Eben genau das: eine Jagd nach der Story, nach der einen, besonderen Geschichte, die mitreißen will, die Einschaltquoten generiert und Zuschauer an die Bildschirme fesselt.
Die Aufgabe ist noch schwieriger als für Tatort-Regisseure, denn es steht nur die Hälfte der Zeit zur Verfügung. 45 Minuten, um den Knüller, um den Knaller auszubreiten, um irgendeiner aufregenden Eingangsthese zu folgen.
Montagabend 15. Oktober. Plasberg macht Herbsturlaub, die ARD sendet am späten Abend „Die Story“. Das Programmheft Prisma war so freundlich, im Vorfeld die These der “Story” zusammenzufassen:
Für “Die Story im Ersten: Am rechten Rand” recherchierte ein ARD-Team ein halbes Jahr im Umfeld und Inneren eines rechtsextremen Netzwerkes, das die AfD umgibt. Der Film von Jana Merkel und Michael Richter zeigt auf, woher die Partei ihre Köpfe rekrutiert – von völkischen Burschenschaftlern über Neonazis bis zu den Identitären, die Rassismus und Nationalismus einen modernen Anstrich verleihen.
Jana Merkel war 2014 Preisträgerin des Journalistenpreises „Rechtsextremismus im Spiegel der Medien“ – gibt es wirklich! – und Michael Richter ist Grimmepreisträger 2006 für seinen Film „Abschiebung im Morgengrauen“. (Ja, Abschiebungen gab es offensichtlich schon vor 2015. Richter führte Regie und schrieb das Buch dazu. Schon damals ein Film im 45-Minute-Format.)
Nun müssen wir es leider schon vorab sagen: Was diese beiden Filmemacher für die ARD-Story zusammengeschnitten haben, zwingt uns hier zu einer Verteidigung der AfD gegen eine sowohl schlampige wie leider auch in vielen Details offensichtlich politisch gefallsüchtigen Arbeit.
Ein kleines Wunder von Restanstand der Programmgestalter ist, daß dieser Film nicht noch vor der Bayernwahl gezeigt wurde. Denn eines muß man ihm zugestehen: Er wirkt. Es ist keineswegs so, daß, was da als durchgängige Haltung angelegt ist, in dramatischer wie auch technischer Hinsicht schlecht gemacht wäre. Nein, diese Story ist deshalb wirklich schlecht, weil sie gegenüber der AfD mit einem Vernichtungspotential ausgestattet ist, welches nicht nötig wäre, um diese Partei einmal kritisch zu beleuchten.
“Die Story im Ersten: Am rechten Rand” will fragen: Welche Gruppen und Einstellungen stehen hinter der Fassade der AfD? Und: Welches sind die Netzwerke hinter der Partei? Sie startet mit Bildern vom „Marsch der Patrioten“ auf das Hambacher Schloss. Wir sehen Deutschlandfahnen und vorwiegend ältere weiße Männer. Eine herrliche Aussicht über die Rheinebene, Jörg Meuthen spricht. Das Hambacher Schloss gilt neben der Paulskirche als wichtigstes Symbol der deutschen Demokratiebewegung. Organisiert hat das Ganze Max Otte, CDU-Mitglied mit Sympathien für die AfD und mittlerweile Vorsitzender des Kuratoriums der AfD-nahen Erasmus-Stiftung.
Mit Blick auf das Freilicht-Buffet fragt die Off-Stimme: „Konservativ-bürgerlich oder am Rechten Rand?“ Der Film will im weiteren Verlauf allerdings etwas ganz anders erzählen: Die AfD ist nicht konservativ-bürgerlich, die ist richtig böse nazidurchsetzt.
Nächster Schnitt hinüber zum Kyffhäusertreffen der AfD, hinüber zu über eintausend Menschen, die hier unter anderem Björn Höcke hören wollen. Eine Veranstaltung – auch nach Selbstbekunden der Partei – des rechten Flügels. Aufgrund der vielen Interessenten findet das Treffen dieses Mal im Schloss Burgscheidungen statt. „Hier trifft sich die Rechtsaußenströmung der AfD, völkisch und betont national“, erzählt die Off-Stimme.
Alexander Gauland berichtet von Merkel,
sie will den Bevölkerungsaustausch unumkehrbar machen. Wir sollen als Volk und Nation allmählich absterben. Die Bundesregierung will, dass wir für die Einwanderer arbeiten. Damit diese in Ruhe Kinder in die Welt setzen und den Bevölkerungsaustausch vollenden können.
Das sind natürlich dankbarste Vorlagen für die Grundthese des Films. Und selbstverständlich können, müssen sogar, solche Einwürfe eines Parteichefs als Beleg für etwas genommen werden, dass genauer betrachtet werden muss. Die Filmemacher werden im weiteren Verlauf ihrs Films dieses Aufgabe dem Verfassungsschutz überantworten.
Und auch Björn Höcke läßt sich nicht lumpen: „Mut, Wut und zivilen Ungehorsam“ will er als erste Bürgerpflicht erkannt haben. Mit anderen Worten: Die Parteivorderen liefern hier satt ab. Diese Aussagen sind kaum zu mißdeuten, und selbstverständlich erlauben sie es, hier eine Grundhaltung herauszuarbeiten.
„Gauland hat selbst gesagt, man wolle die Grenzen des Sagbaren ausweiten“, kommt Armin Pfahl-Traughber zu Wort, er wird im Verlaufe der Story noch mehrfach kommentieren. Was vor Jahren noch inhaltlich stark kritisiert worden wäre, „dass wird heute relativ kommentarlos und widerspruchsfrei hingenommen“, so der als „Extremismusforscher“ auftretende Pfahl-Traughber.
Nun diskutieren selbst Leitmedien seit Jahren darüber, ob es bestimmte Nachkriegstabus gegeben habe oder noch gibt. Der Nobelpreisträger Günther Grass beispielsweise veröffentlichte seine Novelle Im Krebsgang mit Fokus auf ein solches Tabu: hier auf ein vernachlässigtes Leid der Vertriebenen.
Welchen Aussagewert hat es, wenn Armin Pfahl-Traughber nun unwidersprochen sagen kann, dieses Anrühren echter oder vermeintlicher Tabus würde dazu führen, daß das „intellektuelle Niveau politischer Debatten sinkt“ und es zu einer „stärkeren Verhetzung im öffentlichen Diskurs“ führe?
Beides spalte die Gesellschaft. Wer sich nun allerdings alleine eine der vielen öffentlich-rechtlichen Talkshows seit 2015 angeschaut hat, der darf mit gutem recht darüber nachdenken, wer hier beteiligt war, das intellektuelle Niveau politischer Debatten weit unter gewohntes Niveau abzusenken..
Zu Wort kommt auch der AfD-Aussteiger und ehemalige Richter Matthias Manthei als eine Art Kronzeuge der Anklage. Der CDU-Mann kam über ein Direktmandat für die AfD in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, um sich dann abzuspalten und eine eigene Fraktion zu gründen, also eine Art Frauke Petry auf Landesebene. Manthei erinnert sich an ehemalige Parteifreunde, die etwas gegen ein so genanntes „System“ gehabt hätten und leitet daraus dann ab, daß diese „Systemfeindlichkeit“ die „Verfassung und die freiheitliche demokratische Grundordnung“ beträfe und daß man es also mit Verfassungsfeinden zu tun habe.
Anschließend darf Mantei noch aus den sozialen Medien zitieren, die ihn nach seinem Parteiaustritt mit Beschimpfungen und Drohungen überschüttet hätten. Direkt angeschlossen an diese üblen Zitate folgt die Off-Stimme mit dem Satz: „An eine konservative bürgerliche AfD glaubt Mantei nicht mehr.“
Nun sind „Abtrünnige“ selten gute Kronzeugen, ebenso wenig, wie Kommentare in sozialen Medien. Für Jörg Meuthen sind das nichts weiter, als „die üblichen Reflexe uns nicht gewogener Kreise.“
Dann wieder nach Thüringen: „Höcke schwört die Partei auf Fundamentalopposition ein. Will sie auf der Straße sehen.“ Das allerdings wäre auch die exakte Umschreibung der Aufstehen-Bewegung der Linken und entspricht sogar multiplen Aufforderungen vieler Vertreter der Regierungsparteien, welche die Stimme des Volkes für Demokratie usw. auf der Straße hören wollen.
Der Fm wirft für den wachen Betrachter eine Grundfrage auf: Wird jemandem, der eine radikalere Vergangenheit hat, eine Entwicklung zugestanden oder ist er damit für alle Zeiten aus dem politischen Diskurs ausgestoßen? Wen ja, wie macht man das glaubwürdig? Wer an Joschka Fischer, Jürgen Trittin und andere denkt, der darf feststellen, daß Linksradikalen diese Entwicklung zugestanden wurde und wird. Aber wie erkennt man Läuterung, fragen sich die Filmemacher und befinden letztlich: In der AfD kann es so etwas kaum geben.
Für Armin Pfahl-Traughber scheint es so zu seien, dass Rechtsextremismus eine Art irreparabler genetischer Defekt ist, eine Art Familienerkrankung, wenn er befindet:
Insofern ist es für Angehörige des traditionellen Rechtsextremismus aus strategischen Gründen interessanter, über eine solche Vermittlungsfunktion die die AfD in die breitere Gesellschaft einnimmt, zu wirken.
Also die AfD als trojanisches Pferd der Nazis? Ist das mehr, als nur ein Raunen? Eine Küchenpsychologie?
Die Off-Stimme fragt: „Wer war Mitglied in einschlägigen oder verbotenen Organisationen?“, „Wer gibt extrem rechte Zeitschriften wiederholt Interviews“? Und dann werden über einhundert mehr oder weniger prominenten AfD-Funktionären Verbindungen in eine „radikalrechte Szene“ auf den Tisch gelegt, und zwar ohne, daß sie hinreichend belegt wären.
Die Liste reicht bis hinauf zu Alice Weidel und Alexander Gauland. Ein Rundumschlag. Wie ein weckender Trommelwirbel im Film. Es ist, als würde man Hans-Christian Ströbele heute seine Anwaltschaft für die RAF vorhalten oder Stefan Aust seine Bekanntschaft mit Ulrike Meinhof.
Gauland und dutzenden weitere namentlich aufgeführten AfD-Bundestagsabgeordneten wird pauschal eine Nähe zum „radikal rechten Spektrum“ attestiert. So gilt die Nähe zu bestimmten Burschenschaften bereits als hinreichender Nachweis, freilich ohne, dass hier explizit noch genannt würde, wer da wann, wo und wie Nähe gezeigt hätte. Was ist das nun? Lückenpresse?
Bilder machen Stimmung, und sie entstünde ganz sicher, wenn es beim „AfD-Nachwuchs“, so der Film, „auffallend viele Burschenschaftler“ gäbe. Gezeigt werden dann exakt zwei, das „auffallend viele“ wird nicht näher erläutert. Was an diesem Film erstaunt, sind Lücken, wo keine sein sollten. Denn wer sich mit der Peripherie rund um die AfD beschäftigen will, aber kein Wort verliert über Ellen Kositza und Götz Kubitschek, den Verlag Antaios und das Netzwerk rund um Schnellroda, hat schlicht seine Hausaufgaben nicht richtig gemacht.
Die Filmemacher müssen sich fragen, ob ihre denunziatorische Absicht nicht von vornherein klar war, denn auf Nachfrage geben Kositza und Kubitschek (die schon mit vielen Journalisten sprachen) deutlich zu verstehen, daß bei Jana Merkel und Michael Richter nur genau dies und nichts besser habe herauskommen können – weshalb man nicht habe mittun wollen.
Die Identitären stehen im besonderen Fokus der Filmemacher und werden als „extrem rechte Gruppe“ vorgestellt. Und tatsächlich, wenn man in der Vergangenheit der Protagonisten dieser Bewegung fündig werden will, dann wird man hier auf radikale Lebensläufe stoßen. Nur wird das von den Protagonisten nicht bestritten. So sagte der österreichische Identitäre Martin Sellner im Interview mit Tichys Einblick unumwunden auf die Frage nach seiner „braunen Vergangenheit“:
Ich will das nicht verniedlichen, das bin ich auch meinem Gewissen schuldig. Ich war damals überzeugt und idealistisch – aber von einer falschen Sache. Diese Biographie für eine neurechte Bewegung kein besonderes Gütesiegel.
Zum weiteren siehe oben, siehe Fischer und Trittin, Joscha Schmierer oder oder oder.
Abschließend kommt noch Joachim Hollmann zu Wort, er ist Leiter des Verfassungsschutzes von Sachsen-Anhalt und führt hier leider recht eindrucksvoll vor, wo das Dilemma solcher Behörden aktuell verortet ist, wenn ein Raunen und die Anwendung von küchenpsychologischer Deutungen erstes Mittel der Wahl geworden scheint: Hollmann erklärt doch allen Ernstes, daß beispielsweise Begriffe wie „Kultur“ verharmlosende Synonyme seien für Begriffe wie „Rasse oder Volksgemeinschaft“. Was soll so ein Blödsinn?
Weiter im Film: Die Identitären würden mit der AfD die Idee vom “großen Austausch” der Bevölkerung teilen. Präzision! Wie weit ist die geistige Entfernung von der Kritik an Zuwanderung über einen von der UN initiierten globalen Migrantionsplan bis hin zur Behauptung eines Bevölkerungsaustausches? Wo ist die rote Linie und wer zieht sie wo? Auch bei den Identitären kommt im Film ein Aussteiger zu Wort, und Joachim Hollmann darf dann noch erzählen, daß diese Rechten Ausländer zurückführen wollen aus Deutschland.
Die breit diskutierte Frage von Abschiebungen soll hier also als Beleg für Verfassungsschutz relevanten Rechtsextremismus gelten?
Aber was soll das dann alles, wenn vieles so ungenau oder falsch erzählt, wenn Begrifflichkeiten wie wild durcheinander gewirbelt werden, wenn rechtesextrem etwas anderes sein soll als die extreme Rechte, wenn ultrarechts was anderes ist, als extrem rechts, wenn das alles nicht klar wird, nicht belegt wird, und wenn jeder so aus dem Bauch heraus sein Bekenntnis zu Vielfalt, zu Demokratie und Menschlichkeit abgeben kann, wenn eine investigative, eine gegenwärtige journalistische Arbeit fehlt, dafür die bekannte Vergangenheit einiger rechter Protagonisten vorgeführt wird, ohne das sich damit freilich etwas anderes, als ein Raunen erzeugen ließe, wenn am Ende alles so dermaßen durchquirlt ist, dass der Zuschauer nur eines verstehen soll: Ich verstehe zwar nicht viel, aber so viel, dass ich von AfD lieber die Finger lassen soll.
Ist das nun ein Journalismus, auf den Jana Merkel und Michael Richter stolz sein dürfen und wollen? Nein, eigentlich nicht. Aber Stolz ist wohl sowieso keine Kategorie für diese beiden Medienschaffenden.
Der Starost
Das ganze fand dann noch seinen krönenden Abschluss in dem Mittschnitt eines Absingens des Deutschlandliedes und zwar (oh Graus, oh Graus) der ersten Strophe, die wir auf unserer damals noch „Volksschule“ genannten Bildungseinrichtung ohne jedwede Bauchschmerzen mit voller Inbrunst hinausgeschmettert haben. Heute laut dem voller politkorrekter Sorge seine Stirn in Falten legenden Kommentator: Voll Nazi!