Die Veranstaltung fand in Kooperation unter anderem mit der Bundeszentrale für politische Bildung, dem Kulturbüro Sachsen e.V. und der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen statt. Frau Dagen hatte vor einem Jahr anläßlich der Vorgänge auf der Frankfurter Buchmesse die vielbeachtete Charta 2017 initiiert. Ich will von ihr wissen, was genau vorgefallen ist.
KOSITZA: Susanne, wie man lesen konnte und wie es mittlerweile vielfach getwittert wurde, wurdest Du gestern von einer Veranstaltung im Hygienemuseum ausgeschlossen. Was war da los?
DAGEN: Ich hatte mich im Vorfeld aus privatem zeitpolitischen Interesse an der Tagung “Die Neue Mitte? Rechte Bewegungen und Ideologien in Europa” angemeldet, bezahlte die Gebühr und war seit Montag schon Teilnehmerin, ausgestattet mit Namensschild und umfangreichem Katalog zum Programm. Es wurden Vorträge zu themenspezifischen Sachgebieten gehalten, die Referenten kamen aus Universitäten und Hochschulen von Düsseldorf bis Zittau, von Hamburg bis Leipzig. Dazu wurden Workshops angeboten, für die man sich im Vorfeld per Aushang eintragen konnte – ein völlig normaler und gut organisierter Tagungsalltag.
KOSITZA: Du bist davon ausgegangen, daß diese Leute Dich teilnehmen lassen?
DAGEN: Aber natürlich. Mir ist es überhaupt nicht in den Sinn gekommen, daß es Bestrebungen geben könnte, mich auszuschließen. Ich hatte im Vorfeld die Präambel zum Hausrecht studiert, in dem davon die Rede war, Störer oder Leute mit erkennbarem rechtsextremen Hintergrund von der Tagung verweisen zu können. Ich habe mich völlig still verhalten und hatte auch keine Ambition, mich mit Wortbeiträgen einzubringen. Es waren vornehmlich junge Leute dort, deren Kenntnisstand natürlich ein anderer war als meiner. Da hätten die an die Vortragenden gerichteten Einlassungen durch mich nur verwirrt.
Allerdings hat es mich manchmal mächtig gejuckt, wenn Begriffe zusammengewürfelt wurden oder ein Professor Literaturangaben aus den 60er Jahren auf der Folie hatte. Zwei Tage lang blieb ich völlig unbehelligt, nahm an den Vorträgen, die mich zumeist langweilten, teil und auch an einem diskursiven Workshop zum Thema “Heimat”. Den Workshop mit Liane Bednarz hätte ich gern besucht, leider fehlte mir dazu die Zeit. Aber wir haben wenigstens ein paar Worte miteinander wechseln können und werden uns wohl auch zu einem anderen Zeitpunkt mal treffen. Sie beobachtet sehr genau unsere Literatursendung, Ellen. Und ich selbst schaue hin und wieder, was sie so macht. Ehrliches Interesse am Anderen ist der Anfang für einen respektvollen Umgang miteinander, auch bei Meinungsverschiedenheiten.
KOSITZA: Was genau sollte denn in dem „Workshop“ bearbeitet werden, aus dem Du ausgeschlossen wurdest?
DAGEN: Der Workshop von Simone Rafael, einer Mitarbeiterin der Amadeu-Antonio-Stifung, hatte “Echokammern und Filterblasen: Vernetzung über Social Media” zum Thema. Das hat mich interessiert, zumal ich hoffte, daß da ein bißchen mehr zum aktuellen Stand der rechten Social-media-Kampagnen zu hören wäre. Und gern hätte ich eine Vertreterin einer Stiftung kennengelernt, die von IM Victoria geleitet wird, die ihrerseits erwiesenermaßen 8 Jahre lang für die Stasi gespitzelt hat und pikanterweise vor allem Künstler und Ausländer observierte. Eine Ungeheuerlichkeit, diese Frau mit dem großangelegten und staatlich massiv durchfinanzierten Programm “Kampf gegen Rechts” zu betrauen! Auch ein Schlag ins Gesicht für all jene, die zu DDR-Zeiten unter der Stasi gelitten haben. Mit dem kürzlich und viel zu früh verstorbenen Autoren und Publizisten Ulrich Schacht haben wir immer wieder und heftig darüber debattiert.
KOSITZA: Kannst Du die Perspektive derjenigen Teilnehmer verstehen, die sich von Dir eingeschüchtert fühlten?
DAGEN: Das hat mich echt umgehauen. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass ich mit meinen Einmeterachtundfünfzig einschüchternd wirke. Es wurde sogar davon gesprochen, man hätte Angst vor mir. Erklärt wurde die Angst vor mir damit, daß ich ja, so würde man es von rechten Strategien kennen, eingeschleust wäre, um die Namen der Teilnehmer mitzuschreiben und dann an meine rechtsextremen Freunde, die ich vermutet en masse habe, zu melden. Auf die Frage, woher ich denn die Namen haben sollte, verwies man auf die aushängenden Listen. Das allerdings, so sagte ich darauf, wäre ja wohl das datenschutzrechtliche Problem des Veranstalters.
Worum geht es wirklich? Es ging darum, mich zu kriminalisieren, um den Ausschluß aus Rafaels Workshop zu rechtfertigen. Das Argument von “das macht mir aber jetzt Angst” ist keines, weil es spekulativ eventuell Eintreffendes auf den Gegenüber projiziert. Also auf mich. Das hat mich wirklich wütend gemacht, zumal ich dann erfuhr, daß es bereits am Vortag Beschwerden über meine Anwesenheit bei der Tagung gab. Einige der Anwesenden wären schon Opfer rechter Gewalt geworden und hätten vor allem deshalb Angst vor mir. Ein Witz! Auf meinen Einwand, daß ich schon oft Opfer linker Gewalt, wenn auch nicht körperlicher, geworden bin, erwiderte man nichts. Man mißt auch hier mit zweierlei Maß.
KOSITZA: Man hat Dir zum Vorwurf gemacht, daß Du mit mir bekannt bist und mit mir zusammenarbeitest. Das ist deshalb lustig – oder besser: bestürzend, weil genau dieses Vorgehen, dieses Ausschließen und Mundtotmachen ja exakt der Mechanismus ist, den Du in der von Dir initiierten Charta 2017 beklagt hast: Unter der großen, pseudoweltoffenen Überschrift “Toleranz“ wird das exakte Gegenteil gelebt, nämlich Intoleranz gegenüber Andersdenkenden, oder?
DAGEN: Ja, das ist ein immer wiederkehrendes systemisches Element bei den Linken. Die Angst vor dem Anderen ist so groß, dass man dies weghaben will. “Mach Dich unsichtbar” sagte mal ein Bekannter zu mir. Diese linke Utopie ist nur auf Sand gebaut, sodaß das mühsam errichtete utopische Weltbild bei kleinstem Widerstand schon zusammenzubrechen droht. Das bedeutet Verluste von Deutungshoheiten, von Macht, von Geld.
Bei der “Charta 2017” ging es exakt um den selben Vorgang: Man lädt ein, läßt “das Andere” vermeintlich zu, im Sinne des bekannten Jargons, und demonstriert dann mit Gleichgesinnten, abhängigen Geistern Macht, indem man stigmatisiert, ausgrenzt, denunziert und demontiert. Keine 24 Stunden später wurden Vermutungen laut, ich hätte dies alles bewußt inszeniert und geplant. Diese Leute können sich also noch nicht einmal vorstellen, daß ich mit meiner Meinung nicht alleine stehe und es Leute gibt, die sich solidarisieren und die Nachricht vom Vorfall weitertragen. Im Übrigen war der erste Tweet von einem Journalisten, der zufällig dazukam, als man mich an der Tür abwies. Ich habe davon wiederum erst eine Stunde später erfahren, da war es auf Twitter schon mehrfach geteilt und kommentiert worden. Verrückte Neue Welt!
KOSITZA: Wir beide stecken insofern unter einer Decke, da wir seit ein paar Monaten unser Büchersendung „Aufgeblättert-zugeschlagen“ betreiben und in den bisher drei veröffentlichten Folgen Caroline Sommerfeld, Matthias Matussek und Sophie Liebnitz zu Gast hatten. Haben wir dort eine politische Agenda?
DAGEN: Ich für meinen Teil nicht. Weißt Du, die Linke hat ja auch keinen Humor! Warum nennen wir denn unsere Literatursendung “Aufgeblättert. Zugeschlagen – Mit Rechten lesen”? Weil wir auch aufspringen wollen auf die Ratgeberliteratur von “Mit Rechten reden und “Mit Linken leben”. Weil wir sagen wollen, guckt Euch das doch erstmal an und haltet Euch nicht an den Personalien Dagen/Kositza auf. Wie armselig ist das eigentlich, wenn es Leute gibt, die hinter allem etwas vermuten? Nein, wir reden dort über Literatur, über Bücher, die uns treffen – mitten ins Herz oder in die Magengrube. Und, sag mal, Du kochst doch genauso gern wie ich: Ich hätte Lust auf eine Sendung “Mit Rechten kochen”, wir im Schürzchen und hinterher dürfen die Leute zugucken, wie wir das mit unseren Männern Michael und Götz genußvoll verspeisen.
KOSITZA: Ein Twitterteilnehmer wirft Dir vor, Du seist „rechtsaußen“ und unterstützest eine „menschenfeindliche Ideologie“. Was könnte er damit meinen?
DAGEN: Ich habe keine Ahnung, noch nicht einmal eine Idee, was er meinen könnte. Aber ich denke, wir sollten auch nicht jedem 280-Zeichen-Adorno soviel Bedeutung beimessen und auch nicht auf jeden Schrei nach Liebe reagieren. Es ist absurd.
KOSITZA: Kann man denn sagen mit der Amadeu-Antonio-Stiftung und „uns“ stehen sich zwei Lager mit unterschiedlichen Feindbildern gegenüber, die per se unversöhnlich sind? Von mir selbst kann ich sagen: Ich hatte diesen Leuten, die auf der Frankfurter Buchmesse einen Standplatz unserem Verlag gegenüber geschenkt bekamen, ein schriftliches Gesprächsangebot unterbreitet und dasselbe noch mal im direkten gegenüber wiederholt. Die wollten nicht. Es hieß pauschal, mit uns könne „man nicht reden“.
DAGEN: Ich würde da weiter gehen: Es stehen sich mit Links und Rechts zwei unversöhnliche Lager gegenüber. Ich habe viel versucht, habe alles gegeben, um im Gespräch zu bleiben. Doch erwarte ich auch ein entsprechendes Niveau. Ich erwarte Geschichtskenntnis und eine biografische gefestigte Persönlichkeit. Ich habe keine Lust darauf, immer wieder die Wechselbeziehung von Ursache und Wirkung anzumahnen und wenn schon nicht Verständnis, so doch Empathie einzufordern. Mit dem Fall, über den wir eingangs gesprochen haben, offenbart sich doch das Exemplarische. Wir sind am Ende miteinander. Was bleibt, ist auf beiden Seiten Mythenbildung und das Verzetteln im Kleinen. Solange wir nicht das Gemeinsame wiederfinden, wird das Trennende immer stärker. Wir werden uns erst in existenzieller Not wiederfinden.
KOSITZA: Wie geht’s Dir nun mit diesem Affront? Fühlst Du Dich als eine Art „Paria“?
DAGEN: Im DDR-Fernsehen gab es eine Sendung “Außenseiter-Spitzenreiter”, das war immer sehr lustig. Aber im Ernst: Distanz ist doch was Schönes. Man guckt, hat Platz und wenn ich einen Schritt nur mache hab ich einen Haufen guter Leute um mich. Das Schöne sehen, positiv wirken. Es sind schreckliche Zeiten, es sind tolle Zeiten. So ein Leben ist doch irre lang – machen wir was draus. Möglichst das Beste!
Dieter Rose
nicht vergessen:
wir leben im freiesten Deutschland,
das je auf deutschem Boden existiert hat.