Marx von rechts – eine Debatte (1)

von Siegfried Gerlich --- Auf den Sammelband Marx von rechts, der vor anderthalb Monaten im Verlag Jungeuropa erschien, wird unangemessen und angemessen reagiert.

Unan­ge­mes­sen han­deln ama­zon und der Buch­dienst der JF: Bei bei­den ist der Band auf den Inter­net­prä­sen­zen nicht mehr auf­find­bar, denn sie wol­len die Debat­te nicht füh­ren. Ange­mes­sen hat unser Autor Sieg­fried Ger­lich reagiert: Er kann dem Buch nicht viel abge­win­nen und legt dies im Fol­gen­den dar. Daß der an Marx von rechts betei­lig­te Bene­dikt Kai­ser die­sen Hieb in einem Debat­ten­bei­trag parie­ren darf, ist selbst­ver­ständ­lich – wir ver­öf­fent­li­chen sei­nen Bei­trag heu­te Nach­mit­tag, und erst dann wird die Debat­te für Kom­men­ta­to­ren mög­lich sein.

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Karl Marx – von rechts nach links gelesen

Es ist bereits zum Gemein­platz gewor­den, daß die auf­grund einer zum Neo­li­be­ra­lis­mus kon­ver­tier­ten Lin­ken vakant gewor­de­ne sozia­le Stel­le inzwi­schen von einer mit dem Anti­ka­pi­ta­lis­mus koket­tie­ren­den Rech­ten besetzt wor­den ist.

Das zwei­hun­derts­te Geburts­jahr von Karl Marx aber hat eini­gen jün­ge­ren Rech­ten einen will­kom­me­nen Anlaß gebo­ten, um den Ver­leum­dern zu bewei­sen, daß es ihnen mit dem Begrün­der des Mar­xis­mus voll­kom­men ernst ist. Mit die­sem Impe­tus prä­sen­tiert sich jeden­falls eine im Jun­g­eu­ro­pa-Ver­lag erschie­ne­ne Streit­schrift, deren Titel Marx von rechts (144 S., 22 €) schon ankün­digt, daß es für die Lin­ke jetzt rich­tig unge­müt­lich wer­den könnte.

In sei­nem Vor­wort zu die­sem mit Bei­trä­gen von Bene­dikt Kai­ser, Alain Benoist und Die­go Fus­aro bestück­ten Sam­mel­band stellt der Ver­le­ger Phil­ip Stein von vorn­her­ein klar, daß das drei­köp­fi­ge Autoren­kol­lek­tiv den Leser nicht mit einem unver­bind­li­chen Plä­doy­er für einen irgend­wie rech­ten Anti­ka­pi­ta­lis­mus lang­wei­len will, son­dern für ein ech­tes, von allem »ideo­lo­gi­schen Bal­last« des Mar­xis­mus befrei­tes »Zurück zu Marx!« plä­diert. Kei­nen Zwei­fel läßt Stein auch dar­an, daß die­ser »fun­da­men­ta­le Neu­an­fang« der Neu­en Rech­ten auf eine Art Zwei­fron­ten­krieg hin­aus­lau­fen wird.

Wenn näm­lich das libe­ral-kapi­ta­lis­ti­sche Welt­sys­tem zum Haupt­feind erklärt wird, dann müs­sen die libe­ral-kon­ser­va­ti­ven Kol­la­bo­ra­teu­re aus dem eige­nen Lager zumin­dest als Neben­fein­de betrach­tet wer­den, die es gleich mit­zu­er­le­di­gen gilt. Da es am Ende aber um eine »höhe­re Ein­heit« von »Nati­on und Euro­pa« gehen soll, wird nicht nur der bür­ger­li­chen Klas­sen­ver­söh­nung, son­dern auch dem sozia­lis­ti­schen Klas­sen­kampf eine ent­schie­de­ne Absa­ge erteilt. Was aber tun, wenn der Bür­ger als refor­mis­ti­scher Treu­hän­der sozia­ler Ansprü­che abge­schla­gen ist und zugleich der mythisch gewor­de­ne Arbei­ter als revo­lu­tio­nä­rer Hoff­nungs­trä­ger aus­ge­spielt hat?

Wer kei­ne Nah­erwar­tung einer erlö­sen­den Welt­re­vo­lu­ti­on mehr hegt, aber den­noch unver­dros­sen wei­ter die gro­ßen Fah­nen gegen Kapi­ta­lis­mus und Libe­ra­lis­mus schwen­ken will, dem bleibt letzt­lich nur, bis zum apo­ka­lyp­ti­schen Kol­laps der bestehen­den Welt­ord­nung tap­fer aus­zu­har­ren und zwi­schen­zeit­lich mit den Fein­den in den eige­nen Rei­hen abzu­rech­nen. Zwar hofft Stein, daß sich die »brei­te Front« von »Mosa­ik-Rech­ten« noch lan­ge genug hal­ten wird, um dem »Sys­tem Mer­kel« die Stirn zu bie­ten, aber frü­her oder spä­ter müs­se es zu einem »clash of eco­no­mics« kom­men, bei dem sich die libe­ra­le Spreu vom sozia­len Wei­zen tren­nen werde.

Und doch scheint nicht die »sozia­le Fra­ge« als sol­che der »Spalt­pilz« zu sein, an dem der rechts­kon­ser­va­ti­ve Mini­mal­kon­sens zu zer­bre­chen droht — die­se neu­es­te Rech­te selbst ist es, die einen Keil zwi­schen das libe­ral-kon­ser­va­ti­ve und das sozi­al-natio­na­le Lager der Rechts­kon­ser­va­ti­ven trei­ben will, deren »schwe­len­der Kon­flikt« ihr uner­träg­lich gewor­den ist.

Den enga­gier­tes­ten Ver­such, das Ver­spro­che­ne auch ein­zu­lö­sen, unter­nimmt der Poli­tik­wis­sen­schaft­ler Bene­dikt Kai­ser, der in sei­nem his­to­risch aus­ho­len­den Eröff­nungs­bei­trag zunächst nach anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen und sozia­lis­ti­schen Posi­tio­nen im euro­päi­schen, vor allem aber im deut­schen Rechts­kon­ser­va­tis­mus Aus­schau hält, um schließ­lich die trau­ri­ge Bilanz zu zie­hen, daß Marx auch für jene der sozia­len Fra­ge gegen­über auf­ge­schlos­se­nen preu­ßi­schen Kon­ser­va­ti­ven, mon­ar­chis­ti­schen Sozi­al­kon­ser­va­ti­ven und Natio­nal­bol­sche­wis­ten stets ein rotes Tuch geblie­ben ist.

Wie wenig die radi­ka­le Über­zeu­gung, daß die von Gre­gor Stras­ser dia­gnos­ti­zier­te »anti­ka­pi­ta­lis­ti­sche Sehn­sucht des deut­schen Vol­kes« durch Marx gestillt wer­den kön­ne, kon­ser­va­ti­ven und rech­ten Deut­schen behag­te, brach­te Oswald Speng­ler in aller wün­schens­wer­ten Klar­heit auf den Satz, man müs­se »den Deut­schen Sozia­lis­mus von Marx befreien«.

Von den Links­ab­weich­lern der Rech­ten ent­täuscht, hät­te Kai­ser frei­lich gut dar­an getan, den Rechts­ab­weich­lern der Lin­ken mehr Auf­merk­sam­keit zu schen­ken. Doch wird ein kon­ser­va­ti­ver Mar­xist wie Leo Kof­ler, des­sen von Ste­fan Dor­nuf und Rein­hard Pitsch unter dem Titel Nati­on – Klas­se – Kul­tur her­aus­ge­ge­be­ne Samm­lung poli­tisch eher unkor­rek­ter Auf­sät­ze auf Betrei­ben sei­ner Erben nicht mehr aus­ge­lie­fert wer­den darf, in Kai­sers Bestands­auf­nah­me eben­so wenig auf­ge­ru­fen wie der mar­xis­ti­sche Theo­re­ti­ker Dome­ni­co Losur­do, der in abge­le­ge­nen Schrif­ten und Brie­fen von Marx und Engels weit­sich­ti­ge Gedan­ken zur Über­la­ge­rung von Klas­sen- und Natio­nen­kämp­fen ent­deckt hat und auch sel­ber in Völ­kern und Natio­nen his­to­risch gewach­se­ne Gestal­ten sieht, die weder von einem libe­ra­len Kos­mo­po­li­tis­mus noch einem lin­ken Inter­na­tio­na­lis­mus auf­ge­löst wer­den dürften.

Noch befremd­li­cher ist Kai­sers Igno­ranz gegen­über dem Mar­xis­mus- und Faschis­mus­for­scher Ernst Nol­te, die in dem dok­tri­nä­ren Vor­wurf gip­felt, er und sei­ne Schü­ler hät­ten eine »Pre­digt von der Alter­na­tiv­lo­sig­keit der Kapi­tal­lo­gik« gehal­ten und »mit der libe­ra­len Faschis­mus­keu­le auf Marx und den Mar­xis­mus ein­ge­schla­gen«. Es soll­te zu den­ken geben, daß gera­de ein Natio­nal­re­vo­lu­tio­när wie Gün­ter Maschke das von Kai­ser igno­rier­te Werk Mar­xis­mus und Indus­tri­el­le Revo­lu­ti­on für Nol­tes »bes­tes Buch« hält.

Immer­hin hat Nol­te hier das mar­xis­ti­sche Lehr­ge­bäu­de von sei­nen ver­dräng­ten Fun­da­men­ten her neu erschlos­sen und dabei auch die kon­ser­va­ti­ven und reak­tio­nä­ren Antriebs­kräf­te von Marx frei­ge­legt, die in der mar­xis­ti­schen Sekun­där­li­te­ra­tur kaum Beach­tung gefun­den haben, obwohl gera­de sie sei­nem Den­ken jenen kom­ple­xen Cha­rak­ter ver­lei­hen, der es von dem dog­ma­ti­schen Mar­xis­mus wie von allen übri­gen Sozia­lis­men unterscheidet.

Aber auch als Sucher nach einem »drit­ten Weg« zwi­schen Kapi­ta­lis­mus und Kom­mu­nis­mus hät­te Kai­ser bei Nol­te fün­dig wer­den kön­nen. Bereits in sei­nem 1963 erschie­ne­nen Der Faschis­mus in sei­ner Epo­che hat­te er die Mus­so­li­ni-Bewe­gung als »Syn­the­se« aus einem revi­dier­ten Mar­xis­mus und dem moder­nen Natio­na­lis­mus gedeu­tet, wel­che den Grund­cha­rak­ter einer »reak­tio­nä­ren Revo­lu­ti­on« tra­ge und als »Anfang eines natio­na­len Sozia­lis­mus« ver­stan­den wer­den müsse.

Die­se Deu­tung des Faschis­mus als einer rech­te und lin­ke Ele­men­te syn­the­ti­sie­ren­den Bewe­gung soll­te spä­ter auch der mit Nol­te befreun­de­te israe­li­sche His­to­ri­ker Zeev Stern­hell ver­fech­ten, des­sen 1994 erschie­ne­nes Haupt­werk Die Ent­ste­hung der faschis­ti­schen Ideo­lo­gie sich über wei­te Stre­cken wie ein aus­führ­li­cher Kom­men­tar zu Nol­tes frü­hen Mus­so­li­ni-Stu­di­en liest. Umso abwe­gi­ger erscheint Kai­sers Behaup­tung, Nol­te hät­te sich »über Jahr­zehn­te« gegen die angeb­lich »neu­en« Erkennt­nis­se Stern­hells gesperrt, weil er von sei­ner »Urthe­se« des Faschis­mus als Reak­ti­on auf den Bol­sche­wis­mus nicht abrü­cken wollte.

In Wahr­heit hat Nol­te sei­ne The­se eines »kau­sa­len Nexus« erst­mals 1987 in Der euro­päi­sche Bür­ger­krieg pro­gram­ma­tisch aus­ge­brei­tet und dabei maß­geb­lich auf den deut­schen Natio­nal­so­zia­lis­mus bezo­gen — wel­chem Stern­hell über­haupt jeden faschis­ti­schen Cha­rak­ter absprach, um sei­ne eige­ne The­se von den »lin­ken Ursprün­gen« dem ita­lie­ni­schen Faschis­mus vorzubehalten.

Daß Kai­ser offen­sicht­lich mehr dar­an gele­gen war, sei­ne ideo­lo­gi­sche Feind­schaft gegen­über einem alt­li­be­ral-kon­ser­va­ti­ven His­to­ri­ker zu pfle­gen als des­sen wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nis­se zu nut­zen, bringt exem­pla­risch sei­ne prin­zi­pi­el­le Ableh­nung des­sen zum Aus­druck, was er mit einem sta­li­nis­tisch kon­ta­mi­nier­ten und oben­drein noch tau­to­lo­gi­schen Kampf­be­griff »bür­ger­li­che Wis­sen­schaft« nennt.

Nicht von unge­fähr gerät denn auch Kai­sers abschlie­ßen­des Refe­rat der Kern­the­sen des Kapi­tal zu einer kon­ven­tio­nell lin­ken Ein­füh­rung in den Mar­xis­mus — anstatt jenen genu­in rech­ten Zugriff auf Marx zu bie­ten, den er sich vor­ge­nom­men hat­te und der ihm alle­mal zuzu­trau­en wäre.

Wenn Kai­sers Bei­trag gleich­wohl immer noch als der sub­stan­zi­ells­te die­ses Ban­des erscheint, dann nicht zuletzt des­halb, weil mit Alain de Benoist des­sen wohl pro­mi­nen­tes­ter Autor sich in den bei­den von ihm bei­gesteu­er­ten Tex­ten vom Begrün­der der fran­zö­si­schen Neu­en Rech­ten voll­ends in einen Alten Lin­ken zurück­zu­ver­wan­deln scheint.

In »Karl Marx und der Waren­fe­ti­schis­mus« wid­met sich Benoist dem vier­ten Kapi­tel des Kapi­tal, in wel­chem Marx die ani­mis­ti­sche Nei­gung ent­larv­te, den aus gesell­schaft­li­cher Arbeit geschöpf­ten Wert einer Ware dem Gebrauchs­ding als Natur­ei­gen­schaft anzu­dich­ten. Und nach­dem Georg Lukács und Alfred Sohn-Rethel die­se Marx­sche Kri­tik an der Ver­göt­zung der kapi­ta­lis­ti­schen Waren­welt als phi­lo­so­phi­scher Schlüs­sel zum Mar­xis­mus über­haupt gedient hat­te, avan­cier­te sie tat­säch­lich zum kul­tur­kri­ti­schen Lieb­lings­the­ma der Neu­en Linken.

Wie hier­zu Rein­hold Ober­ler­cher, der sei­ner­zeit als phi­lo­so­phi­scher Kopf des Ham­bur­ger SDS an einer For­ma­li­sie­rung des gesam­ten Marx­schen Haupt­werks arbei­te­te, süf­fi­sant ange­merkt hat, soll­te der »Fetisch­cha­rak­ter der Ware«, der für ein­fa­che Arbei­ter noch nie ein »Geheim­nis« dar­stell­te, gera­de die von kör­per­li­cher Arbeit ent­las­te­ten Stu­den­ten so sehr ver­zau­bern, daß sie ihre Kapi­tal-Lek­tü­re kaum mehr fort­zu­set­zen vermochten.

Das zumin­dest wird man Benoist nicht vor­hal­ten kön­nen, der die Feti­schis­mus­the­ma­tik viel­mehr als Über­lei­tung zu einer ein­fluß­rei­chen links­ra­di­ka­len Revi­si­on des Mar­xis­mus nutzt, die bereits alles poli­ti­sche Inter­es­se an der »Zukunft der Arbei­ter­klas­se« ver­lo­ren hat und nur­mehr ana­ly­tisch die »Logik des kapi­ta­lis­ti­schen Sys­tems« in den Blick nimmt. In sei­nem Bei­trag zur »Wert­kri­tik« zeich­net Benoist die inne­re Not­wen­dig­keit die­ser von Robert Kurz und sei­ner »Krisis«-Gruppe voll­zo­ge­nen ideo­lo­gi­schen Umori­en­tie­rung nach, die zur Preis­ga­be der »exo­te­ri­schen« Pra­xis des Klas­sen­kamp­fes und zur allei­ni­gen Beschäf­ti­gung mit der »eso­te­ri­schen« Theo­rie des Kapi­tals geführt hat.

Kapi­ta­le Bedeu­tung gewann neben dem vier­ten nun auch das hoch­abs­trak­te ers­te Kapi­tel des Kapi­tal, zu wel­chem wie­der­um Lou­is Alt­hus­ser anmerk­te, ent­we­der man blei­be dar­in ste­cken oder man gebe ein­fach auf. Kurz hin­ge­gen gab nicht das Kapi­tal, son­dern ledig­lich jenen boden­stän­di­gen Alt­mar­xis­mus auf, wel­cher noch an den unver­söhn­li­chen Gegen­satz von pro­duk­ti­vem Arbei­ter und para­si­tä­rem Kapi­ta­lis­ten glaub­te und im Pro­let­kult der 1920er Jah­re sei­ne heroi­sche Zeit gehabt hatte.

Kurz zufol­ge läßt sich die »leben­di­ge« Arbeits­kraft aber schon des­halb nicht dem »toten« Kapi­tal ent­ge­gen­set­zen, weil »wert­schaf­fen­de Arbeit« eo ipso eine »waren­pro­du­zie­ren­de Gesell­schaft« vor­aus­setzt. Als »kapi­ta­lis­tisch« cha­rak­te­ri­sier­te Kurz daher nicht mehr nur die auf Pri­vat­ei­gen­tum an Pro­duk­ti­ons­mit­teln beru­hen­den Indus­trie­ge­sell­schaf­ten, son­dern auch die nicht min­der in der »Wert­lo­gik« gefan­ge­nen Staats­so­zia­lis­men, wel­che sich der Befrei­ung der Arbei­ter­klas­se ver­schrie­ben hat­ten, anstatt die Men­schen von dem Fluch wert­schaf­fen­der Arbeit über­haupt zu befreien.

Im Ergeb­nis frei­lich redu­ziert sich der »wert­kri­ti­sche« Anti­ka­pi­ta­lis­mus, mit dem Kurz den als »Sys­tem des sich selbst ver­wer­ten­den Werts« begrif­fe­nen Kapi­ta­lis­mus parie­ren woll­te, sei­ner­seits auf ein blo­ßes Theo­rie­sys­tem sich selbst ver­wer­ten­der Wor­te, denen eben kei­ne revo­lu­tio­nä­ren Taten mehr fol­gen durf­ten. Nach­dem sich ihm der Kapi­ta­lis­mus selbst als welt­re­vo­lu­tio­när erwie­sen hat­te, konn­te Kurz nur noch auf des­sen sys­te­mi­schen Zusam­men­bruch spe­ku­lie­ren; doch hat­te er mit sei­nen Unter­gangs­pro­gno­sen so regel­mä­ßig Pech, daß Arbei­ter­mar­xis­ten wie Tho­mas Eber­mann und Rai­ner Tram­pert leich­tes Spiel hat­ten, die »Wert­kri­tik« als »Eso­te­rik« im schlech­ten Sin­ne abzutun.

Kur­zens Uto­pie »güter­pro­du­zie­ren­der Gemein­schaf­ten« wirft aller­dings die grund­sätz­li­che Fra­ge auf, ob die Besei­ti­gung jeder markt­ori­en­tier­ten Waren­pro­duk­ti­on zuguns­ten einer aus­schließ­lich auf Selbst­ver­sor­gung abge­stell­ten Güter­pro­duk­ti­on nicht unwei­ger­lich auf eine De-Indus­tria­li­sie­rung und De-Urba­ni­sie­rung sämt­li­cher Arbeits- und Lebens­wel­ten hinausliefe.

Und in bezug auf Deutsch­land wäre zu fra­gen, ob eine Neue Rech­te, die eine sol­che Regres­si­on von einer aus­dif­fe­ren­zier­ten Markt­wirt­schaft zur pri­mi­ti­ven Sub­sis­tenz­wirt­schaft befür­wor­te­te, sich damit nicht zum post­hu­men Erfül­lungs­ge­hil­fen des Mor­genthau-Pla­nes machen wür­de. Benoist jeden­falls läßt jede kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit der von ihm ledig­lich refe­rier­ten Waren- und Wert­kri­tik schmerz­lich ver­mis­sen; in kei­nem sei­ner bei­den Auf­sät­ze ris­kiert er einen rech­ten Blick über den lin­ken Tel­ler­rand hinaus.

Und lei­der gilt auch für Die­go Fus­aros Abschluß­bei­trag, daß er in jedem lin­ken Publi­ka­ti­ons­or­gan bes­ser auf­ge­ho­ben gewe­sen wäre. Unter dem Titel »Geschich­te, Ideo­lo­gie, Wahr­heit« pran­gert der ita­lie­ni­sche Phi­lo­soph die post­mo­der­ne Erzäh­lung vom »Ende aller Ideo­lo­gien« als die per­fi­des­te Ideo­lo­gie des Libe­ra­lis­mus an, weil sie mehr als jede ande­re dem Bestehen­den den trü­ge­ri­schen Cha­rak­ter des Unab­än­der­li­chen verleihe.

Doch obwohl Fus­aro »die unge­bro­che­ne Neu­tra­li­sie­rung der Denk­bar­keit der Kate­go­rie eines mög­li­chen Anders-Seins gegen­über dem, was ist«, so ele­gant durch­schaut, liegt es ihm voll­kom­men fern, sich am »Erdenken alter­na­ti­ver, nicht-kapi­ta­lis­ti­scher Zukunfts­ent­wür­fe« zu beteiligen.

Statt­des­sen arbei­tet er sich nach Maß­ga­be von Mar­xens Schrift »Die deut­sche Ideo­lo­gie« an einer »sozia­len Deduk­ti­on phi­lo­so­phi­scher Kate­go­rien« ab, wobei er die Gefahr einer Rela­ti­vie­rung auch der Marx­schen Kate­go­rien selbst durch meta­phy­si­sche Anlei­hen bei Hegel und Spi­no­za abzu­wen­den sucht, um schließ­lich eine, selbst­re­dend über jeden Ideo­lo­gie­ver­dacht erha­be­ne, »neue Onto­lo­gie des gesell­schaft­li­chen Seins« gegen »den Nihi­lis­mus der Waren­form« in Stel­lung zu bringen.

So hin­ter­läßt die­ses Buch ins­ge­samt den Ein­druck einer zuneh­men­den Rea­li­täts­ver­wei­ge­rung, zu wel­cher gro­ße Theo­rien klu­ge Köp­fe häu­fig ver­füh­ren: Weht dem Leser in dem beherz­ten Vor­wort noch eine fri­sche Sturm­bö­he ent­ge­gen, so wird ihm die Luft in den Haupt­bei­trä­gen immer dün­ner, und am Ende fin­det er sich unter einer ideo­lo­gi­schen Käse­glo­cke wieder.

Daß die­se Streit­schrift ihrem hohen Anspruch, mit Hil­fe eines gegen den Strich gele­se­nen Marx zur »Gene­se neu­rech­ter Theo­rie« bei­zu­tra­gen, kei­nes­wegs gerecht wird, könn­te frei­lich den vor­ei­li­gen Arg­wohn wecken, daß Marx sich eben nicht »von rechts« aneig­nen las­se. Es dürf­te jedoch eher ihren ideo­lo­gi­schen Vor­ent­schei­dun­gen und poli­ti­schen Feind­be­stim­mun­gen geschul­det sein, daß die Autoren kei­nen rech­ten Weg zu Marx gefun­den, son­dern sich in lin­ke Sack­gas­sen ver­rannt haben.

Es steht zu erwar­ten, daß nicht weni­ge jun­ge Rech­te die­ses Buch »links« lie­gen las­sen wer­den, denn für ihre drän­gen­den Fra­gen nach Nati­on, Kul­tur und Reli­gi­on scheint in dem öko­no­mis­ti­schen Welt­bild der Autoren, wel­ches sie mit ihren neo­li­be­ra­len Fein­den tei­len, schlicht kein Platz zu sein.

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Das Buch kann beim größ­ten kon­ser­va­ti­ven Buch­ver­sand – Antai­os – bezo­gen wer­den, hier geht es ent­lang. Wir emp­feh­len die Lek­tü­re des Titels von Alain de Benoist, Bene­dikt Kai­ser, Phil­ip Stein und Die­go Fus­aro als Auf­takt zu einer wei­ter­füh­ren­den Debatte! 

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