Der Angriff des Politischen

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.


Die Reak­tio­nen der Regie­rungs­stel­len wie auch der deut­schen Medi­en auf die isla­mis­ti­schen Anschlä­ge vom Juli die­ses Jah­res waren Offen­ba­run­gen. Sie zeig­ten den Unwil­len, nach der Her­aus­for­de­rung durch den Isla­mi­schen Staat (IS) – die teil­wei­se rund­her­aus bestrit­ten wur­de – genu­in poli­tisch zu han­deln. Die­se Hal­tung der Schwä­che hat logi­scher­wei­se kei­nen Bestand: Die Pflicht zum Poli­ti­schen ver­schwin­det nicht dadurch, daß man sie igno­riert. Es offen­bart sich also die völ­li­ge Ver­ken­nung der Lage auf der Füh­rungs­ebe­ne unse­res Staa­tes – die Ver­ken­nung des fak­ti­schen Kriegs­zu­stands mit einem poli­ti­schen Akteur neu­en Typs, auf den die »west­li­che Welt« nicht vor­be­rei­tet zu sein scheint.

Tat­säch­lich besteht eine Tie­fen­ana­ly­se der Pro­ble­ma­tik bereits seit bald 30 Jah­ren. In der Okto­ber­aus­ga­be 1989 der ame­ri­ka­ni­schen Mari­ne Corps Gazet­te erschien pünkt­lich zum begin­nen­den Zusam­men­bruch des Ost­blocks ein Arti­kel, den der (zivi­le) Mili­tär­theo­re­ti­ker Wil­liam Lind zusam­men mit Stabs­of­fi­zie­ren der US-Armee und des Mari­ne Corps ver­faßt hat­te. Inspi­riert von Schrif­ten des Gene­ral­leut­nants der Bun­des­wehr und Mili­tär­his­to­ri­kers Franz Uhle-Wett­ler und unter dem Ein­druck tech­no­lo­gi­scher Quan­ten­sprün­ge pos­tu­lier­ten die Autoren, daß die Auf­ga­be des Sol­da­ten in Frie­dens­zei­ten dar­in bestehe, sich best­mög­lich auf den nächs­ten Krieg vor­zu­be­rei­ten – und dies erfor­de­re ein gründ­li­ches Umden­ken in Sicher­heits­po­li­tik wie Militär.

Der Arti­kel ent­wi­ckel­te ein in ein­an­der über­lap­pen­de Gene­ra­ti­ons of war­fa­re (GW) auf­ge­teil­tes Modell der moder­nen Krieg­füh­rung. Aus­gangs­punkt war dabei der West­fä­li­sche Frie­de von 1648, der das staat­li­che Mono­pol auf den Krieg eta­bliert und die­sen dadurch von einer dif­fu­sen, meist von Söld­nern aus­ge­tra­ge­nen Feh­de zwi­schen Fami­li­en oder Städ­ten zu einem genu­in poli­ti­schen Instru­ment gemacht hat­te. Die die­ser Zeit gemä­ße ers­te Gene­ra­ti­on der Krieg­füh­rung (1GW) war von der Tak­tik der Lini­en­in­fan­te­rie gekenn­zeich­net, die mit inef­fi­zi­en­ten Mus­ke­ten aus­ge­rüs­tet war und sehr geord­net, wenn­gleich lang­sam, manö­vrier­te. Die­ses Vor­ge­hen erfor­der­te strengs­ten Drill und kla­re Hier­ar­chie, war aber stel­len­wei­se auch ideo­lo­gisch moti­viert, beson­ders in den Kolon­nen der fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­ons­ar­mee, die Bür­ger neben Bür­ger stellte.

2GW setz­te in der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts ein, als die Ein­füh­rung von Hin­ter­la­dern mit gezo­ge­nen Läu­fen und Maschi­nen­ge­weh­ren sowie ins­be­son­de­re der neu­ent­wi­ckel­te Sta­chel­draht die Lini­en­for­ma­tio­nen der Hee­re zu Todes­fal­len wer­den ließen.

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

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