Eigentlich wollte ich mir an dieser Stelle ein anderes Bild vornehmen: Es zeigt den »Eisernen Steg« in Frankfurt, Silvester 2016. Der Eiserne Steg ist eine 1868 erbaute Fußgängerbrücke. Er wurde, da der Magistrat das Bauprojekt verweigerte, durch Frankfurter Bürger finanziert.
Gerade zu Silvester hatte der Steg über Jahrzehnte als Ausguck-Plattform für das Bürger- tum gedient. Dorthin pilgerte man, um das Neujahrsfeuerwerk zu bestaunen. Ende 2016 gab es eine kleine Diskussion darüber, ob man zu Silvester den Eisernen Steg ausschließlich für Frauen reservieren sollte. Warum? Weil es in der vorjährigen Silvesternacht ein paar Dutzend Anzeigen von Frauen gegen Belästiger gegeben hatte. Die (grüne) Frankfurter Frauendezernentin mit dem schönen Namen Rosemarie Heilig hatte eine entsprechende Umfrage in den sozialen Netz- werken angeregt. Da die meisten »User« gegen eine »Männersperrzone« waren, stand der »Eiserne Steg« am 31. Januar 2016 allen Mitbürgern dieser Welt offen.
Frau Heilig: »Das ist ein tolles Ergebnis. Es zeigt, daß wir eine freie und multikulturelle Stadt sind, in der man feiern kann.« Supi! Zum entsprechenden Bild/Photo, das hier nicht kommentiert wird, weil es zwei Autoren der Frankfurter Allgemeinen Woche (6. Januar 2017) bereits treffend beschrieben haben, nur dies: Wir sehen einen gnadenlos überfüllten Eisernen Steg. Wir sehen keine Frau. Wir sehen ausschließlich dunkelhäutige Männer. Wir lesen von einer von Polizisten gesicherten Feierzone, in der sich nur männliche Zuwanderer aufhalten. Und wir lesen eine Aussage des Kriminologen Rudolf Egg:
»Wir werden die Art, wie wir leben, verändern.« Wir? Das klingt aktiv und zugreifend. In Wahrheit ist es anders. Passiv, unterlassend.
Schnitt. Ich widme mich nun dem neben- stehenden Bild. Wir sehen die kampfverzerrten Gesichter von Ronda Rousey (hier schwarzbekleidet, 30 Jahre, geboren in Kalifornien) und Holly Holm (35 Jahre, Spitzname »Pfarrerstochter«, geboren in New Mexico). Die hübschen Flechtfrisuren der beiden Bantamblondinen wirken bereits reichlich derangiert. Frau Holm, tiefgläubige Christin und zuvor als Fußballerin, Taucherin und Schwimmerin erfolgreich, hat diesen Kampf übrigens gewonnen.
Beide Damen wirken wie monströse Muskelprotze. Das täuscht. Nein, sagen wir es anders. Schauen wir uns Holm und Rousey in ziviler Kleidung an. Sehr hübsch! Oder – gerade die ehemalige Judo-Olympionike und Schauspielerin Rousey (Fast & Furious, 2015) hat da ein nettes Portfolio – nehmen wir die zurechtgemachte, photogene Variante: Klasseweiber! Für Pin-up stehen beide selbstredend nicht zur Verfügung. Im Abendkleid machen aber beide ordentlich »was her«, wie man so sagt.
Die sportive Bikinikluft hier täuscht. Sie ist sogar paradox! Man beachte: Bei jenen Kampfsportarten, denen eine Philosophie des »Respekts« (Karate), der »Höflichkeit« (Taek- wondo) oder der »Nachgiebigkeit« (Judo) zugrunde liegt und die rohe »Gewalt« sogar ächten, wird der kämpfende Körper stärker verhüllt. Sogar die engen Anzüge der Ringerinnen verdecken mehr Haut! Bei dem hier exerzierten Sport Mixed Martial Arts (kurz: MMA, deutsch: Gemischte Kampfkünste) zählt nicht die Zurschaustellung einzelner Muskelgruppen, so wie es hier überhaupt nicht um eine Ästhetisierung von Kraft und Technik geht.
Den MMA liegt keine philanthropische Bemäntelung des Kampfgeschehens zugrunde. Es geht gemäß den Regeln der Ultimate Fighting Champion- ship (UFC), der marktführenden MMA-Organisation, einzig und allein darum: den Gegner im Kampf zu besiegen. Das »Hauen und Stechen« (natürlich: kein Stechen, aber immerhin Treten) ist hier auch noch in der Bodenlage erlaubt. Regellos wie beim »Catchen« der achtziger Jahre geht es dennoch nicht zu. Tiefschläge, Kopfstöße etc. gelten ebenso als Fouls wie Passivität und Vermeidungshaltungen. Effektive Aggressivität wird höher gewichtet als die Kontrolle der Wettkampffläche.
MMA-Kämpfe füllen seit Jahren auch in Deutschland (bei hohen Eintrittspreisen) große Stadien und Hallen. Weil dieser Vollkontaktsport, dessen Befürworter sich auf eine 4600jährige Tradition (Stichwort »Pankration«) berufen, als »zu gewalttätig« empfunden wurde, gab es – bis 2014 – ein vierjähriges Sendeverbot von MMA-Profikämpfen im deutschen Fernsehen.
Wo Gewalt gesamtgesellschaftlich tabuisiert wird, sucht sie sich ihre Nischen. Die sind dann freilich um so populärer. Aber warum die Damen? Warum so? Wie ticken die denn? Übertreiben die nicht? Weiblichkeit auf’s Äußerste zu treiben, das wäre doch: Zehnzentimeterstöckel! Oder zehn Kinder! Oder zu sagen: Auch wenn alle es tun, dieses Ringen um genderneutrale Augenhöhe – ego non!
Ach, komm. Bei aller Sympathie für das Unzeitgemäße, für das Beharren auf Relikten und Residuen: Er ist sehr in Ordnung, was diese Damen hier treiben. Das ist natürlich nicht die respektvolle Yogi-Variante nach dem Motto: Atme deine Achtsamkeit ein, atme deine Anerkennung aus. Hier geht es nicht um zivile Bereiche der Selbstermächtigung wie Stimmodulation (Sprachtrainer: »Schöpfen Sie Ihr Potential an tiefen Tönen und Intensität voll aus!«) oder darum – derzeit beliebte Metapher –, nach dem Straucheln »das Krönchen wieder geradezurücken«.
Hier geht es nicht um das Gewinnen von Blumentöpfen, sondern darum, daß die Faust auf’s Auge paßt! Laßt tausend Veilchen blühen! Das hier ist nicht genuin weiblich, nicht anmutig oder elegant. Es ist aber ein bißchen ehrlicher als die Softpower einer hosenbeanzugten Kriegsministerin mit familienfreundlicher Arbeitgeberattitüde. Das hier ist Kampfkraft, in höchsteigener Verantwortung!
Man hat uns bereits die brustentblößenden Femen als Rolemodels gelobt und angepriesen. Zudem die Sexarbeiterinnen, die lesbischen Mütter und die hüftschwingenden Popröhren, die mit ihren silikonbewehrten Popos im Stroboskopgewitter das Wort »Feminismus« in den Raum malen. Die gestählten, äußerst disziplinierten Faust- und Fußkämpferinnen vom Schlage einer Ronda Rousey hat man noch nicht auf diesen Thron des Geschlechterrollenvorbilds erhoben. Vielleicht auch, weil diese Wuchtbrummen so wenig Botschaft »verbalisieren«. Sie halten ihre Klappe. Klar, ist ja auch ein Mundschutz drin.
Es gehört dabei wahlweise zur Ironie der Geschichte, zur anthropologischen Weisheit oder zum sportlichen Fairneßgedanken, daß auch in den schier grenzenlos wirkenden gemischten Kampfkünsten Frauen gegen Frauen kämpfen. Und Männer gegen Männer. Das ist eine eiserne Sportregel. Das macht Sport zu einer Kunstform, zu einem geschützten, geregelten Raum.
Und in der Realität? Dort gibt es seit je männerbündisches Verhalten. In jüngster Zeit wurde vielfach (lies Jack Donovan, lies Karlheinz Weißmann) das Verschwinden von »Jungenbanden« beklagt. Nun sind sie wieder da, et- was düstereren Zuschnitts allerdings – siehe die Szenerie auf dem Eisernen Steg. In früheren Zeiten, zumal abendländischen, hielten solche Banden gegen Autoritäten und andere, konkurrierende Männerbünde zusammen. Was bleibt als Objekt, wo Autoritäten schwach sind und konkurrierende – in dem Fall: autochthone – Banden die Bindung scheuen? Vielleicht: die Zielgruppe Frau?
Daß Frauen »gemeinsam stark« wären, ist hingegen ein Wunschdenken, eine Utopie. Frauensolidarität ist ahistorisch, ein Witz. Lieber polieren die sich gegenseitig die Fresse! Mittlerweile kämpfen nicht mehr Differentialistinnen (letzte rosige Aufbäumfigur dieses einst stolzen Schlags: Eva Herman) gegen Universalistinnen, sondern die Kampfkraft hat sich erneut zerfleddert: Nun stehen Gleichheitsfeministinnen der Färbung Alice Schwarzers und Elisabeth Badinters gegen Whiteness-Kritikerinnen im Ring, die den feministischen Diskurs »entkolonialisieren« wollen und weißen Frauen privilegiertes Denken vorhalten. Derweil die Herren auf dem Eisernen Steg sich ihre Fäuste warmreiben. Derweil die MMA-Damen thereotisch unbeleckt ihre Fäuste schwingen!
Die deutsche MMA-Vorzeigefrau übrigens, die Offenbacherin Sheila Gaff, erste Deut- sche, die von der UFC unter Vertrag genommen wurde, trägt einen pikanten Kampfnamen: The German Tank.