Offenbar durchläuft der Demokratie-Begriff eine ähnliche Metamorphose wie das Wort Sozialismus, das am Ende des 20. Jahrhunderts völlig diskreditiert war. Im Ostblock war es zu einem »ganz gewöhnlichen Gummiknüppel« verkommen, wie der tschechische Bürgerrechtler und spätere Präsident Václav Havel 1989 feststellte. Besonders scharf fuhr er auf diejenigen nieder, die sich in ihrer Kritik auf das Kommunistische Manifest beriefen: »An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.«
Dieser Satz wurde von den Machthabern keineswegs bestritten; sie behaupteten einfach, ihr System sei die Verwirklichung jener Assoziation. Wer das bezweifelte, war ein Antikommunist, ein Feind der Freiheit, des Friedens, des Fortschritts, der Menschheit überhaupt und wurde den zu- ständigen Organen zur Bearbeitung überlassen.
Die Parallelen zur Dauerkampagne gegen angebliche Rechtsextremisten, Fremden‑, Islam‑, Demokratie- und Verfassungsfeinde, die mit der Massenzuwanderung seit dem Sommer 2015 nochmals angeschwollen ist, liegen auf der Hand. Die Kampagne richtet sich am meisten gegen jene, die am Wortsinn der Demokratie, an der Herrschaft des Staatsvolks, fest- halten. Diese wird durch die massive Zuwanderung in einem zweifachen Sinne aufgehoben: zum einen funktional, weil das Staatsvolk keine Möglichkeit erhält, über das Für und Wider dieses massiven Eingriffs in sein Gefüge und seine Lebenswelt abzustimmen; zweitens substantiell, weil Quantität und Qualität des Zustroms geeignet sind, das Staatsvolk in sei- ner geschichtlichen, kulturellen, ethnischen Identität in Frage zu stellen, demographisch zu entthronen und schließlich fremdzubestimmen.
Ganz begreifen läßt diese Politik sich erst im internationalen Kontext und als Teil einer Strategie, deren Planer mit dem Argument einer
»ausgewogenen Verantwortungsaufteilung« (UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon) große Migrations- und Flüchtlingsströme aus der Dritten Welt nach Europa leiten wollen.
Auch viele der Maßnahmen, die der angeblichen Ausländer- oder Islamfeindlichkeit entgegenwirken sollen, gehen auf intransparente Anregungen oder Beschlüsse internationaler Gremien, Stiftungen oder Organisationen zurück. Die Zerstörung der europäischen Völker und die Degradierung der Nationalstaaten zu bloßen Verwaltungseinheiten ist die unvermeidliche Folge.
Damit verschwinden auch die Voraussetzungen für eine Demokratie: Das ist ein durchaus willkommener Kollateralschaden, weil diese Politik in Europa kaum mehrheitsfähig ist und ohne Repression nicht durchgesetzt werden kann. Die Demokratie wird zur Fiktion, an der die Regierenden aus Gründen der Selbstlegitimation um so erbitterter festhalten.
In dieser Situation ist es sinnvoll, energisch auf den Zusammenhang von Demokratie, Staat und Staatsvolk hinzuweisen und die Paradoxien und Verrenkungen zu thematisieren, zu denen die Fiktionalisierung der Demokratie führt.
So gilt die Akklamation der Grenzöffnung 2015 und die Akzeptanz des staatlichen Rechtsbruchs als Grundlage eigenen Handelns als demokratisch, während der Hinweis auf die Verletzung des Rechts, auf die selbstmörderische Aufhebung der Staatlichkeit, auf im- portierte Gefahren und soziale Zumutungen als semikriminelle Vergehen geahndet werden. Auch das ist eine Parallele zum verflossenen Realsozialismus: die Unmöglichkeit, den offenkundigen Widersinn öffentlich zu benennen, geschweige denn sich aktiv gegen ihn zu verwahren. Entweder wurde er zu einer vom Klassenfeind eingegebenen Fehlwahrnehmung oder zur »Bewährungsprobe« (Angela Merkel) auf einem Heilsweg erklärt, die einen verdoppelten Einsatz erfordere!
Die westeuropäischen Demokratien entsprachen zwischen 1945 und 1989 keineswegs dem eigenen Ideal, doch ihre repressiven Züge traten erst voll hervor, nachdem der Ost-West-Konflikt entschieden war und das westliche System sich gegenüber dem östlichen nicht mehr als das bessere rechtfertigen mußte. Der Maastricht-Vertrag, der die Euro-Einführung besiegelte, die EU-Osterweiterung, die Banken‑, die Griechenland- und Euro-Rettung, die sogenannte Klimarettung waren Maßnahmen, die nur formell durch demokratisch-parlamentarische Verfahren legitimiert wur- den, denn eine freie Diskussion und Abwägung der Argumente fand nie statt.
Es ist fast vergessen, daß der »Bund Freier Bürger«, der sich 1994 aus Protest gegen den Maastricht-Vertrag unter dem bis zur Biederkeit soliden FDP-Politiker und EU-Beamten Manfred Brunner gründete, mit dem Extremismus-Stigma belegt und sowohl vom Verfassungsschutz als auch von der Antifa ins Visier genommen wurde. Die Druckerei der kon- servativen Wochenzeitung Junge Freiheit wurde 1994 Ziel eines linksextremistischen Brandanschlags, doch nicht die Täter (sie wurden gar nicht erst ermittelt), sondern das Anschlagopfer wurde vom Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen unter Beobachtung gestellt. Die Justiz des SPD- Stammlandes segnete die Geheimdienstpraxis mit haarsträubenden Begründungen ab. Erst ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2005 beendete den Anschlag auf die Meinungs- und Pressefreiheit.
Mit der Massenzuwanderung seit 2015 wird die Repression verschärft und systematisiert: propagandistisch, politisch, juristisch, gesellschaftlich. Die Maßnahmen gegen die »Haßsprache« im Netz zielen einerseits darauf ab, eine adäquate Zustandsbeschreibung und die Formulierung von Gegenpositionen zu erschweren. Die zweite Absicht, zu der sich Bundesjustizminister Heiko Maas ausdrücklich bekannt hat, ist psychologischer Art: Die Grenze zur Strafwürdigkeit ist unbestimmt, gleichzeitig hat ihre vermeintliche Überschreitung in Dutzenden Fällen bereits zu morgendlichen Hausdurchsuchungen geführt.
Das schafft ein Klima der Einschüchterung. Zu ihr trägt auch die Antifa bei, deren Gewalt sich zuletzt speziell gegen die AfD richtete. Die Gleichgültigkeit der Behörden und das Wohlwollen der Medien, das sich sowohl im Beschweigen wie in unverhohlener Schadenfreude äußert, lassen darauf schließen, daß sie eiBecknen festen Platz im Repressionskonzept einnehmen.
Es gibt bundesdeutsche Besonderheiten und Zuspitzungen, doch be- sitzt die Entwicklung keine nationale Exklusivität. Seit den 1990er Jahren ist international der Begriff »Postdemokratie« im Umlauf. Der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch charakterisierte sie wie folgt: Die demokratischen Institutionen und Rituale (Parteien, Parlament, Wahlen, öffentliche Debatten) funktionieren weiter, sind aber nur Attrappen. Regie- rungswechsel haben kaum noch politische Bedeutung, und Wahlkämpfe sind Spektakel, die von konkurrierenden PR-Experten bestimmt werden.
Crouch führt eine Reihe von Gründen dafür an: die Globalisierung, die den Nationalstaaten die Handlungsmöglichkeiten beschneidet; die permanente Umwälzung der Arbeitswelt, wo die Beschäftigten kein verbindendes Klassenbewußtsein mehr entwickeln; die Entwicklung des Bürgers zum Konsumenten, der PR-Reflexen folgt; vor allem macht er den Neoliberalismus verantwortlich, der den Staat veranlaßt habe, Funktionen in die Privatwirtschaft auszulagern und ihr zu gestatten, die Regeln der Politik mitzubestimmen.
Crouch, der den Sozialdemokraten nahesteht, weint der Zerstörung des Nationalstaats freilich keine Träne nach. Es gehe nicht um no global, sondern um new global, schreibt er und fordert, »neue Identitäten« statt »essentialistischer« – nationaler, kultureller, ethnischer – zu mobilisieren, und zwar nach dem Vorbild feministischer und ökologischer Bewegungen.
Das ist ganz im Sinne des 2015 verstorbenen Soziologen Ulrich Beck, des Spiritus rector des linken new global. Beck hatte vor Jahrzehnten bereits die Ersetzung der Politik durch eine »Subpolitik« proklamiert. Nicht nationalstaatliche Antagonismen und die Verteilungskonflikte sozialer Gruppen seien mehr entscheidend, denn diese befänden sich durch die Globalisierung einerseits und die Individualisierung andererseits in Auflösung. Man sei in eine »reflexive Moderne« eingetreten, in der die Folge- schäden der Modernisierung durch eine soziale »Gesellschaftsgestaltung von unten« behoben werden müßten.
Laut Beck spielt der Konflikt sich nicht mehr zwischen Links und Rechts, sondern zwischen den Modernisten und Traditionalisten/ Fundamentalisten (der Soziologe Armin Nassehi würde sagen: zwischen komplex und unterkomplex Denkenden) ab. Das ist eine eigenwillige Variante vom Ende der Geschichte und der Versuch, das Sozialstaatsmodell der alten, politisch unter Vormundschaft stehenden Bundesrepublik zu transzendieren. Vor allem aber hat Becks Gesellschaftsmodell, das so sanft auf postpolitischen Pfoten daherkommt, einen totalitären Pferdefuß. In ihm verschwindet der politische Konflikt überhaupt nicht, er wird lediglich auf das Gebiet der Moral verlagert. Wer Becks Bild der »reflexiven Moderne« nicht teilt, wird als unmündig, ewiggestrig, als Antidemokrat, jedenfalls als nicht satisfaktionsfähig vom politischen Spiel ausgeschlossen.
Die belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe hat treffend angemerkt, daß Beck, statt das Verschwinden des politischen Antagonismus nachzuweisen, diesen zum Freund-Feind-Antagonismus zugespitzt hat. Mouffe hält die kosmopolitischen Weltentwürfe für illusorisch. Der neoliberale Entwurf laufe auf eine amerikanisch dominierte Welt mit den USA als wohlwollendem Hegemon hinaus, dem von WTO, IWF und ähnliche Organisationen assistiert werde. Der linke Ansatz habe eine »transnationale« beziehungsweise »kosmopolitische Demokratie« samt »Weltbürgerrechten« und Weltregierung zum Ziel, die aber, um die kosmopolitischen Rechte durchzusetzen, den einzelnen Völkern das Recht beschneide, sich selbst zu regieren. Beide Varianten stimmten in der Absicht überein, die Nationalstaaten zu beseitigen.
Diese ineinander verschlungenen, globalistischen Tendenzen treffen nun also mit Wucht auf den in Deutschland verbreiteten Hang zur Selbstnegation. Die Ende der 1980er Jahre dominante Selbstwahrnehmung der Bundesrepublik als »postnationaler Demokratie unter Nationalstaaten« entsprang ja keinen strategischen Überlegungen zur Selbstbehauptung Europas, die tatsächlich eine transnationale Verflechtung nahelegt, sondern rührte aus dem Teilungstrauma und dem kultivierten Schuldgefühl her. Sie war der Ausbruch aus der Unsicherheit des Staats-Provisoriums in einen emphatisch-utopischen Anspruch, der die Funktionseliten über die Wiedervereinigung hinaus geprägt hat. Seiner inversen Logik gemäß entspricht die Abschaffung des deutschen Staatsvolks dem Auftrag des Grundgesetzes, während das Beharren auf diesem als verfassungsfeindlich, NS-affin und – natürlich – »antidemokratisch« kriminalisiert wird.
Merkel hat mit der Grenzöffnung 2015 also mehr als einen Ausnahmezustand hergestellt. Der Ausnahmezustand soll, im klassischen Sinne, eine akut bedrohte Normalität sichern oder wiederherstellen. Der von ihr veranlaßte Rechtsbruch hingegen hat das falsche Bewußtsein objektiviert und materialisiert. Der Suspendierung der politischen und geschichtlichen Vernunft wurde die des Rechts an die Seite gestellt, und zwar unter dem »Refugees-welcome«-Jubel der Zivilgesellschaft, die nicht weniger als ihre Absetzung als Staatsvolk feierte.
Inzwischen ist der Massenwahn abgekühlt, und es zeigt sich, daß die Ausgrenzung »traditionalistischer« Positionen sich doch nicht von selbst versteht, weil diese der Lebenswirklichkeit und den bewußten oder unbewußten Interessen der Bevölkerung entsprechen. Das wiederum läßt die der vermeintlich »reflexiven Moderne« verpflichteten Funktionseliten die Repression verschärfen.
Der Begriff Postdemokratie bezeichnet lediglich eine Abwesenheit und genügt daher nicht zur Charakterisierung der gegenwärtigen Herrschaftspraxis. Handelt es sich um einen neuen Totalitarismus? Die Frage klingt nur absurd, wenn man die alte Definition von Hannah Arendt zu- grunde legt, die den Stalinismus und den Nationalsozialismus vor Au- gen hatte und eine Kombination aus organisiertem Terror und stringenter Ideologie darunter verstand, die nach Herrschaft über sämtliche Lebens- bereiche strebt. Das trifft heute nur auf den Islamismus zu.
Der Politologe Peter Graf Kielmannsegg plädiert für eine elastischere Definition, die den modernen Gesellschaften besser gerecht werde und die pluralistische Auffächerung der Herrschaft einschließe. Totalitär sei es, »die extreme Mobilisierung einer Gesellschaft für einen bestimmten Zweck« zu erzwingen, »wobei die Zwecke durchaus unterschiedlicher Natur sein können«. Der sich ständig erneuernde »Kampf gegen Rechts« wäre demnach als Abfolge von Mobilisierungsschüben in Richtung einer »One-world«-Ordnung zu verstehen.
Zu den Merkmalen eines so verstandenen Totalitarismus zählt Kielmansegg die »prinzipiell unbegrenzte Intensität der Sanktionen, mit de- nen das System arbeitet«. Der Terror stellt nur die äußerste Möglichkeit dar. Viel wichtiger ist »die unbegrenzte Verfügungsgewalt über die Gesamtheit der Lebenschancen des Einzelnen diesseits des blanken Terrors, über Bildungschancen und Berufschancen, über die Chancen der Befriedigung materieller Bedürfnisse und Kommunikationschancen«.
Im Grunde wiederholt Kielmansegg, was Tocqueville 1835 in sei- ner Demokratie in Amerika schon vorhergesehen hatte: den Umschlag der Demokratie in Tyrannei. Medien, politische Institutionen, der Inlandsgeheimdienst und sogenannte zivilgesellschaftliche Kräfte arbeiten längst eng zusammen, wenn es darum geht, tatsächliche oder vermutete Dissidenten sozial zu vernichten und psychisch zu zermürben. Wer die an keine »kontrollierbaren Bedingungen gebundene Macht besitzt, über diese Chancen zu Sanktionszwecken zu verfügen, dessen Sanktionspotential kann mit gutem Grund totalitär genannt werden«.
Unbegrenzt ist die soziale Vernichtungsmacht noch nicht, doch werden die Schranken immer weiter herabgesetzt. Kein Politiker, kein alter Stasi-Kämpe, sondern der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte Andreas Wirsching fordert, gegenüber Andersdenkenden keinen »Rechtsformalismus« mehr gelten zu lassen, sondern die »Instrumente der wehrhaften Demokratie, die es ja gibt«, anzuwenden – ein akademischer Scharfmacher, der die Demokratie als Gummiknüppel begreift! Aus solchen Worten spricht die klammheimliche Furcht, einem Irrtum aufgesessen zu sein. Doch gerade im Zustand der Panik wächst die Bereitschaft, mit dem Knüppel zuzuschlagen. Das ist der Ernst der Lage!