Am Abend des 9. November 2016 wurde ich gefragt, was ich über den Wahlsieg Donald Trumps dächte. Ich antwortete, daß ich seit »9 /11« nicht mehr so gute Laune hatte wie heute. Ein makabrer, nur halb ernst gemeinter Witz, den ich mir nicht verbeißen konnte, und der im Grunde keiner war. Gewiß: Auch ich war zunächst schockiert vom Katastrophenkino-Anblick der einstürzenden Wolkenkratzer. Aber schon bald fühlte ich jene seltsame apokalyptische Heiterkeit in mir aufsteigen, von der Peter Sloterdijk in seinem Buch Zorn und Zeit spricht.
Mir schien es, als ob an diesem Tag ein längst fälliger Scheck der »Weltbank des Zorns« eingelöst würde, als hätten die Vereinigten Staaten von Amerika, die ich als großen Schurken und globalen Brandstifter betrachtete, endlich zu- mindest einen Bruchteil dessen zurückgezahlt bekommen, was sie anderen Ländern angetan hatten. Die »babylonischen Türme des Globalismus« (Hans-Dietrich Sander) stürzten ein, der allmächtige, unbesiegbare Riese war also doch verwundbar. Die USA erschienen mir als die Verkörperung eines totalitären Kapitalismus, der Nationalstaaten und Kulturen vernichtet und nivelliert, der alle traditionellen Zügel und Bindungen zerstört, die sich seiner hemmungslosen, krebsartigen Ausbreitung in den Weg stellen.
Fünfzehn Jahre später haben sich meine Ansichten modifiziert; ich bin inzwischen überzeugt, daß »9 /11« in Wahrheit ein Inside job war, und ich mache heute einen Unterschied zwischen dem US-amerikanischen Volk und seiner Nation einerseits und andererseits den globalistischen Mächten, die sie als Operationsbasis benutzen. Trump ist wie eine Rakete in ihre Türme gesaust, und sein überraschender Sieg hat gezeigt, daß auch sie verwundbar sind.
Einen empfindlichen Schlag hat insbesondere die Medienmacht erhalten: Etwa 90 Prozent der US-amerikanischen Medien, inklusive der »konservativen«, stellten sich auf beispiellose Weise gegen Trump und versuchten, einen Wahlsieg Hillary Clintons regelrecht zu erzwingen. Im nach- hinein sieht es so aus, als sei es die Exzessivität dieser Parteilichkeit gewesen, die das Gegenteil dessen bewirkte, was sie eigentlich hätte bewirken sollen. Trump wurde ad nauseam mit »Hitler« verglichen, während die auch unter Linken eher unbeliebte, teilweise verhaßte Clinton vergleichsweise geschont wurde. Massiven Boykott gegen Trump gab es selbst seitens der Republikaner, womit sich das politische Establishment als ein Klüngel entlarvte, der zusammensteht, wenn Außenseiter seine Macht bedrohen. Daß Trump dazu imstande war, hatte zur Voraussetzung, daß er schwerreich und ein mit allen Wassern des Showbiz gewaschener Prominenter ist, in vielerlei Hinsicht eine perfekte Verkörperung der von Guy Debord beschriebenen »Gesellschaft des Spektakels«.
Bereits eine Woche vor der Wahl schrieb der linke Journalist Ken Silverstein, ein ausgesprochener Verächter beider Präsidentschaftskandidaten (er betrachtet die USA als Oligarchie, in der der Begriff Demokratie so gut wie sinnlos geworden sei), im New York Observer, daß die Journalisten des Landes die »größten Verlierer« der Wahlen seien. Sie hätten durch ihre unkritische Unterstützung Clintons ihren gesamten Berufsstand diskreditiert: »Wir brauchen dringend bessere Medien, denn in diesem Wahl- kampf wurden Trumps Wähler nicht verstanden und die Themen, für die er eintrat, pauschal als abwegig verworfen, sogar in Fällen, in denen ihm viele – in der Tat die meisten – Amerikaner wahrscheinlich beipflichten würden.«
Nach der Wahl brachte es der britische Satiriker Tom Walker alias »Jonathan Pie« in einem weit verbreiteten Video auf den Punkt: »Die Linke ist an diesem Resultat schuld, denn die Linke hat entschieden, daß jede abweichende Meinung oder jede abweichende Weltanschauung in- akzeptabel ist. Wir debattieren nicht mehr, denn wir haben den Kultur- kampf gewonnen. Wer rechts steht, gilt als Freak, als Rassist, als Dummkopf, gehört in den ›Korb der Erbärmlichen‹.
Glaubt ihr ernsthaft, die Leute werden euch wählen, wenn ihr so mit ihnen redet?« Walker spielte hier auf Clintons Ausspruch an, die Hälfte der Anhänger Trumps sitze in eben diesem Basket of deplorables und sei »rassistisch, sexistisch, homophob, fremdenfeindlich, islamophob«. Trumps wachsende Popularität basierte nicht zuletzt darauf, daß er diese Litanei hartnäckig ignorierte oder schlagfertig der Lächerlichkeit preisgab. Im Amerika der von George Soros gesponserten »Black-Lives-Matter«-Bewegung, die die schwarze ge- gen die weiße Bevölkerung aufhetzt, und der immer schriller werdenden Aktivitäten der »Social Justice Warriors« ist die politische Korrektheit allerdings auch bis zu einem Grad strapaziert worden, der für viele Amerikaner unerträglich geworden ist. In einer per Ideologie auf den Kopf ge- stellten, »postfaktischen« Welt voller Narren ist Trump der Clown, der die Wahrheit sagt.
Auf den nationalen Zornbanken hatte sich also einiges Kapital angesammelt. »Political Correctness hat nichts mit dem Versuch zu tun, Minderheiten zu schützen, es sei denn in ihrer Eigenschaft als Rammbock gegen die Interessen der Mehrheit«, schrieb Manfred Kleine-Hartlage auf seinem Blog korrektheiten.com. »Sie dient dazu, die ideologische Konformität der Eliten zu wahren und oppositionellen Sichtweisen und Interes- sen von vornherein die Artikulations- und Wirkungsmöglichkeiten zu verbauen. Sie ist eine Waffe, die sich gegen das Volk richtet, und genau dies hat das amerikanische Volk verstanden und die Konsequenzen gezogen. Auf diesen Effekt hat Trump gesetzt. Sein Kalkül war riskant, aber dank der unfreiwilligen Mithilfe der Medien erfolgreich.«
Der Widerstand kam überwiegend aus dem ebenso großen wie von den Eliten ignorierten Territorium des Flyover America zwischen Ost- und Westküste, während Clinton vor allem in den urbanen Ballungszentren punktete. Auch linke Seiten wie jacobinmag.com gaben zu, daß die wahlentscheidende weiße Arbeiterklasse von den Demokraten schon lange im Stich gelassen worden sei, eine Frustration, die durch deren offensives Werben um die Stimmen ethnischer und sexueller Minderheiten noch verschärft wird. Trumps Attacken gegen Globalismus und Freihandel und sein Versprechen, die nationale Wirtschaft wieder anzukurbeln und das Outsourcing der Industrie zu stoppen und rückgängig zu machen, fiel hier verständlicherweise auf fruchtbaren Boden. Damit stand für die Linke nach der Wahl wieder einmal, per selbst- erfüllender Prophezeiung der übliche Sündenbock fest: der »heterosexuelle, weiße Mann«, der als »Sexist« und »Rassist« diffamiert wird, sobald er sich nicht der politisch korrekten Identitätspolitik unterwirft.
Obwohl Trump auch eine beträchtliche Zahl von Schwarzen und Hispanics für sich gewinnen konnte, verdankt sich sein Erfolg zum Teil gewiß einem impliziten Whitelash wider die Politik der Diversity, die den demographischen Rückgang der weißen Bevölkerung noch zu beschleunigen versucht. Auch hier ist ein »Großer Austausch« im Gange, der den Auszutauschenden langsam unheimlich wird. Das erkannte auch Tobias Rapp, einer der wenigen halbwegs klugen Kommentatoren des Spiegel (46 / 2016): »Im Einwanderungsland USA zeichnet sich das Ende der weißen Vorherrschaft ab, in vielen Städten gibt es keine weiße Mehrheit mehr.
Auch in Europa vollzieht sich dieser demographische Wandel. Daß dieser Abschied konfliktfrei ablaufen würde, davon war nicht auszugehen. Die Menschheitsgeschichte lief noch nie anders. Dummerweise stecken wir mittendrin.« In diese Richtung weisende Untertöne und Subtexte genügten bereits, daß linke und farbige Kommentatoren Trump jenseits jeglicher faktischen Evidenz und jedes vernünftigen Maßstabs als »weißen Nationalisten« titulierten, was echte White nationalists wie Jared Taylor oder Greg Johnson entschieden zurückweisen. Weiße, die für ihre Inter- essen stimmen, gelten eben schon per se als »Rassisten«, im Gegensatz zu Schwarzen, die dasselbe tun.
Der demographische Abstieg der Noch-Mehrheitsbevölkerung ist nicht die einzige Parallele zwischen den USA und Europa. Was dort die Deplorables sind, die »Erbärmlichen«, ist in Deutschland das »Pack«, und auch die hiesige Presse steht mitsamt den politischen Eliten, die sie stützt, der amerikanischen an Arroganz, Bevormundungseifer und Hohn über die »Abgehängten« nicht nach. Dementsprechend fielen ihre Reaktionen auf Trumps Sieg aus.
Der Spiegel zeigte auf seinem Titel nach der Wahl Trump als riesigen Kometen, der auf einen winzigen Erdball zurast: »Das Ende der Welt (wie wir sie kennen)«. Kommentatoren überboten sich im kopflosen Fabulieren und riefen hysterisch das Ende des »Westens«, der »Aufklärung«, der »liberalen, amerikanischen Moderne«, der »Demokratie« oder des »Feminismus« aus und sahen einen neuen Faschismus her- aufziehen. An derartigem Heulen und Zähneknirschen konnte man sich noch Tage nach der Wahl ergötzen.
YouTube füllte sich mit Video-Kompilationen von weinenden und ausrastenden Liberals, die sich hemmungslos der infantilen Regression hingaben. Um so größer war die Freude auf der anderen Seite des Ufers:
»Eure Welt stürzt ein, unsere entsteht«, twitterte etwa Florian Phillipot, Vizevorsitzender des Front National, und Roger Köppel bejubelte das Wahlergebnis in der Weltwoche als »politisches Wunder«, »demokratische Revolution« und »Befreiungsschlag, noch unwahrscheinlicher und daher größer als der Brexit«. Das »hochmütige Kartell«, das Trump bekämpfte, »erlebt seine schwerste Niederlage.« Es bestehen gute Chancen, daß dieser Sieg auf Europa ausstrahlen und auch hier vergleichbare Umwälzungen vorantreiben wird. Das österreichische Profil sprach gar von einer »Rechtsrevolution«, und in der Tat läßt sich Trumps Präsidentschaft durchaus als populistischer Rechtsruck über die bisher in den USA üblichen Grenzen hinaus deuten.
Nicht nur hat Trump Steve Bannon, den ehemaligen Geschäftsführer des rechten Netzmagazins Breitbart, zu seinem ranghöchsten Berater ernannt, im Zuge des Wahlkampftrubels wurden auch Publikum und Bekanntheitsgrad der sogenannten »AltRight«-Szene und verwandter »Stars« wie Stefan Molyneux, Milo Yiannopoulos oder Gavin McInnes erheblich erweitert. Das von Köppel angesprochene »Kartell« entspricht im wesentlichen jenen kosmopolitisch orientierten Eliten, denen der Historiker Christopher Lasch in den neunziger Jahren vorwarf, sich immer weiter von der Lebenswelt der »gewöhnlichen Menschen«, der Arbeiter, Landwirte und der Mittelschicht zu entfernen.
Am 31. Oktober bemerkte Thomas Frank im britischen Guardian, daß die von Wikileaks gehackten E‑Mails von Clintons Wahlkampfleiter John Podesta die ganze Abgehobenheit und Überheblichkeit dieser Schicht deutlich entlarven würden: »Sie sind die bequeme und gut ausgebildete Stütze unserer modernen Demokratischen Partei. Sie sind auch die Granden unserer nationalen Medien; die Architekten unserer Software; die Designer unserer Straßen; die hohen Funktionäre unseres Bankensystems; kein Plan, der nicht auf ihr Konto geht, sei es, um das Sozialversicherungssystem in Ordnung zu bringen oder um für die Feinabstimmung von ferngesteuerten Präzisionsbombardements im Nahen Osten zu sorgen. Sie halten sich weniger für eine Klasse als für Erleuchtete, für Leute, vor denen man sich rechtfertigen muß, die selbst aber niemandem eine Rechenschaft schuldig sind.« Diese Leute, ein nepotistisches, mafiöses Netzwerk aus Reichen und Superreichen, aus Elite-Akademikern, ‑Managern, ‑Lobbyisten,-Karrieristen und ‑Bänkern, »leben wahrhaftig in einer sehr anderen Welt als der Rest von uns.«
Man erkennt hier auch unschwer die postdemokratische »Herrschaft der Manager« wieder, die James Burnham bereits in den vierziger Jahren voraussah. Der amerikanische Blogger The Cercle Rouge sieht im Zusammenbruch und der Infragestellung dieser Managerherrschaft das wesentliche Thema von Trumps Aufstieg. Zu ihr gehört der Glaube, daß sich die Übel der Welt durch ein entsprechendes Regierungsmanagement und passende Gesetzgebung beheben lassen. Wirtschaftliche Probleme werden durch Geldschöpfung, soziale wie »Rassismus, Homophobie und Sexis- mus« durch die Flutung der Kultur mit positiven Botschaften über Vielfalt und Toleranz beseitigt; Nationen, die sich nicht der amerikanischen Hegemonie unterwerfen wollen, werden durch wirtschaftliche Sanktionen und militärische Interventionen gefügig gemacht.
Aber »eine Wirtschaft, die auf schrankenlosem Kredit und gedrucktem Geld basiert, kann nicht überleben. Eine Gesellschaft, die keine gemeinsame Kultur und Sprache, keine gemeinsamen Werte und Traditionen hat, ist eine Gesellschaft, die überhaupt keine Kultur hat. Ein Land, das sich mit allen anlegt, die sich seiner unangefochtenen Hegemonie nicht beugen wollen, wird sich irgendwann mit dem Falschen anlegen.«
Inwiefern Trump seine Versprechungen wahr machen wird, kann zu diesem Zeitpunkt niemand sagen. Seine angekündigten Deregulationspläne etwa, die der Wall Street zugute kommen sollen, widersprechen seiner Wahlkampfrhetorik und verheißen nichts Gutes. Es kann durchaus sein, daß er sich als Demagoge herausstellen wird, der lediglich eine bis- lang ungerittene Welle genutzt hat. Anlaß zur Hoffnung ist indes seine erklärte Absicht, den Kollisionskurs mit Rußland abzuwenden, zusammen mit Putin den IS zu bekämpfen und Assad als legitimes Staatsoberhaupt Syriens anzuerkennen.
Schon wird ausgerechnet Angela Merkel, nun bald gleich dem Reichskanzler Adolf Hitler von Rußland und den USA in die Zange genommen, von der Systempresse absurderweise zum »Anführer des Westens« (Spiegel), zum »mächtigsten Menschen auf der Erde, der weder autoritär ist noch einen an der Waffel hat« (Die Zeit) emporgeharft, und das »Europa« der EU zur einzigen »großen Macht« ernannt, die »auf dieser Erde Demokratie und Vernunft verkörpern kann«. Das hört sich auf der oppositionellen Seite natürlich wie eine groteske Verkehrung der wahren Sachverhalte an.
Bis zum Amtsantritt Trumps und darüber hinaus wird das Imperium jedenfalls gewiß aufs Heftigste zurückschlagen. Schon jetzt laufen Hetze, Panikmache, Verzerrung und Desinformation auf Hochtouren. Die Presse hat nichts aus ihren Fehlern gelernt. Nachrichten machen die Runde, daß es zu zahlreichen Übergriffen auf Minderheiten durch Trump-Anhänger kommen werde. Verschwiegen wird, daß sich eine beträchtliche Anzahl dieser Meldungen als Fabrikation (Hate-crime hoax) herausgestellt hat, und verschwiegen werden auch die tatsächlichen, landesweiten Ausschreitungen gegen Menschen, die sich als Trump-Wähler zu erkennen geben.
Wie die wuchernden Haßausbrüche und Gewalt- und Mordaufrufe in den sozialen Medien zeigen, ist es die enttäuschte und von den Medien aufgeputschte Linke, die sich gerade in massiver Bürgerkriegsstimmung befindet und zum Rassen- wie Klassenkampf aufruft. Die »toleranten« Liberalen und Gutmenschen sind binnen kürzester Zeit zur zähnefletschenden Hetzmeute mutiert. Trump selbst hat sich indessen gemäßigt und konsenswillig gezeigt und erneut seine geniale Fähigkeit zum Reframing unter Beweis gestellt. Die nach der Wahl einsetzenden linksradikalen Krawalle kommentierte er per Twitter so: »Ich liebe die Tatsache, daß die kleinen Gruppen von Protestlern eine solche Leidenschaft für unser großartiges Land empfinden. Wir werden alle zusammenkommen und stolz sein!« Zu erwarten ist allerdings eher, daß sich die Spannungen noch verschärfen werden, auch in Europa. Das wird riskant, aber: Keine Revolution ohne Zuspitzung der Lage!