Wie aber könnten solche Konsequenzen aussehen? Im Jahr 2016 sieht sich Deutschland mit einem zentral organisierten, international operierenden Feind konfrontiert, der die inneren Widersprüche der liberalen Freiheits- und Menschenrechtsideologie kennt und weidlich ausnutzt. Wie die hysterischen Reaktionen auf die Anschläge im Juli gezeigt haben, stehen die Entscheidungsträger der Bedrohungslage ahnungs- und hilflos gegenüber: Die eilfertigen Bekanntmachungen, die Attentäter hätten keinerlei IS-Verbindungen, berücksichtigen weder die längst bekannte, von al-Adnani proklamierte »Einsamer-Wolf«-Strategie der Islamisten noch das Wesen des IS an sich, in dessen Namen und Sinne sehr wohl auch Sympathisanten ohne »Mitgliedsausweis« oder Führungsoffizier agieren.
Die pazifizierte und pazifizierende Bundesrepublik, die allem »harten« Vorgehen scheinbar abgeschworen hat, stößt hier an ihre operativen Grenzen, denn das Problem ist nicht auf behördlichem – also polizeilichem – Wege zu lösen. Die Bedrohung ist keine kriminelle, sondern eine existentielle, und zwingt damit zu genuin politischem Handeln, also einer Feindbestimmung und Klärung der Machtverhältnisse.
Eine dezidiert politische Antwort könnte als Sofortmaßnahmen die sofortige Grenzschließung und Ausweisung aller illegal eingewanderten Personen beinhalten. Weiterhin sind umfassende Maßnahmen gegen »Rückkehrer« sowie Sympathisanten des IS bis hin zu Paßentzug und Inhaftierung auf Grundlage der §§ 89a und 109h StGB denkbar; Präzedenzfälle liegen bereits vor. Ein ähnliches Vorgehen könnte auch auf gesamteuropäischer Ebene eine Option sein, sofern die ineffizienten und schlechtorganisierten Institutionen der EU – allen voran Frontex – von einer reinen Verwaltungsfunktion Abstand nähmen. Menschenrechts- und Religionsfreiheitsprosa haben in der Sphäre des tatsächlich Politischen keinen Platz, wo es in einer latenten Kriegslage neuen Typs um Sein oder Nichtsein geht.
Daß die derzeitige Bundesregierung solchen Entscheidungen gewachsen ist, darf ernstlich bezweifelt werden – man denke an den »Skandal« um das Eintreten des Staatsrechtlers Otto Depenheuer für die Notwendigkeiten staatlicher Selbstbehauptung im Rahmen der Debatte um das Luftsicherheitsgesetz 2007.
Mittelfristig auf dem Spiel steht der innere Friede; aufgrund der damit untrennbar verbundenen Legitimitätsfrage langfristig nichts weniger als die Existenz des deutschen Staates. Ob der Wille zur Selbstbehauptung vorhanden ist, ist eine von Legislaturperioden unabhängige Entscheidung, die sich nicht aufschieben läßt. Die Bedeutung ihres Ergebnisses läßt sich – in Anlehnung an Schmitts Begriff des Politischen – wie folgt formulieren:
»Dadurch, daß ein Volk nicht willens oder in der Lage ist, politisch zu handeln, bleibt diesem Volk die Politik nicht erspart. Sie wird nur von anderen bestimmt werden.«