Doch vergangene Woche konnte man nicht die Startseite der Tagesschau besuchen, ohne ganz oben mit den allerneuesten Neuigkeiten über Brett Kavanaugh bombardiert zu werden.
Selbst die Weltanschauungsrestverwerter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks scheinen begriffen zu haben, daß die Schlammschlacht um die Besetzung eines Richterstuhles am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten auch uns irgendwie betrifft.
Ich will hier nicht diese erbärmliche Posse nacherzählen. Wir müssen uns viel mehr fragen, warum uns das eigentlich angeht. Nicht nur diese Gerichtsbesetzung, sondern allgemeiner: Was betreffen uns die internen Querelen der Vereinigten Staaten?
„Die Vereinigten Staaten sind die letzte verbliebene Supermacht“ reicht da nicht aus. Die, nebenbei bemerkt fragwürdige, Annahme einer Schicksalsgemeinschaft aller weißen Europäer und Europäischstämmiger, kann uns zwar zur gemütsmäßigen Parteiergreifung führen, Trump ist uns näher als Kamala Harris, doch erklärt dies nicht, welche Folgen wir im amerikanischen Polittheater für uns zu sehen haben.
Rechtsruck in Amerika, kein reaganistischer Schwachsinn aus Jesus und Steuersenkungen, sondern das Hochkochen der identitären Frage bis an den Rand der Unregierbarkeit, bedeutet für die deutsche Rechte die Option auf Handlungsfähigkeit. Zum ersten Mal seit über siebzig Jahren.
Seit dem Zweiten Weltkrieg stand jede deutsche Rechte in einer Zwickmühle, aus der sie aus eigener Kraft gar nicht entkommen konnte. In einem Satz: Der geopolitische Imperativ war mit dem kulturpolitischen unvereinbar.
Geopolitisch war die Westbindung (eigentlich nur das Bündnis mit den Vereinigten Staaten) notwendig. Nicht nur als Schutz vor der Sowjetunion, sondern viel mehr weil die USA als übergreifender Hegemon die innereuropäischen Rivalitäten auf einem Niveau hielten, mit dem Deutschland leben konnte. Umgekehrt hätte jede Abwendung von Amerika notwendig die Weltkriegskoalition Westeuropa und Amerika gegen Deutschland wiedererweckt. Aus geopolitischen Gründen konnte kein verantwortlicher Kopf das „Ami go home!“ zu seinem Programm machen.
Kultur- und gesellschaftspolitisch stand es exakt umgekehrt. Nur die deutlichste Trennung von den Vereinigten Staaten und zwar nach teheraner Vorbild mit allen Konsequenzen, hätte verhindern können, daß Deutschland in deren soziobiologischen Selbstmord hineingezogen wird. Die politische Bindung brachte die gesellschaftlichen Krankheiten der USA unweigerlich mit sich. Nur ein praktisch nicht durchführbarer Konfrontationskurs hätte die hier notwendigen kulturpolitischen Mauern errichten können.
Daran scheitern zu müssen, war die Tragik der bundesrepublikanischen Rechten. Diese Männer sahen, daß Deutschland als Vasallenstaat der USA dem Untergang geweiht war. Gerade das hielt sie von der politischen Macht fern.
Es ist oft bemerkt worden, daß die Linkspartei in dem Augenblick auf Bundesebene koalitionsfähig würde, in dem sie die NATO-Mitgliedschaft mittrüge. Diese Behauptung soll die Subalternität der BRD herausstreichen, daß die Amerikahörigkeit über die Regierungsbeteiligung entscheidet…
Doch hier ist dem bundesrepublikanischen Establishment kein Vorwurf zu machen. Wer dies anders sieht möge fünf Sekunden darüber nachdenken, wie die Lage unseres Landes wohl aussähe, wenn seine geopolitische Großstrategie im Koalitionspoker aufs Spiel gesetzt würde.
An dieser Wirklichkeit ist die Generation Armin Mohlers, Bernard Willms und Hans-Dietrich Sanders gescheitert.
Das sollten wir nachsichtig im Hinterkopf behalten, wenn wir rückblickend die absonderlichen Blüten dieser Zeit betrachten. Sanders Stauferfimmel, Willms Traumtänzerei einer „Erneuerung aus der Mitte“ die gegen beide Supermächte ein neues Zentraleuropa aus BRD, DDR, Österreich und der Tschechoslowakei formen sollte, oder Mohlers ernstgemeinter Vorschlag, Westdeutschland solle sich gegen Washington und Moskau mit Rotchina verbünden, es war die unverschuldete Ohnmacht, die eigentlich vernünftige Männer zu solchen Absurditäten trieb.
Es gibt gerade für meine Generation eine Gnade der späten Geburt, die darin besteht, sein Leben nicht im Kampf gegen Jürgen Habermas zu verschwenden.
Das Ende des Kalten Kriegs allein änderte an dieser Lage noch nichts. Im Gegenteil, die Wiedervereinigung war die größte Niederlage der deutschen Nachkriegsrechten. Erzielt durch eine langfristige Politik konsequenter Westbindung, machte sie eine Bewegung lächerlich und überflüssig, deren wichtigster Programmpunkt die Behauptung gewesen war, die Vereinigten Staaten seien das größte Hindernis auf dem Weg zur deutschen Einheit. Und nur ein Narr kann glauben, daß Deutschland etwa die Politik Viktor Orbáns kopieren könnte, ohne sich ungleich heftigerem Gegenwind auszusetzen. Ungarn ist nicht die erste Macht auf dem europäischen Kontinent. Dort steht viel, viel weniger auf dem Spiel.
Nur das Aufbrechen der Diversity in Amerika selbst kann diesem Zustand ein Ende setzen. Ob Trump Erfolg hat, oder das Land anhand seiner ethnischen Bruchlinien auseinanderfällt, ist für uns dabei zweitrangig. Sicherlich, angesichts der chinesischen Bedrohung wäre das Erste auch für uns besser. Doch das wichtigste ist, daß Deutschland in eine außenpolitische Position gerät, in der Rechts regierungsfähig ist. Das ist das Interesse, das wir jenseits aller Sentimentalitäten an dem amerikanischen Zirkus haben.
Für unsere Gegner im eigenen Land bedeutet Trump, daß die Zeit vorbei sein könnte, in der sie die höhere Vernunft der großen Weltpolitik auf ihrer Seite hatten, als sie drei Millionen Türken ins Land holten. Deshalb versuchen sie seinen Sturz herbeizuschreiben. Doch auf diese für sie lebenswichtige Frage können sie nicht den allergeringsten Einfluß nehmen. Und obwohl wenig den deutschen Bedeutungsverlust so drastisch widerspiegelt wie dies, irgendwie fühlt sich der Gedanke gut an.
Nils Wegner
»Geopolitisch war die Westbindung (eigentlich nur das Bündnis mit den Vereinigten Staaten) notwendig. Nicht nur als Schutz vor der Sowjetunion, sondern viel mehr weil die USA als übergreifender Hegemon die innereuropäischen Rivalitäten auf einem Niveau hielten, mit dem Deutschland leben konnte. Umgekehrt hätte jede Abwendung von Amerika notwendig die Weltkriegskoalition Westeuropa und Amerika gegen Deutschland wiedererweckt. Aus geopolitischen Gründen konnte kein verantwortlicher Kopf das „Ami go home!“ zu seinem Programm machen.«
Mit Verlaub, aber: Das ist nicht nur flott daherpostuliert, sondern vielmehr das Gegenteil der tatsächlichen Verhältnisse unmittelbar vor und eine Weile nach Gründung Kleinwestdeutschlands.
Natürlich bekommt man heute (nehme ich aus eigener Erfahrung vor zwölf Jahren an) wie eh und je im Oberstufen-Politikunterricht zu hören, daß eine Nicht-Westbindung beispielsweise durch Berücksichtigung der Stalin-Noten "selbstverständlich" zur letztlichen Okkupation der BRD durch die Sowjetmacht geführt hätte.
Das sollte man aber bei weitem nicht auch noch als Vorlage dafür hernehmen, die nationalneutralistische Strömung (mindestens) auf der dissidenten westdeutschen Rechten einfach abzubügeln. Und diese beschränkte sich bei weitem nicht auf irgendwelche Schreibstuben – man vergesse nicht, daß Mohler mit seinen mittleren bis späten Versuchen, innereuropäisch wie auch darüber hinaus Front gegen den transatlantischen Westen zu machen, durchaus Achtungserfolge als Einflüsterer Straußens erzielen konnte, bis den die übliche Parteimeierei im Verbund mit persönlicher Machtgier wieder zur Ordnung rief.
Und was parteiförmige neutralistische Strömungen noch vor einer "Neuen Rechten" anbelangt – immerhin stellt sich die wohl auch von außen betonte Notwendigkeit, diese rasch zum Schweigen zu bringen, als ein gewichtiger Grund für die bis dato einzigen hochoffiziösen Parteiverbote 1952 und 1956 durch das unmittelbar zuvor hastig zusammengestoppelte BVerfG dar.
Die Westbindung als "letztlich doch irgendwie notwendig" zu betrachten, dezimiert den eigenen Denkhorizont und ist ein großer Schritt in Richtung geistige Selbstverkrüppelung à la WELT.