Der letzte Liberale – zum Tode Ernst Noltes

von Siegfried Gerlich --- pdf der Druckfassung aus Sezession 74/Oktober 2016

Wie ein erra­ti­scher Block ragt sein Werk  aus der geheg­ten Land­schaft der deut­schen Geschichts­wis­sen­schaft her­aus. An sei­nen Namen knüpft sich eine ein­zig­ar­ti­ge phi­lo­so­phi­sche Durch­drin­gung der Epo­che des Faschis­mus, aber auch ein als His­to­ri­ker­streit ver­bräm­ter Kul­tur­kampf, des­sen Aus­gang den Kurs der hie­si­gen Geschichts­po­li­tik bis heu­te bestimmt. Kaum einem ande­ren deut­schen Zeit­his­to­ri­ker wur­de so gro­ße inter­na­tio­na­le Aner­ken­nung zuteil, aber kei­nem soll­te eine gelenk­te Öffent­lich­keit auch so mas­si­ve Ableh­nung ent­ge­gen­brin­gen. Noch immer ver­stellt der längst selbst his­to­ri­sche His­to­ri­ker­streit die Sicht auf ein rei­ches und viel­schich­ti­ges Lebens­werk, wel­ches nach dem Welt­bür­ger­krieg der Ideo­lo­gien schließ­lich auch die Welt­ge­schich­te im gan­zen und die his­to­ri­sche Exis­tenz des Men­schen als sol­che ins Visier nahm.

Ernst Nol­te war ein Aus­nah­me-His­to­ri­ker, der sich im Unter­schied zu vie­len sei­ner arbeits­tei­lig spe­zia­li­sier­ten Fach­kol­le­gen stets den Blick für das Gan­ze der Geschich­te bewahr­te und in zeit­lich wie räum­lich wei­ten Hori­zon­ten dach­te. Nicht von unge­fähr erschie­nen Über­set­zun­gen sei- ner wich­tigs­ten Wer­ke in Ita­li­en, Frank­reich und Spa­ni­en; in Ungarn, Jugo­sla­wi­en und der Tsche­cho­slo­wa­kei; in Rumä­ni­en, Ruß­land und sogar in Korea. Und im Iran hat der dis­si­den­te His­to­ri­ker Meh­di Tadayo­ni es sich zur Lebens­auf­ga­be gemacht, Nol­tes Gesamt­werk ins Per­si­sche zu über­set­zen. In Anbe­tracht sei­nes Ruh­mes im Aus­land brauch­te sich Nol­te von dem Zerr­bild, das eine typisch deut­sche Denun­zia­ti­ons­kul­tur von ihm zeich­ne­te, in sei­nem Selbst­ver­ständ­nis nicht beir­ren zu las­sen: Er war ein skep­ti­scher Libe­ra­ler alter Schu­le, und unse­re libe­ra­le, offe­ne Gesell­schaft leis­te­te ihren Offen­ba­rungs­eid, indem sie ihn aus dem öffent­li­chen Dis­kurs ausschloß.

Frag­los wirk­te Nol­te in sei­nem gedie­ge­nen Auf­tre­ten wie in sei­nem immer auch auf Grund­sätz­li­ches abhe­ben­den Denk­stil auf eine unzeit­ge­mä­ße Wei­se kon­ser­va­tiv. Doch stand die­ser geis­ti­ge Kon­ser­va­tis­mus nicht von vorn­her­ein für eine poli­ti­sche Posi­ti­on; viel­mehr kam ein gera­de­zu apo­li­ti­sches Pathos der Distanz dar­in zum Aus­druck, wel­ches Nol­te als eine unab­ding­ba­re Vor­aus­set­zung der Frei­heit der Wis­sen­schaft betrach­tet und stets gegen ideo­lo­gi­sche Bor­niert­hei­ten und poli­ti­sche Restrik­tio­nen aller Art ver­tei­digt hat.

Dabei ver­dank­te sich die meta­po­li­ti­sche Weit­sicht, die Nol­te allent­hal­ben an den Tag leg­te, nicht zuletzt sei­ner phi­lo­so­phi­schen Her­kunft: Immer­hin wird die Spann­brei­te sei­nes Geschichts­den­kens von den Eck­stei­nen Marx und Nietz­sche mar­kiert. Nol­te selbst sag­te ein­mal, es gebe in sei­nem Gesamt­werk sowohl »aus­ge­spro­chen lin­ke« als auch »aus­ge­spro­chen rech­te The­sen«, und damit ste­he er gleich­sam »zwi­schen den Fron­ten«, wo es »nie beson­ders behag­lich« sei. Die­ser Stand­ort liegt aller­dings weit ent­fernt von jener schil­lern­den Zone, in der die Ex- tre­me sich berüh­ren; und wirk­lich gab sich Nol­te in all sei­nen Wer­ken als Ver­tei­di­ger des von den extre­men Posi­tio­nen noto­risch ver­ach­te­ten »libe­ra­len Sys­tems« zu erken­nen, wel­ches für ihn das emp­find­li­che Herz­stück des alten Euro­pa dar­stell­te. In sei­nem euro­päi­schen Tra­di­ti­ons­be­wußt­sein bewähr­te sich Nol­te als groß­zü­gi­ger Ver­tre­ter einer längst dahin­ge­schwun­de­nen geis­ti­gen Libe­ra­li­tät, und dies muß­te unwei­ger­lich die Res­sen­ti­ments klein­mü­ti­ger Geis­ter und enger Her­zen wecken.

Der Preis, den Nol­te für sol­che geis­ti­ge Frei­heit zu zah­len hat­te, war sei­ne zuneh­men­de Ein­sam­keit im kon­for­mis­ti­schen Wis­sen­schafts­be­trieb. Die­se ver­dank­te sich indes­sen nicht nur dem ver­stock­ten Unver­ständ­nis eines Groß­teils der eta­blier­ten His­to­ri­ker­zunft, son­dern durch­aus auch Nol­tes unnach­gie­bi­gem und schein­bar gren­zen­lo­sem Wil­len zum Ver­ste­hen selbst.

Es waren gera­de die tra­gi­schen Aus­weg­lo­sig­kei­ten und heil­lo­sen Abgrün­de der »his­to­ri­schen Exis­tenz« des Men­schen, die in Nol­te den Wunsch nach ver­söh­nen­dem Ver­ständ­nis her­vor­rie­fen, um ihm des­sen Erfül­lung doch immer wie­der zu ver­sa­gen. Und frei­lich fühl­te sich Nol­te beson­ders zu den Unglücks­pe­ri­oden und Aus­nah­me­zu­stän­den der deut­schen Geschich­te hin­ge­zo­gen, über die er sich nie ein selbst­ge­rech­tes Urteil gestat­te­te: Weder die Welt­ge­schich­te noch die Nürn­ber­ger Pro­zes­se waren für ihn das Welt­ge­richt, und den Beruf des His­to­ri­kers unter­schied er klar von dem eines Groß­in­qui­si­tors. Letzt­lich lag in jener her­me­neu­ti­schen Empa­thie, die er kei­nes­wegs nur deut­schen Übel­tä­tern ent­ge­gen­brach­te und die doch gern als alles ver­zei­hen­de Apo­lo­gie miß­ver­stan­den wur­de, eine heim­li­che Trau­er und Melan­cho­lie über die Con­di­tio huma­na ver­bor­gen.

Noch die mör­de­ri­sche Kon­stel­la­ti­on von Natio­nal­so­zia­lis­mus, Bol­sche­wis­mus und Juden­tum im »euro­päi­schen Bür­ger­krieg« wuß­te er im Lich­te anthro­po­lo­gi­scher Urphä­no­me­ne zu deu­ten: der archai­schen Ambi­va­lenz von Fas­zi­na­ti­on und Ent­set­zen, der schil­lern­den Affi­ni­tät von Erha­be­nem und Schreck­li­chem, der not­haf­ten Kon­ver­si­on von pas­si­ver Ver­nich­tungs­angst in reak­ti­ven Ver­nich­tungs­wil­len. So war selbst, was in der faschis­ti­schen Epo­che mit aller Macht wie­der durch­schlug, für Nol­te nichts, was nicht schon in den frü­hes­ten Kri­sen und Kata­stro­phen der mensch­li­chen Geschich­te zuta­ge getre­ten wäre. Sogar in his­to­ri­schen Sin­gu­la­ri­tä­ten sah er man­cher­lei All­ge­mein­his­to­ri­sches auf­blit­zen, und noch die aktu­ells­ten Schreck­nis­se fan­den im ältes­ten Schau­der vor dem Unge­heu­ren des Men­schen einen fer­nen Wider­hall. Ein Geschichts­den­ken aber, dem sich die Welt­ge­schich­te von Anbe­ginn als ein Thea­ter der Grau­sam­keit dar­stell­te, konn­te nicht den Aus­druck einer schö­nen See­le tra­gen; es muß­te eine zuwei­len kalt anmu­ten­de Reser­viert­heit an den Tag legen, wel­che die eige­nen Wun­den im Ver­bor­ge­nen hielt.

Am 11. Janu­ar 1923 erblick­te Ernst Nol­te in Wit­ten an der Ruhr das Licht einer Welt, die in Auf­ruhr war. Sei­ne Kind­heits­jah­re fie­len mit denen der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Bewe­gung weit­ge­hend zusam­men.  In der klei­nen Indus­trie­stadt am süd­li­chen Ran­de des Ruhr­ge­biets war aber auch die kom­mu­nis­ti­sche Par­tei sehr stark, und schon als Kind ver­folg­te Nol­te auf­merk­sam die Auf­mär­sche und Aus­ein­an­der­set­zun­gen der ein­an­der feind­lich gesinn­ten Par­tei­ar­meen. Die frü­he Erfah­rung, in einem Zeit­al­ter gro­ßer ideo­lo­gi­scher Kon­flik­te zu leben, soll­te sein spä­te­res Geschichts­ver­ständ­nis eben­so nach­hal­tig prä­gen wie die links­ka­tho­lisch-pazi­fis­ti­sche Ein­stel­lung sei­nes Vaters Hein­rich Nol­te, der als Rek­tor einer Volks­schu­le in Hat­tin­gen wirk­te. Bereits als Schü­ler emp­fand Nol­te sei­ne Fremd­heit einer Bewe­gung gegen­über, die von jun­gen Män­nern ver­lang­te, hart wie Krupp­stahl, flink wie Wie­sel und zäh wie Leder zu wer­den und in Zelt­la­ger und Kaser­nen­hof ihr Ide­al zu erbli­cken. Fremd muß­te umge­kehrt aber auch sei­nen Alters­ge­nos­sen der jun­ge Mann erschei­nen, der sich durch eif­ri­ges Stu­di­um zu dem aus­bil­de­te, was der Volks­mund eine Intel­li­genz­bes­tie zu nen­nen pflegte.

In den Kriegs­jah­ren erleb­te Nol­te das unver­dien­te Pri­vi­leg, stu­die­ren zu dür­fen, wäh­rend sei­ne Schul­ka­me­ra­den an allen Fron­ten kämpf­ten und sein jün­ge­rer Bru­der im Alter von acht­zehn Jah­ren in der Nähe von Sedan fiel, als eine schwe­re Belas­tung; und nach­mals glaub­te er, die­se Last nur durch die selbst­auf­er­leg­te Ver­pflich­tung zur geis­ti­gen Auf­ar­bei­tung die­ser kata­stro­pha­len Gescheh­nis­se abtra­gen zu kön­nen. So such­te Nol­te, der in Müns­ter Ger­ma­nis­tik und Anglis­tik und in Frei­burg Phi­lo­so­phie und Grie­chisch stu­dier­te, aus der Not eines kriegs­un­taug­li­chen Intel­lek­tu­el­len die Tugend eines um eine satis­fak­ti­ons­fä­hi­ge Deu­tung der deut­schen Kata­stro­phe rin­gen­den His­to­ri­kers zu machen.

Nicht zuletzt den stren­gen Lehr­jah­ren bei Mar­tin Heid­eg­ger vor und nach Kriegs­en­de war es geschul­det, daß aus dem Gym­na­si­al­leh­rer und Stu­di­en­rat Nol­te schließ­lich ein phi­lo­so­phie­ren­der Geschichts­den­ker wur­de, des­sen Leben und Schaf­fen im übri­gen von der stu­dier­ten Lin­gu­is­tin und als Über­set­ze­rin und Dol­met­sche­rin täti­gen Anne­do­re Mor­tier, die er 1956 zur Frau nahm und die ihm zwei Kin­der schenk­te, bis zuletzt anteil­neh­mend beglei­tet wurde.

1963 erschien das bahn­bre­chen­de frü­he Haupt­werk Der Faschis­mus in sei­ner Epo­che, das Nol­te sogleich berühmt mach­te und ihm einen Lehr­stuhl für Neue­re Geschich­te in Mar­burg  ver­schaff­te,  und  auf  dem  die in Zehn­jah­res­ab­stän­den fol­gen­den gro­ßen Wer­ke Deutsch­land und der kal­te Krieg und Mar­xis­mus und indus­tri­el­le Revo­lu­ti­on auf­bau­en konn­ten. In die­ser »his­to­ri­schen Tri­lo­gie«, die sei­ne ers­te Schaf­fens­pe­ri­ode reprä­sen­tiert, such­te Nol­te »die Geschich­te des Prak­ti­sch­wer­dens und des Schei­terns der gro­ßen moder­nen Ideo­lo­gien« umfas­send dar­zu­stel­len und zugleich von innen her­aus zu begrei­fen. 1973 folg­te Nol­te einem Ruf der Frei­en Uni­ver­si­tät Ber­lin, an deren Fried­rich-Meine­cke-Insti­tut er bis zu sei­ner Eme­ri­tie­rung Neue­re Geschich­te lehrte.

Den Beginn der zwei­ten Schaf­fens­pe­ri­ode mar­kiert das 1987 erschie­ne­ne Werk Der euro­päi­sche Bür­ger­krieg 1917– 1945, in dem Nol­te sei­ne bis­he­ri­ge ideo­lo­gie­his­to­ri­sche Per­spek­ti­ve auf den Faschis­mus als radi­ka­lem Anti­mar­xis­mus an der real- his­to­ri­schen Feind­schaft zwi­schen Natio­nal­so­zia­lis­mus und Bol­sche­wis­mus kon­kre­ti­sier­te. Daß Nol­te ein poin­tier­tes Resü­mee die­ses umfang­rei­chen Buches vor­ab in der FAZ publi­zier­te, hat­te indes­sen fata­le Fol- gen, denn der Arti­kel »Ver­gan­gen­heit, die nicht ver­ge­hen will« bot Jür­gen Haber­mas einen will­kom­me­nen Anlaß, um jenen zu Unrecht so ge- nann­ten His­to­ri­ker­streit zu ent­fes­seln, in dem auch Andre­as Hill­gru­ber, Joa­chim Fest und Micha­el Stür­mer deutsch­na­tio­na­ler Geschichtsa­po­loge­tik bezich­tigt wur­den und der schließ­lich mit einem kla­ren geschichts­po­li­ti­schen Sieg der Par­tei des Sozio­lo­gen und sei­ner Gefolgs­leu­te endete.

Unver­se­hens war aus einem berühm­ten ein berüch­tig­ter His­to­ri­ker gewor­den, und die uner­schro­cke­ne Sach­lich­keit, mit der Nol­te 1993 die wich­tigs­ten Streit­punk­te in den neue­ren Kon­tro­ver­sen um den Natio­nal­so­zia­lis­mus dis­ku­tier­te und 2002 in Der kau­sa­le Nexus wei­ter dif­fe­ren­zier­te, fes­tig­te nur sei­nen nega­ti­ven Ruhm als his­to­ri­scher Revi­sio­nist, der die Sin­gu­la­ri­tät des Holo­causts »geleug­net« habe — gera­de so, als wäre die­se ein reli­giö­ses Dog­ma und kei­ne wis­sen­schaft­lich begrün­dungs­be­dürf­ti­ge These.

In Wahr­heit war Nol­te 1963 der ers­te deut­sche His­to­ri­ker gewe­sen, der mit aller Empha­se die Ein­zig­ar­tig­keit der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Juden­ver­nich­tung nicht nur behaup­tet, son­dern auch theo­re­tisch ent­fal­tet hat­te – und an die­ser Auf­fas­sung hat er bis zum Lebens­en­de fest­ge­hal­ten. Erklär­ter­ma­ßen ver­lieh Nol­te dem Juden­tum und »den Mil­lio­nen sei­ner Opfer die höchs­te aller Ehren«, indem er her­aus­stell­te, »daß sie, die als Bazil­len ver­tilgt wur­den, nicht als unglück­li­che Objek­te eines wider­wär­ti­gen Ver­bre­chens star­ben, son­dern als Stell­ver­tre­ter bei dem ver­zwei­felts­ten Angriff, der je gegen das mensch­li­che Wesen und die Tran­szen­denz in ihm geführt wur­de«. – Seit 1986 jedoch ist Nol­te unter allen His­to­ri­kern, wel­che die Sin­gu­la­ri­täts­the­se ver­fech­ten, der ein­zi­ge, dem noch in aktu­el­len Nach­ru­fen deren Bestrei­tung vor­ge­wor­fen wird.

Gegen Legio­nen leg­asthe­ni­scher Gesin­nungs­pu­bli­zis­ten stand Armin Moh­ler frei­lich auf ver­lo­re­nem Pos­ten mit sei­ner luzi­den Klar­stel­lung, das Ergeb­nis von Nol­tes anstö­ßi­gem Ver­gleich der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen mit den bol­sche­wis­ti­schen Mas­sen­ver­bre­chen sei »gera­de nicht die pro­phe­zei­te Rela­ti­vie­rung der deut­schen Ver­bre­chen, son­dern die radi­kals­te uns bekann­te Zemen­tie­rung ihrer ›Sin­gu­la­ri­tät‹«.

Die nahe­zu kon­sen­su­el­le Falsch­be­haup­tung der Sin­gu­la­ri­täts­leug­nung soll­te ersicht­lich den intel­lek­tu­el­len Schock abweh­ren, daß Nol­te einen Blick über den deut­schen Tel­ler­rand hin­aus gewagt und die zig mil­lio­nen­fa­chen Opfer von Lenin bis Mao – die von so man­chen der vor­mals durch die Insti­tu­tio­nen mar­schier­ten und unter­des­sen längst satu­rier­ten Acht­und­sech­zi­ger ins­ge­heim noch immer als Revo­lu­ti­ons­i­ko­nen ver­ehrt wer­den – in sei­ne Betrach­tun­gen mit ein­be­zo­gen hat­te. Und obschon auch lin­ke, zumal mar­xis­tisch geschul­te Zeit­ge­nos­sen ganz selbst­ver­ständ­lich einen all­ge­mei­nen »kau­sa­len Nexus« zwi­schen kom­mu­nis­ti­schen Revo­lu­tio­nen und faschis­ti­schen Kon­ter­re­vo­lu­tio­nen pos­tu­lier­ten, lös­te Nol­te doch eine ver­stö­ren­de Wie­der­kehr des von ihnen Ver­dräng­ten aus, indem er sie fol­ge­rich­tig auch mit dem beson­de­ren Nexus zwi­schen dem »Gulag« und »Ausch­witz« konfrontierte.

Hier­bei berief er sich unter ande­rem auf den pol­ni­schen His­to­ri­ker Andrzej J. Kamin­ski, der selbst in natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern inhaf­tiert gewe­sen war und in spä­te­ren For­schun­gen zu bele­gen wuß­te, daß die­se »den sowje­ti­schen nach­ge­bil­det« waren. Gleich­wohl soll­te Nol­te aus sei­nem empi­risch belast­ba­ren Revi­sio­nis­mus ein ver­nich­ten­der Vor­wurf erwach­sen, denn einst­wei­len hat­te sich in der  bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen  Leit­kul­tur eine ideo­lo­gi­sche Ortho­do­xie eta­bliert, für die die­ses Grund­prin­zip kri­ti­scher, ergeb­nis­of­fe­ner Wis­sen­schaft nur­mehr eine bekämp­fens­wer­te poli­ti­sche Häre­sie darstellte.

Vor die­sem Hin­ter­grund wird man Nol­te den letz­ten Libe­ra­len der deut­schen Zeit­ge­schichts­schrei­bung nen­nen dür­fen, denn bei aller Beharr­lich­keit in der Sache ist es ihm nie um sei­ne Per­son oder die macht­be­wuß­te Durch­set­zung eige­ner Posi­tio­nen gegan­gen, son­dern immer um das Ethos der Wis­sen­schaft als sol­cher, inner­halb deren Gren­zen er auch geg­ne­ri­sche Auf­fas­sun­gen zu schät­zen und zu ver­ar­bei­ten wuß­te, nicht ohne sogar auf unver­hoh­len dif­fa­mie­ren­de Angrif­fe mit bewun­derns­wer­ter Sach­lich­keit und Mil­de zu reagie­ren. Als der Ver­fas­ser die­ser Zei­len die Spä­ten Refle­xio­nen von 2011 in einer Rezen­si­on scharf kri­ti­sier­te, durf­te er selbst erfah­ren, daß Nol­te, anstatt sich getrof­fen zurück­zu­zie­hen, die strit­ti­gen Punk­te mit ihm brief­lich weiterdiskutierte.

Lan­ge Jah­re hat­te Nol­te allen Grund, sich in Deutsch­land auf ver­lo­re­nem Pos­ten zu wäh­nen, und so wur­de ihm Ita­li­en, wo er stets gro­ßes Anse­hen genoß, zur zwei­ten Hei­mat. Immer­hin mobi­li­sier­te er noch im Alter alle ihm zu Gebo­te ste­hen­den Reser­ven, um sei­ne ver­dien­te Stel­lung als Groß­den­ker der euro­päi­schen Ideo­lo­gien­ge­schich­te zu hal­ten. In sei­nem 2009 erschie­ne­nen Buch über den Isla­mis­mus such­te er die­sen als die nach Bol­sche­wis­mus und Faschis­mus Drit­te Wider­stands­be­we­gung gegen die libe­ra­le Moder­ne ins Bewußt­sein zu rufen, zumal das in einer liber­tä­ren Post­mo­der­ne ver­san­den­de Euro­pa mit sei­ner schwä­cheln­den Appease­ment­po­li­tik kei­ner­lei Selbst­be­haup­tungs­wil­len mehr erken­nen läßt.

Es sieht dem­nach ganz danach aus, als wür­de Nol­te sei­ne einst­ma­li­gen Geg­ner geis­tig über­le­ben, denn die von ihnen lan­ge genug ver­dräng­ten, von ihm selbst aber schon bei­zei­ten auf­ge­wor­fe­nen Fra­gen stel­len sich heu­te allent­hal­ben mit eini­ger Dring­lich­keit. Auch sind nicht weni­gen aus der drit­ten Gene­ra­ti­on nach dem Drit­ten Reich die Fra­ge­ver­bo­te der Ewig­gest­ri­gen des ande­ren Lagers kaum mehr recht ver­ständ­lich, und so kön­nen sie heu­te unbe­fan­gen von einem ler­nen, der von wei­ter her­kommt. Nol­te selbst jeden­falls glaub­te, sei­ne Zeit wer­de noch kom­men, und auch dar­an mag es lie­gen, daß der Ver­fas­ser ihn bei einem letz­ten Besuch im ver­gan­ge­nen Som­mer so hei­ter und gelas­sen erlebt hat wie noch nie zuvor. Am 18. August die­ses Jah­res ver­starb die­ser sin­gu­lä­re Den­ker nach kur­zer Krankheit.

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