No-go-Areas

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

48 Ein­hei­mi­sche leben noch in Savi­le Town, einer eng­li­schen Klein­stadt süd­lich von Leeds, die im Bal­lungs­ge­biet West York­shire liegt. Dem­ge­gen­über ste­hen rund 4000 Mos­lems, die hier 97 bis 99 Pro­zent der Gesamt­be­völ­ke­rung aus­ma­chen dürf­ten. Ein Sicher­heits­pro­blem stellt dies auf den ers­ten Blick nicht dar. Abge­se­hen von den übli­chen All­tags­über­fäl­len und gele­gent­li­chen Schie­ße­rei­en herrscht eine trü­ge­ri­sche Ruhe in Savi­le Town. Das Leben in die­ser »eth­ni­schen Enkla­ve« (Dai­ly Mail) hat sich eben nur radi­kal ver­än­dert: Eine der weni­gen ver­blie­be­nen Ein­hei­mi­schen, eine 53jährige Zahn­arzt­hel­fe­rin, gibt ganz offen zu, daß sie sich zu spä­ter Stun­de nicht mehr aus dem Haus traut. Die umher­strei­fen­den Mos­lems hät­ten kei­nen Respekt vor wei­ßen Frau­en und wür­den die­se einschüchtern.
Drei der vier Selbst­mord­at­ten­tä­ter vom 7. Juli 2005 wohn­ten in Savi­le Town. Doch es wäre eine Ver­zer­rung der Gesamt­la­ge, sich aus- schließ­lich auf die­se Gefähr­dung zu kon­zen­trie­ren. Viel ent­schei­den­der sind ande­re Pro­zes­se. Ent­schei­den­der ist bei­spiels­wei­se, daß in den letz­ten Jah­ren man­gels mög­li­cher Kund­schaft acht von neun Pubs geschlos­sen haben. Wo frü­her die Geschäf­te der Ein­hei­mi­schen waren, kann man heu­te Bur­kas kau­fen. Eine Moschee mit 4000 Plät­zen domi­niert zudem die Stadt, in der die Land­nah­me noch gar nicht abge­schlos­sen ist. Laut Berich­ten suchen rei­che Mos­lems gezielt die Häu­ser der ver­blie­be­nen Ein­hei­mi­schen auf. Sie klin­geln an ihren Türen und bie­ten viel Bar­geld für die Immo­bi­li­en an.

Auf­grund die­ser Zustän­de dürf­te Savi­le Town zu den frap­pie­ren­den »No-Go-Are­as« in Euro­pa zäh­len. Was hier All­tag ist, eta­bliert sich aber auch andern­orts in vie­len Abstu­fun­gen. Die eng­li­schen Brenn­punk­te haben seit der Jahr­tau­send­wen­de alle 15 bis 20 Pro­zent der ein­hei­mi­schen Bevöl­ke­rung ver­lo­ren. In Frank­reich, den Bene­lux-Staa­ten, Schwe­den und West­deutsch- land kip­pen vie­le Stadt­tei­le eben­falls. Gewalt kommt dabei facet­ten­reich zur Anwendung.
Der His­to­ri­ker Jörg Bab­e­row­ski defi­niert die »Räu­me der Gewalt« in sei­nem gleich­na­mi­gen Werk von 2015 als jene Orte, wo die »Regeln sozia­ler Kom­mu­ni­ka­ti­on, die im Frie­den gel­ten, sus­pen­diert« sei­en. Mit die­ser weit­ge­faß­ten Begriffs­be­stim­mung läßt sich begrei­fen, was sich in den größ­ten No-go-Are­as Euro­pas abspielt. In die­sen von Aus­län­dern domi­nier­ten Gegen­den ist kein Gespräch mehr zwi­schen den Ein­hei­mi­schen, dem Staat und den ein­zel­nen Zuwan­de­rer­grup­pen mög­lich. Es regie­ren Ein­schüch­te­rung und Ver­drän­gung. Die Poli­zei ver­mag den Ein­hei­mi­schen nur behut­sam ein­däm­mend zur Sei­te zu stehen.
In einem Bericht vom Dezem­ber 2015 begrün­de­te die schwe­di­sche Poli­zei die­ses pas­si­ve Ver­hal­ten damit, daß die »Mehr­zahl der Risi­ko­fak­to­ren außer­halb der Kon­trol­le der Poli­zei« lägen.

Als Bei­spie­le wur­den der Zugang zum Wohl­fahrts­sys­tem, die Arbeits­lo­sig­keit, die eth­ni­sche Segre­ga­ti­on, die Stig­ma­ti­sie­rung und das Woh­nen auf enger Flä­che genannt. Einer­seits ist die­ses Ein­ge­ständ­nis ein Armuts­zeug­nis für die Hand­lungs­fä­hig­keit des Staa­tes, ande­rer­seits ent­spricht die­se Bewer­tung natür­lich der Wahr­heit und bringt einen ganz wich­ti­gen Punkt zur Spra­che: Mit der Eta­blie­rung des Sozi­al­staats ging eine Aus­wei­tung, zugleich aber auch Auf­wei­chung des Gewalt­mo­no­pols ein­her. Aus­ge­wei­tet wur­de der Schutz­auf­trag des Staa­tes dahin­ge­hend, daß nun mit Über­wa­chungs­tech­nik, der finan­zi­el­len Grund­si­che­rung der Bür­ger, päd­ago­gi­scher Ver­weib­li­chung und ande­ren psy­cho­lo­gi­schen Maß­nah­men (»Nud­ging«) ein ober­fläch­li­cher Frie­den her­ge­stellt wird. Die Auf­wei­chung des Gewalt­mo­no­pols besteht dage­gen dar­in, es nur noch inkon­se­quent durch­zu­set­zen. In vie­len Gegen­den Deutsch­lands braucht die kaputt­ge­spar­te Poli­zei weit über eine hal­be Stun­de, um erst ein­mal am Tat­ort ein­zu­tref­fen, und die offe­nen Staats­gren­zen sind natür­lich das deut­lichs­te Zei­chen die­ser Fehlentwicklung.

Der Staat kann sich dies nur leis­ten, weil er die Mehr­heit der Bür­ger zu Gewalt­ver­leug­nern erzo­gen hat, die bereit sind, den Schmerz zu umge­hen, kos­te es, was es wol­le. Die White flight und die Aus­brei­tung der Angst in den west­eu­ro­päi­schen No-Go-Are­as allein mit dem Rück­zug des Staa­tes zu erklä­ren, ver­nach­läs­sigt daher das men­ta­le Ver­hält­nis der schutz­be­dürf­ti­gen, gehor­sa­men Bür­ger zur Gewalt. Bab­e­row­ski betont, die Furcht vor­ein­an­der sei ein wesent­li­cher Regu­la­tor zur Siche­rung des inne­ren und äuße­ren Frie­dens. Ent­schei­dend ist folg­lich, wer sich hier vor wem aus wel­chen Grün­den fürch­tet und zurück­zieht. Wür­de es den Ein­hei­mi­schen gelin­gen, ihre Geschlos­sen­heit und Wehr­haf­tig­keit zu demons­trie­ren, hät­ten sie abge­se­hen von extre­men Bei­spie­len wie Savi­le Town über­all noch die Chan­ce, ihren Gebiets- und Herr­schafts­an­spruch durch­zu­set­zen. Sobald aber die Zuwan­de­rer­grup­pen von die­ser Wehr­haf­tig­keit der Ein­hei­mi­schen nichts mehr wahr­neh­men kön­nen, wer­den sie begin­nen, die ent­spre­chen­den Gebie­te zu okku­pie­ren. Dies ist kei­ne Ver­mu­tung, son­dern ein eher­nes Gesetz, das sowohl Evo­lu­ti­ons­bio­lo­gen wie Ire­nä­us Eibl-Eibes­feldt als auch Staats­recht­ler wie Carl Schmitt hin­rei­chend belegt haben.

In Der Begriff des Poli­ti­schen erklärt Schmitt, ein Feind sei »eine wenigs­tens even­tu­ell, d. h. der rea­len Mög­lich­keit nach kämp­fen­de Gesamt­heit  von  Men­schen,  die  einer eben­sol­chen Gesamt­heit gegen­über­steht«. Von der Mobi­li­sie­rungs­kraft der Aus­län­der, Ein­hei­mi­schen und des Staa­tes hängt es also ab, wer sei­nen Herr­schafts­an­spruch durch­set­zen kann. Wer die­se Ein­sicht ledig­lich abs­trakt betrach­tet, wird die eige­ne Pas­si­vi­tät immer damit begrün­den, im Gan­zen gese­hen ja noch in der Mehr­heit zu sein und über die grö­ße­ren Gewalt­mit­tel zu ver­fü­gen. Die bereits ent­stan­de­nen No-go-Are­as zei­gen aber, daß es im All­tag nicht dar­auf an- kommt, mehr Pan­zer­wa­gen als die  Gegen­sei­te im Fuhr­park zu haben. Die Mobi­li­sie­rungs­kraft ist viel­mehr an jedem kon­kre­ten Ort und in je- dem kon­kre­ten Fall gefragt.

Schau­en wir also genau hin, etwa nach Bre­men: In der (gemäß Leit­me­di­en) rela­tiv fried­li­chen Sil­ves­ter­nacht 2016 /17 wur­de im berüch­tig­ten Stadt­teil Blu­men­thal ein 15jähriger Syrer von Kur­den zu Tode getre­ten. Unmit­tel­bar nach der Tat kam zwar ein Ret­tungs­wa­gen, die Poli­zei ließ sich jedoch nicht bli­cken. Laut Poli­zei­prä­si­dent Lutz Mül­ler habe der Ret­tungs­dienst den Fall nicht direkt an die Poli­zei wei­ter­ge­lei­tet, obwohl dies bei schwe­ren Gewalt­de­lik­ten stan­dard­mä­ßig so geschieht. Die Beam­ten hat­ten aber ohne­hin zur glei­chen Zeit weni­ge Stra­ßen wei­ter genug zu tun. Sie muß­ten eine Mas­sen­schlä­ge­rei zwi­schen Groß­fa­mi­li­en mit 50 Per­so­nen schlichten.

Zudem grif­fen noch­mals an ande­rer Stel­le 30 Per­so­nen zwei Ein­satz­fahr­zeu­ge und die Beam­ten mit Rake­ten, Böl­lern und Fla­schen an, wor­auf­hin die­se sich aus Sicher­heits­grün­den zurück­zie­hen  muß­ten. Ver­stär­kung konn­te indes kei­ne orga­ni­siert wer­den. Mül­ler rede­te die Vor­fäl­le den­noch klein. Es soll­te nicht der Ein­druck ent­ste­hen, man sei nicht stark genug – aber genau das war frei­lich der Fall. Der Bre­mer Vor­sit­zen­de der Gewerk­schaft der Poli­zei (GdP), Jochen Kopel­ke, kon­sta­tier­te zwar, daß so etwas »immer wie­der statt­fin­det«, weil man »nicht so vie­le Kräf­te auf der Stra­ße« habe. Trotz­dem sei die inne­re Sicher­heit nicht in Gefahr. Denn: »Alle Fäl­le sind bear­bei­tet wor­den.« Daß sich auf­grund der Vor­fäl­le etwas ändern müs­se, fand dage­gen Sebas­ti­an Elling­haus von der Lan­des­zen­tra­le für poli­ti­sche Bildung.

»Das ein­fachs­te« sei es jetzt für die Deut­schen, ihre »Kom­fort­zo­ne« zu ver­las­sen und »ande­re Men­schen, Grup­pen und Kul­tu­ren ken­nen­zu­ler­nen«. Außer­dem kri­ti­sier­te er, daß die Anti­ras­sis­mus-Arbeit für Ein­wan­de­rer »tat­säch­lich noch in den Kin­der­schu­hen« ste­cke. Als drit­tes emp­fiehlt er schließ­lich, Flücht­lin­ge in bür­ger­li­chen Vier­teln anzu­sie­deln, damit »sich auch dort das Stra­ßen­bild ändert«.

Nur aus einem ein­zi­gen Grund sind die­se welt­frem­den Äuße­run­gen von Elling­haus von Inter­es­se: Sie spie­geln die Ideo­lo­gie der herr­schen­den poli­ti­schen Klas­se wider. In der Bun­des­re­gie­rung heißt es ganz offi­zi­ell, die Deut­schen müß­ten sich eben­falls in die neue Gesell­schaft inte­grie­ren, die viel­fäl­ti­ger, aber auch schmerz­haf­ter sei. Zugleich ver­sucht Innen­mi­nis­ter Tho­mas de Mai­ziè­re (CDU), das Leid zu lin­dern, indem er Video­über­wa­chung ein­schließ­lich auto­ma­ti­scher Gesichts­er­ken­nung auf den Weg bringt. Mit Inte­gra­ti­ons­flos­keln und Über­wa­chung las­sen sich die No-go-Are­as aber nicht zurück­ge­win­nen, weil sie sich gera­de dann ver­fes­ti­gen, wenn die öffent­lich beob­acht­ba­re Gewalt auf­grund  erfolg­rei­cher  Ein­schüch­te­rung und Ver­drän­gung nachläßt.

Es geht nur so, wie es der Diplo­mat und Staats­den­ker Fried­rich Gentz um 1800 beschrieb. Er beton­te, nur »die Furcht vor gemein­schaft­li­chem Wider­stan­de oder gemein­schaft­li­cher Rache der andern« kön­ne jeden Bür­ger in sei­nen Schran­ken hal­ten. In der Regel küm­mert sich der Staat dar­um, der neben Grenz­si­che­rung und Stär­kung der Poli­zei auch dafür zu sor­gen hät­te, daß ein­zel­ne Stadt­tei­le nicht demo­gra­phisch kip­pen. Ver­sagt der Staat bei die­sen Auf­ga­ben aller­dings, siegt an jedem kon­kre­ten Ort die­je­ni­ge Gemein­schaft mit der größ­ten Mobilisierungskraft.

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

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