einordnung und Strukturierung. Dann wird deutlich, auf welch dünnem Eis sich gerade nicht die AfD, sondern vielmehr die Kanzlerin bewegt. Nicht nur politisch, sondern insbesondere rechtlich: verfassungsrechtlich.
Die Ereignisse der letzten Tage machten mehr als jemals zuvor deutlich, in welchem verfassungsrechtlichen Rahmen sich rechtmäßige Politik bewegen muß und an welche Grenzen diejenige Politik stößt, die seit Jahren bei uns in Deutschland herrscht. Gerade die Lautstärke, in der die Geschehnisse gerade ablaufen und die der Debatte diese Vehemenz geben, läßt einiges zu Tage treten: wo die Verfassungsmäßigkeit der Politik endet, was eigentlich Aufgabe, Sinn und Zweck des Verfassungsschutzes ist und wo und wie seine Aufgaben, sein Sinn und Zweck gerade von den Herrschenden ins Gegenteil verkehrt werden.
Ich will mein Ergebnis voranstellen: Die AfD braucht keine Angst vor einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu haben! Vielmehr offenbart die tatsächlich bestehende Furcht führender AfD-Politiker und auch der Mitglieder an der Basis eine Unsicherheit innerhalb der Partei, die als Faktum bislang überhaupt nicht ins Bewußtsein getreten war. Ich gehe fest davon aus, daß jeder einzelne AfD-Politiker, jedes AfD-Mitglied getrieben ist von echter Vaterlandsliebe, inniger Verbindung zu dem Stück Erde, auf dem unsere Verfassung Gültigkeit besitzt und echter Sorge dem deutschen Volk und allen Menschen gegenüber, die sich dem deutschen Volk – und ihrer Verfassung – innerlich verbunden fühlen und ihm Achtung, Freundschaft und Respekt entgegenbringen.
Solche Politiker, solche Mitglieder können, das folgt schon aus der Natur der Sache, gar nicht vom Verfassungsschutz beobachtet werden, da eine solche Politik schon denklogisch nicht die freiheitlich demokratische Grundordnung verletzen kann. Die Beobachtung solcher Politiker wäre ein Widerspruch in sich. Ich möchte das näher erläutern.
Innerhalb der AfD sind und waren die Angst vor dem Verfassungsschutz und die Überzeugung, alles tun zu müssen, um einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu entgehen, ein in Stein gemeißeltes Gesetz. Diese Angst hat seit je Debatten befeuert, beschränkt, unterdrückt und manchmal im Keim erstickt. Sie hat Gräben eröffnet und vertieft, Grabenkämpfe und Spaltungen ermöglicht – einst zwischen Lucke und Petry, später zwischen Petry/Pretzell und Höcke, und jetzt immer noch in einem weiteren Sinne zwischen der sogenannten Alternativen Mitte (dem langen Arm Pretzells in die AfD gerade in NRW) und Höckes patriotischem Flügel. Eine Angst (auch um die persönliche Karriere), die ein ums andere Mal als Argument herhalten mußte und die die Handlungen und Entscheidungen von einigen Politikern der AfD beeinflußt hat. Nur keine Beobachtung durch den Verfassungsschutz, war und ist die Devise!
Falsch, muß man jetzt rufen! Falsch! Falsch! Falsch!
Diese Haltung offenbart eine Unsicherheit der AfD-Leute, die keinerlei Berechtigung hat; eine (soll man sagen fast rührende?) Vorsicht, die aus einer tiefen Verunsicherung stammen muß. Einer Verunsicherung, die sich darin zeigt, daß sie sich trotz der intellektuellen Überzeugung von der Richtigkeit ihrer Politik, emotional im Unrecht zu fühlen scheinen.
Sie scheinen, gefühlsmäßig, eine berechtigte Beobachtung der AfD zumindest denklogisch für möglich und, schlimmer noch, für berechtigt zu halten. Wieso sonst sollte eine reale Angst vor Beobachtung durch den Verfassungsschutz innerhalb der AfD vorherrschen können, eine Partei, deren raison d’être gerade die Sorge um die Einhaltung der Grundordnung unseres Staates, also der Wahrung des Rechtsstaates, der Demokratie, der Ermöglichung einer echten Opposition ist?
Um dieser Angst beizukommen, sollte man sich vor Augen führen, was rein objektiv Aufgabe des Verfassungsschutzes ist. Der Verfassungsschutz schützt die Verfassung – und damit insbesondere die vielzitierte freiheitlich demokratische Grundordnung. Damit ist er Freund und Partner eines jeden, der die Verfassung achten und geschützt wissen will. Er ist, wenn er nicht seines Namens spotten will, dasjenige Amt, das denklogisch auf Seiten der die Verfassung und die freiheitliche Grundordnung Achtenden steht, auf Seiten derjenigen also, die im Sinne der freiheitlich demokratischen Grundordnung auf die „Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt (vulgo Bundesregierung/Bundeskanzlerin) und Rechtsprechung an Gesetz und Recht“ pochen.
Das beinhaltet ebenfalls „die Chancengleichheit für ALLE politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition“. Zu diesem berechtigten und notwendigen Schutz hat der Gesetzgeber Verfassungsschutzgesetze erlassen, die die Eingriffsbefugnisse des Verfassungsschutzes regeln.
Was passiert gerade in Deutschland?
Philip Stein von EinProzent zitierte jüngst aus dem #wirsindmehr Konzert: Da habe ein Mitglied von K.I.Z. sinngemäß gesagt, es sei ihnen egal, ob sie für linksradikal oder für verfassungsfeindlich gehalten würden. Sie hätten ihre Meinung und stünden für ihre Inhalte, und wenn sie aufgrund dieser Inhalte vom Verfassungsschutz beobachtet würden, dann das interessiere sie das nicht.
Stein meint, wir Patrioten könnten von den Linken lernen, unsere Handlungen nicht davon beeinflussen zu lassen, was der Verfassungsschutz wolle. Dem kann man vom Ergebnis her nur zustimmen – und wir Patrioten haben noch dazu das Glück, weitaus weniger psychische Kraft dafür entfalten zu müssen.
Denn wir Patrioten stehen mit beiden Beinen auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Wir wollen gerade nicht die Abschaffung oder Änderung der Verfassung, sondern wir pochen auf ihre Einhaltung. Dafür bedarf es keiner besonderen Argumentation, sondern es folgt aus dem, wofür die AfD seit ihrer Gründung steht, aus dem, wofür sie in alle Parlamente gewählt wurde bzw. in den nächsten Wochen gewählt wird.
Der Verfassungsschutz wird zwangsläufig, wenn er die AfD denn beobachten sollte, in der AfD die Musterschülerin, die Klassenstreberin erkennen, sie wird zwangsläufig zum untadeligen Lieblingskind des Verfassungsschutzes avancieren, denn er wird feststellen, daß sie mit ihrem ganzen Sein, mit all ihrer Substanz die Vorgaben und Gebote der Verfassung so gut achtet wie keine der Altparteien!
Was folgt weiterhin aus den Geschehnissen der letzten Tage und der darauf aufbauenden Debatte? Man darf vermuten, daß Dreh- und Angelpunkt, Auslöser und Ursache für den Schrei nach Beobachtung durch den Verfassungsschutz der Griff der AfD nach der Macht ist. Nicht mehr und nicht weniger.
Wer schreit nach der Beobachtung durch den Verfassungsschutz? Und warum tun sie das? Ginge es ihnen um die reine Lehre, ginge es um den Schutz der Verfassung, so müsste keiner schreien, jedenfalls nicht hinsichtlich der AfD. Sollte es wirklich so sein, daß der Verfassungsschutz uminterpretiert wird in einen Merkelpolitikschutz? Es scheint in der Debatte noch nicht klar genug herausgearbeitet worden zu sein, worum es beim Verfassungsschutz eigentlich geht: Um den Schutz derjenigen für alle politischen Akteure in Deutschland abstrakt gültigen Regeln, um die Struktur, die das Funktionieren des Staates ermöglicht, auf der unser Staat fußt. Es handelt sich beim Verfassungsschutz nicht um die Leibgarde der Regierenden Klasse oder gar Angela Merkels persönlich.
Die Verfassung, die der Verfassungsschutz schützen soll, gebietet eine strikte Trennung von Parteien und Staat. Dies ist natürlich nicht immer möglich, sie wird aber zwingend notwendig, wo zumindest die Vermutung naheliegt, daß die Regierenden die freiheitlich demokratische Grundordnung bedrohen, indem sie Gesetze nicht beachten und eine Bindung der vollziehenden Gewalt (vulgo Bundesregierung bzw. Bundeskanzler) an Recht und Gesetz zumindest fraglich ist. Hinter dem Trennungsgebot von Partei und Staat steht die Erkenntnis, daß die Regierenden, um ihre Macht zu erhalten, geneigt sein könnten, die Verfassung zu brechen, in dem sie sich die Freiheit nehmen, selbst zu entscheiden, welche Gesetze sie beachten wollen und welche nicht. Sich diese Freiheit nehmen zu können, ist eine Frage der Macht. Diese Macht kann nur begrenzt werden durch staatliche Organe, die über die Einhaltung der Gesetze durch die Regierenden wachen.
Dies sind natürlich in erster Linie die Gerichte. Heute aber steht zu vermuten, daß die Regierung Gesetze systematisch und in einem Umfang bricht, daß dies über die dadurch verursachte Verletzung des Rechtsstaatsprinzips hinaus auch die Herstellung von Lebensbedingungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes schafft, daß bestimmte, zur freiheitlich demokratischen Grundordnung gehörende Prinzipien nicht mehr garantiert werden können.
Die Entscheidung, systematisch gesetzeswidrig Menschen einreisen zu lassen, ohne ihre Personalien festzustellen, oder ausreisepflichtige Personen nicht abzuschieben, mit der Folge, daß diese Personen andere Menschen im Geltungsbereich der Verfassung töten und damit die Sicherheit gefährden: Das stellt die Sicherheit der Verfassung in Frage und muß den Verfassungsschutz auf den Plan rufen!
Zu denken ist dabei auch an die ausufernde Clankriminalität in Berlin und NRW, zu der der Berliner Polizeisprecher nach dem Mord auf dem Tempelhofer Feld in den öffentlich-rechtlichen Medien sagte, diese sei möglich geworden, weil durch die Ohnmacht des Rechtsstaats (also durch jahrzehntelanges Nichtstun) die Clanmitglieder denken, sie könnten auf den Straßen machen, was sie wollten.
Welche Personen sollten eher vom Verfassungsschutz beobachtet werden? Diejenigen, die diese Verhältnisse herbeigeführt haben, oder diejenigen, die sie revidieren wollen?
Fritz
"Solche Politiker, solche Mitglieder können, das folgt schon aus der Natur der Sache, gar nicht vom Verfassungsschutz beobachtet werden, da eine solche Politik schon denklogisch nicht die freiheitlich demokratische Grundordnung verletzen kann."
Scheint mir doch etwas naiv, diese Denkweise. Was die AfD als Vaterlandsliebe sieht, sehen die Regierenden als Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit, die Sorge um das deutsche Volk sehen sie als Rassismus usw.
Daraus lassen sich jede Menge Anklagepunkte kosntruieren.