Popoversohlen machen Viele

Ellen Kositza im Gespräch mit der Sadomaso-Szene

pdf der Druckfassung aus Sezession 76/Februar 2017

Gewalt wird geäch­tet. Über­all, fast. In die Schlaf­zim­mer kann Vater Staat noch nicht schau­en. Hat sich ein biß­chen, viel­leicht unter­drück­te, pri­va­te Rest­ge­walt »bet­ween the sheets«, zwi­schen die Laken ver­zo­gen? Sven Dirks soll­te es wis­sen. Er ist seit rund drei Jahr­zehn­ten in der soge­nann­ten Sado­ma­so-Sze­ne aktiv, orga­ni­siert Ver­an­stal­tun­gen und Stamm­ti­sche und betreut dane­ben seit 17 Jah­ren das spe­zi­fi­sche »Sor­gen­te­le­fon« maydaysm.de, ein Ange­bot für Pri­mär­in­ter­ven­ti­on bei Pro­ble­men, Gewalt­er­fah­run­gen und Bezie­hungs­schwie­rig­kei­ten im Bereich BDSM (»Bon­da­ge & Disci­pli­ne, Domi­nan­ce & Sub­mis­si­on, Sadism & Maso­chism«) für den deutsch­spra­chi­gen Raum.

Kositza: Herr Dirks, mein Ein­druck ist: Gewalt ist heu­te ein Tabu. Das ist – mit Blick auf die gesam­te Mensch­heits­ge­schich­te – ein brand­neu­es Phä­no­men. Es wird gewalt­frei erzo­gen, Krie­ge wer­den geäch­tet, und Gewalt in sexu­el­len Bezie­hun­gen wird mit gro­ßer Sen­si­bi­li­tät begeg­net. Letz­te­res inter­es­siert mich. Einer­seits wird
»Augen­hö­he« und »Acht­sam­keit« groß­ge­schrie­ben, ande­rer­seits haben wir die­sen gigan­ti­schen Erfolg des SM-Best­sel­lers Fif­ty Shades of Grey. Damit ein­her­ge­hend wird von einem Ver­kaufs­boom an Hand­schel­len, Peit­schen etc. für den inti­men Gebrauch berich­tet. Kommt damit etwas an die Ober­flä­che, viel­leicht eine Sehn­sucht nach »kla­ren Ver­hält­nis­sen«, nach Hier­ar­chie, das uns poli­tisch und päd­ago­gisch eigent­lich aus­ge­trie­ben wer­den soll­te? Ich mei­ne: Hat der Mensch eine Art Urbe­dürf­nis nach Gewalt, das nicht wirk­lich abge­schüt­telt wer­den kann?

Dirks: Vor­weg: Ich ver­kür­ze BDSM und alle rand­stän­di­gen Spiel­ar­ten der Ein­fach­heit hal­ber zu SM. Fif­ty Shades of Grey wird von vie­len Men­schen in der nicht­kom­mer­zi­el­len SM- Sze­ne vehe­ment abge­lehnt. Eben weil dort Kon­sen­sua­li­tät, Augen­hö­he und Acht­sam­keit nicht dar­ge­stellt wer­den! Die Über­grif­fig­keit, mit der der Prot­ago­nist in die­sem Film vor­geht, gibt es natür­lich auch in »der Sze­ne«. Aller­dings wer- den Men­schen bei­der­lei Geschlechts, die das so hand­ha­ben wie Herr Grey, meis­tens schnell aus- sor­tiert. Einen Hub­schrau­ber besit­zen die aller­meis­ten von uns auch nicht. In der SM-Welt

haben Kon­sen­sua­li­tät und das Mit­ein­an­der­aus­han­deln des­sen, was spiel­tech­nisch und sexu­ell läuft, abso­lu­ten Vor­rang. Nach Jahr­zehn­ten SM- Leben bin ich davon über­zeugt, daß Gleich­be­rech­ti­gung und Ach­tung vor dem Gegen­über in der SM-Welt deut­lich aus­ge­präg­ter sind als im Rest der Gesell­schaft, wo sexu­el­le The­men oft­mals aus Scham nicht bespro­chen werden.

Kositza: Was ja so klingt, als sei Scham ein Hin­der­nis für Gleich­be­rech­ti­gung und Ach­tung. Aber gut, Sie wider­spre­chen als Prak­ti­ker also mei­ner Ver­mu­tung, daß in einer Gesell­schaft, die sich »Trans­pa­renz« und »Gleich­heit« auf die Fah­nen geschrie­ben hat, die lei­den­schaft­li­che Sexua­li­tät sich ihre dunk­len Nischen sucht, in denen es rup­pig zugeht. Im Gegen­teil, falls ich Sie rich­tig ver­ste­he: In der Sze­ne wird um so gründ­li­cher aus­ge­han­delt, also das Begeh­ren auch stär­ker ver­ba­li­siert. Seltsam.

Dirks: Inner­halb der SM-Sze­ne gibt es schon auch Men­schen, die genau jene Hier­ar­chie, die »kla­ren Ver­hält­nis­se«, suchen. Ande­re sind eher auf den kör­per­li­chen Reiz von Schmerz und Endor­phi­nen aus. Auch das Gefes­selt- und da- mit Wehrlos­sein wird von vie­len sehr geschätzt. Wie­der ande­re genie­ßen den schar­fen Fokus auf Kör­per und Sexua­li­tät. All das setzt ein hohes Maß an Ver­trau­en in den akti­ven (domi­nan­ten, sadis­ti­schen, fes­seln­den) Part­ner oder die Part­ne­rin voraus.

Kositza: Das Kli­schee, kul­tu­rell und reli­gi­ös fest­ge­zurrt, besagt: Die Frau sei dem Mann Unter­tan. Zwei­tes, moder­nes Kli­schee: Gera­de der
»Typ Mana­ger«, der Boß mit gro­ßer Ent­schei­dungs­kom­pe­tenz und vie­len wirt­schaft­lich »Unter­ge­be­nen« hat häu­fig inti­me maso­chis­ti­sche Nei­gun­gen. Wie sieht das eigent­lich in Wahr­heit aus, rein zah­len­mä­ßig, im SM-Bereich? Sind mehr Frau­en oder mehr Män­ner domi­nant? Also: Gibt es mehr eine Umkehr der her­kömm­li­chen »tra­di­tio­nel­len Rol­len« oder eher eine Verfestigung?

Dirks: In den 80er und 90er Jah­ren war die nicht­kom­mer­zi­el­le, orga­ni­sier­te SM-Sze­ne eher sehr aka­de­misch geprägt. Heu­te ist sie ein Abbild der gan­zen Gesell­schaft und aller sozia­len Schich­ten. Vom Arbei­ter bis zur Mana­ge­rin fin­den sich alle sozia­len Grup­pie­run­gen in ihr wie­der. Das Kli­schee vom Mana­ger, der sich ger­ne am Abend aus­peit­schen läßt, ist mei­nes Erach­tens nicht halt­bar. Rein zah­len­mä­ßig wür­de ich sagen, daß vor allem jun­ge Frau­en zunächst eher, aber kei­nes­falls aus­schließ­lich, sub­mis­siv oder pas­siv in der Sze­ne auf­tau­chen. Vie­le ent­de­cken dann aber den Reiz der akti­ven Sei­te und fan­gen an, zu swit­chen, das heißt, auf bei­den Sei­ten des Spek­trums zu spie­len oder zu toppen.

Vie­le jun­ge Män­ner kom­men von vorn­her­ein in bei­den Rich­tun­gen offen in die Sze­ne und fin­den mit der Zeit her­aus, was ihnen am bes­ten taugt. Eine etwas geson­dert zu betrach­ten­de Grup­pe sind Män­ner, die erst mit 50 Jah­ren oder noch spä­ter häu­fig ohne Wis­sen der Part­ne­rin auf­tau­chen und ihren lebens­lan­gen Phan­ta­sien im rich­ti­gen Leben Aus­druck ver­lei­hen möch­ten. Bei die­sen fin­det sich ein gro­ßer Anteil an eher sub­mis­si­ven Män­nern. Sie haben oft einen schwe­ren Stand. Ins­ge­samt ist heu­te, dank Inter­net, die Hemm­schwel­le wesent­lich gerin­ger, sich in die »Öffent­lich­keit« der SM-Sze­ne zu bege­ben und dort die eige­ne Nische zu fin­den. Die tra­dier­ten Rol­len­bil­der wer­den in der SM-Sze­ne mei­nes Erach­tens mehr als anders­wo hinterfragt.

Kositza: Ich geste­he, Sie  des­il­lu­sio­nie­ren  mich! Ich hat­te die Vor­stel­lung, daß es sich bei der SM-Sze­ne um einen düs­te­ren Bereich des »Vor- zivi­li­sa­to­ri­schen« hand­le. Daß es ein dämm­ri­ger Raum ist, in dem Wol­lust, Gier und drek­ki­ge Ani­ma­li­tät ohne büro­kra­tisch anmu­ten­de Vor­ver­hand­lung aus­agiert wird. Ist anschei­nend nicht so! Offen­kun­dig wird also viel vor­ab bespro­chen, es wer­den Schutz­wör­ter ver­ein­bart und­so­wei­ter. Mir erscheint das sehr … hm, hygie­nisch und als bes­tens ver­wal­te­te Orgi­en. Oder?

 Dirks: (lacht) Hygie­nisch? Ja bit­te, unbe­dingt! Das »Ani­ma­li­sche« wird, so gut es geht, insze­niert und von bei­den bezie­hungs­wei­se allen Betei­lig­ten best­mög­lich mit Leben gefüllt. Ein gewis­ses schau­spie­le­ri­sches Talent, ins­be­son­de­re beim Top, also den domi­nan­ten Part­nern, hilft hier sehr, eine an sich cho­reo­gra­phier­te Sze­ne »wahr« wer­den zu las­sen. Mit zuneh­men­dem Ver­trau­en zwi­schen Spiel­part­nern bzw. ‑part­ne­rin­nen gibt es natür­lich auch mehr Raum für un- geplan­te Gier, Wol­lust und rau­hes Spiel. Vie­len geht es ohne­hin weni­ger um den klas­si­schen Sex bei der Sache, son­dern um das rausch­haf­te Erle­ben. Endor­phi­ne, Adre­na­lin, Schmerz, Zwang – das alles löst bei den meis­ten Men­schen einen trance­ar­ti­gen Zustand aus. Die­ser ist oft genug das pri­mä­re Ziel einer Ses­si­on. Der sich häu­fig anschlie­ßen­de Sex ist schön und viel­leicht kathar­tisch, für vie­le aber zweitrangig.

Kositza: Wir spra­chen ja nun von einer »SM- Sze­ne«. Im Begriff der »Sze­ne« steckt eine gewis­se Ver­net­zung, Club­at­mo­sphä­re, Aus­tausch etc. drin. Wo ist eigent­lich der Schritt, daß Leu­te »zur Sze­ne« gehö­ren? Was ich damit mei­ne: Pri­va­te Vor­lie­ben bil­den sich ja nicht gleich in einer »Sze­ne« ab. Wann ver­läßt denn einer über­haupt den Bereich des Ehe­betts und der part­ner­schaft­li­chen (Duo-)Intimität? Was heißt über­haupt »Sze­ne«? Sind die Leu­te dort also alle pro­mis­kui­tiv? Steht dort also nicht die gelieb­te Per­son im Vor­der­grund, son­dern ein feti­schi­sier­tes, an kei­ne bestimm­te Per­son geknüpf­tes Verlangen?

Dirks: Ich den­ke, daß sich in »der Sze­ne« vor allem die­je­ni­gen fin­den, denen das SM-Erle­ben beson­ders wich­tig ist, die einen sehr star­ken Trieb in die­se Rich­tung ver­spü­ren und die sich Sexua­li­tät ohne SM über­haupt nicht vor­stel­len kön­nen. Auch der Wunsch, mehr zu erfah­ren, Fer­tig­kei­ten zu erler­nen und kom­pa­ti­ble Part­ner oder Part­ne­rin­nen zu  fin­den, treibt Men­schen in die SM-Sze­ne. Dort pas­sie­ren dann eh auch die übli­chen grup­pen­dy­na­mi­schen Pro­zes­se, die man auch im Alpen­ver­ein oder bei den Tier­schüt­zern fin­det. Die Akzep­tanz einer gro­ßen Band­brei­te von teil­wei­se sehr skur­ri­len Vor­lie­ben spielt sicher auch eine Rol­le. Popo­ver­soh­len machen vie­le, aber es gibt eine Rei­he von Feti­schen und Spiel­ar­ten, die deut­lich selt­sa­mer sind. Ande­re fin­den nur in der Sze­ne Men­schen, die bereit sind, auch sehr hart und bru­tal erschei­nen­de Ses­si­ons tat­säch­lich durch­zu­zie­hen. Das erfor­dert viel Wis­sen über Ana­to­mie, Medi­zin und Psy­cho­lo­gie, viel Empa­thie und die Übung, die eige­ne »Beiß­hem­mung« zu über­win­den und dem oder der Sub das zu geben, was gewollt ist.

Und ja, die Men­schen in der SM-Sze­ne sind sehr über­durch­schnitt­lich poly­amor und bereit dazu, daß in einer Paar­be­zie­hung auch SM-Kon­tak­te zu und Inti­mi­tät mit ande­ren mög­lich sind. Oft genug des­halb, weil es nicht oft vor­kommt, daß zwei Men­schen, die sich lie­ben und die mit- ein­an­der auf die Lang­stre­cke gehen wol­len, auch genau die glei­chen SM-Vor­lie­ben haben.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)