Glossarium für den Psychokrieg

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

Es gibt einen Psy­cho­krieg zwi­schen Lin­ken und Rech­ten, dem wir nicht ent­ge­hen kön­nen. Alle Bemü­hun­gen um einen »ratio­na­len poli­ti­schen Dia­log« sind auf einer irra­tio­na­len, tie­fe­ren Schicht der Aus­ein­an­der­set­zung unter­mi­niert. Unter­mi­niert von kom­mu­ni­ka­ti­ven Spiel­chen, die den Geg­ner erle­di­gen sol­len. Die Rech­ten hal­ten die Lin­ken für dumm, die Lin­ken hal­ten die Rech­ten für böse. Wer es mit Lin­ken zu tun hat, sei es auf der poli­ti­schen Büh­ne, im Arbeits­le­ben, in der Fami­lie oder gar inner­halb einer Bezie­hung, gewinnt irgend­wann den Ein­druck, daß die Bös­ar­tig­keit eher links ange­sie­delt ist.

Es ist nicht das fins­te­re, abge­klär­te, scho­nungs­lo­se Böse der Rech­ten, son­dern ein ver­steck­tes, sich men­schen­freund­lich und dia­log­be­reit geben­des Böses. Leicht gerät man in die erdrü­cken­de Umar­mung, wenn man nicht annimmt, daß sie eine Waf­fe im Psy­cho­krieg ist, son­dern sie für authen­tisch hält. Bal­ta­sar Gra­cián hat im 17. Jahr­hun­dert Maxi­men für den welt­klu­gen Mann im Krieg gegen das Böse (Militia con­tra mali­cia) aus­ge­ge­ben: »Aber die beob­ach­ten­de Schlau­heit ist auf ihrem Pos­ten, strengt ihren Scharf­blick an und ent­deckt die in Licht gehüll­te Fins­ter­niß: sie ent­zif­fert jenes Vor­ha­ben, wel­ches je auf­rich­ti­ger, des­to trü­ge­ri­scher war.« (Hand-Ora­kel und Kunst der Weltklugheit).

Heu­te kön­nen wir sol­che Maxi­men aus der ame­ri­ka­ni­schen Psy­cho­lo­gie, aus Rat­ge­bern für Töch­ter nar­ziß­tisch gestör­ter Müt­ter, von Dating- und Män­ner­sei­ten, anti­fe­mi­nis­ti­schen und Alt­Right-Blogs neh­men oder von Donald Trump selbst ler­nen. Längst sind es näm­lich kei­ne spe­zi­el­len the­ra­peu­ti­schen Fach­be­grif­fe mehr oder Hand­werks­zeu­ge erfolg­ver­spre­chen­der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­trai­ner, son­dern: von der ame­ri­ka­ni­schen Alt­Right ler­nen heißt sie­gen ler­nen. Hilft nichts fürs deut­sche Eige­ne, das müs­sen wir schon selbst fin­den und ver­tei­di­gen, hilft aber viel beim Zusam­men­stoß mit der glo­ba­li­sier­ten Lin­ken. Sie­ben über­le­bens­wich­ti­ge eng­lisch­spra­chi­ge Begrif­fe ent­hält mein Glos­sa­ri­um für die­sen Psy­cho­krieg, über­setzt, er- klärt und an typi­schen Bei­spie­len illustriert.

Agree and amplify

Lin­ken Irr­sinn erkennt man meist schnell. Ihn mit fak­ten­ba­sier­ten Argu­men­ten zu wider­le­gen, ist zum Schei­tern ver­ur­teilt, weil irr­sin­ni­ge Behaup­tun­gen mit den Mit­teln der ratio­na­len Wider­le­gung nicht zu fas­sen sind. Am bes­ten stim­me man also dem  Gesprächs­part­ner zu, so daß er sich »wirk­lich gehört fühlt«, und dann über­trei­be man sei­ne Aus­sa­ge bis ins Gren­zen­lo­se. Die­se Stra­te­gie zielt dar­auf, lin­ke Absur­di­tä­ten zu über­neh­men und dann auf den Punkt zuzu­trei­ben, wo plötz­lich für jeder­mann sicht­bar wird: Das ist doch absurd! Agree and ampli­fy (zustim­men und über­trei­ben) ist mehr als die klas­sisch-rhe­to­ri­sche Reduc­tio ad absur­dum, weil es eben die emo­tio­na­le Erpres­sung mit ad absur­dum führt.

A: »Es ist ein Gebot der christ­li­chen Nächs­ten­lie­be, alle  Asyl­su­chen­den  auf­zu­neh­men, ohne Gren­zen im Kopf und im Her­zen. Du mußt doch ein­se­hen, daß wir alle Men­schen sind! Stell’ dir vor, du mußt mit dei­ner Fami­lie flüchten!«

B: »Oh je. Es gibt so vie­le erschüt­tern­de Ein­zel­schick­sa­le in Syri­en, Afgha­ni­stan, dem Irak und in ganz Afri­ka, alles Men­schen, die wir auf­neh­men müs­sen. Sie leben unter viel schlech­te­ren Bedin­gun­gen, das ist doch unge­recht. Eine Mil­li­on Syrer allein, dazu die Mil­li­on Afgha­nen, Ira­ker, die Mil­li­ar­de Afri­ka­ner, alle müs­sen in Deutsch­land Asyl fin­den, das sind wir ihnen schul­dig. Daß dabei dann Deutsch­land ver­schwin­det, ist das eigent­lich Christ­li­che.  Auf uns kommt’s ja sowie­so nicht an.«

Cuck/Uncucking

Der Cuck (von Cuck­old) ist der Feig­ling, der Hahn­rei, der gehörn­te Gat­te, er gehört in die Rubrik »War­um haben lin­ke Män­ner kei­ne Eier?« (Welt). Ein Cuck schaut auch erstaun­lich oft so aus: ganz­kör­per­lieb, etwas unge­schickt, nett, Bril­le,  Halb­glat­ze,  Kum­pel­typ. Rich­tig alter­na­ti­ve Attri­bu­te wie den Her­ren­dutt, Goak­la­mot­ten oder Lat­schen hat er gar nicht nötig, dazu wäre er sogar zu fei­ge. Denn der Cuck kann auch cuck­ser­va­ti­ve sein, er gibt sich so lan­ge durch­aus mal mar­kig rechts, bis  es dar­auf ankommt, Posi­ti­on zu bezie­hen. Dann kneift er den Schwanz ein, ist lie­ber »libe­ral­kon­ser­va­tiv« und signa­li­siert dem poli­ti­schen Geg­ner sei­ne Gut­ar­tig­keit ( Vir­tue signal­ling), unter ande­rem dadurch, daß er auf Leu­te ein­tritt, die rechts von ihm stehen.

Ein am Neben­tisch belausch­ter Cuck sag­te zu sei­ner weib­li­chen Beglei­tung: »Also ich find’ ja Sexis­mus nicht gut, wär’ total schlimm für mich als Mann, wenn mich eine Frau sexis­tisch fän­de.« Frau­en fin­den Cucks not­wen­dig unat­trak­tiv, idio­ti­scher­wei­se glau­ben die­se jedoch, durch ran­schmei­ße­ri­sches Getue bei ihnen beson­ders zu punk­ten. Männ­li­che Femi­nis­ten und Femi­nis­tin­nen­gat­ten sind mit Gewiß­heit Cucks, das flam­boy­ant Unmänn­li­che ist charakteristisch.

Cucks sind oft äußerst gefähr­li­che Gesprächs­part­ner und ver­fü­gen über das gesam­te Arse­nal lin­ker Psy­cho­tech­ni­ken: Pro­jek­ti­on eige­ner Pro­ble­me auf den Gegen­über (»Du kannst das nicht tren­nen!«), pas­si­ve Aggres­si­on (»Also ich kann ja damit umge­hen, hier so ange­grif­fen zu wer­den«),  Tugend­ter­ror,  Virtue  signal­lingGas­light­ing,  Emo­tio­na­li­sie­ren  (Han­nes Stein: »Trump hat gesiegt. Unser Sohn, unser Sohn, sag­te ich wei­nend zu mei­ner Frau und hielt mei­ne Hän­de über ihn«), Kon­ta­mi­nie­ren von nicht zusam­men­ge­hö­ri­gen The­men, Derai­ling). Es gibt Chan­cen, daß sich der Cuck­ser­vative nach eini­gen Rea­li­täts­er­fah­run­gen all­mäh­lich uncu­cked, näm­lich wenn er kon­kret her­aus­ge­for­dert wird, ein Mann zu sein, der zu sei­nem Wort, sei­nem Volk, sei­nem Geschlecht steht. Einen pas­siv-aggres­si­ven Cuck von der Gut­men­schen­sor­te auf­zu­for­dern, sich end­lich mal zu uncu­cken, ist nur rhe­to­risch gemeint.

Derai­ling

Ent­glei­sungs­ma­nö­ver (Derai­lings)  sind  vol­le Absicht, z. B. unver­mit­telt ein ande­res The­ma anzu­schnei­den, das The­ma des Gegen­übers als »hier nicht das The­ma« hin­zu­stel­len, die Rede­wei­se oder psy­chi­sche Ver­faßt­heit des Gegen­übers zu the­ma­ti­sie­ren, kurz­um: auf einer Meta­ebe­ne die Gesprächs­schie­nen (Rails) zu mani­pu­lie­ren. Derai­ling ist im Gegen­satz zum Gas­light­ing eine Gesprächsführungs‑, kei­ne ech­te Psy­cho­tech­nik. Des­we­gen ist es (durch­schaut man in einem Gespräch das Derai­ling) leicht mög­lich, es expli­zit zu machen und damit zu ver­der­ben, etwa so:

»He, du lenkst jetzt ab!« oder: »Das ist sehr wohl das The­ma, dar­über will ich hier und jetzt spre­chen« oder: »Ich habe kein emo­tio­na­les Pro­blem, son­dern sehe es ganz sach­lich« oder:

»Tren­nen wir zwi­schen dem Ent­ste­hungs­zu­sam­men­hang mei­ner Aus­sa­gen – ja, ich bin ein wei­ßer Mann – und dem Gel­tungs­zu­sam­men­hang, für den die­se Tat­sa­che kei­ne Rol­le spielt.«

Klas­sisch füh­len sich Lin­ke selbst als Opfer rech­ter, männ­li­cher, stra­te­gi­scher Ent­glei­sungs­ma­nö­ver. Das liegt dar­an, daß sie durch die Bank eff­emi­nier­te Män­ner oder ohne­hin Frau­en sind. Aber in Wirk­lich­keit sind sie es, die Dia­lo­ge ent­glei­sen las­sen. Derai­ling fin­det meist dann statt, wenn man es mit einem Typus von Lin­ken zu tun hat, der sich als min­der­wer­tig emp­fin­det (»aus­ge­grenz­te Min­der­heit ohne Stim­me in die­ser Gesell­schaft«) oder demons­tra­tiv für Mino­ri­tä­ten ein­tritt (Vir­tue signal­ling).

Sol­che Lin­ke haben aus der Gen­der­theo­rie und ver­wand­ten Min­der­hei­ten-Stu­di­en­fä­chern  (Cri­ti­cal whiten­ess; Que­er, Post­co­lo­ni­al etc. stu­dies) gelernt, daß Herr­schaft ein Dis­kurs­phä­no­men ist: dis­kri­mi­nie­ren­de Spra­che übt Gewalt aus. Durch Derai­ling holen sie sich die­se Gewalt zurück und knal­len dem Gesprächs­part­ner sei­ne »Pri­vi­le­gi­en« um die Ohren. Wer mit Fak­ten argu­men­tie­re, reflek­tie­re sei­ne Herr­schafts­po­si­ti­on dabei nicht und len­ke davon ab. Der Ruf »Derai­ling!« funk­tio­niert aus der Benach­tei­lig­ten­per­spek­ti­ve als  Kil­ler­ar­gu­ment  gegen­über dem »männ­li­chen« oder »pri­vi­le­gier­ten« Argument.

Die­se Stra­te­gie nun wie­der­um als Derai­ling zu erken­nen, als schlich­te Pro­jek­ti­on des eige­nen Ver­fah­rens auf den ande­ren, ver­setzt in die Lage, es zu the­ma­ti­sie­ren. Damit ist Derai­ling zumin­dest für die­se Dis­kus­si­on tot. Es ist näm­lich auf dem Niveau Rum­pel­stilz­chens anzu­sie­deln: Man nennt sei­nen Namen, und es fährt wut­ent­brannt in den Boden.

Frame /Reframing

Die Meta­pher Frame (Rah­men) geht davon aus, daß Welt­wahr­neh­mung immer vor­ge­ge­ben sei durch die Rah­men, die unse­ren Blick begren­zen. Begriffs­rah­men erzeu­gen einen  ein­ge­eng­ten Blick, den man von allein nicht ver­las­sen kann. Der Blick von Lin­ken auf Rech­te beinhal­tet eine gan­ze Men­ge voll funk­ti­ons­fä­hi­ger Frames, z. B. die Zen­tral­per­spek­ti­ve auf den Natio­nal­so­zia­lis­mus, »ein­fa­che Lösun­gen für kom­ple­xe Pro­ble­me« zu haben, der »auto­ri­tä­re Cha­rak­ter« der Rech­ten, »Popu­lis­mus«, »Ras­sis­mus«, »völ­ki­sche« Rein­heits­phan­ta­sien usw.

Man kann nie­man­dem sein Frame aus­re­den, weil der­je­ni­ge es ein­fach hat, ohne es zu ken­nen. Er wür­de gar nicht ver­ste­hen, was Meta­kri­tik über­haupt soll, ja wür­de sie in sein Frame ein­bin­den: »Aha, du hast also was dage­gen, daß ich das ›ras­sis­tisch‹ nen­ne, kein Wun­der, du Ras­sist!« Das Fal­sches­te, was man gegen einen lin­ken framebasier­ten Vor­wurf tun kann, ist, sich zu recht­fer­ti­gen, war­um man doch gar kein Nazi, Ras­sist etc. sei. Nützt gar nichts, Frames sind ziem­lich ver­ein­nah­mend – der Gegen­über hät­te gewon­nen, weil man inner­halb sei­ner Leit­me­ta­pher strampelt.

Ref­raming ist die Gegen­stra­te­gie: das Umdeu­ten, Neu­de­fi­nie­ren. Die­se läuft nicht begriff­lich und nie­mals expli­zit. Die Ansa­ge »Las­sen Sie mich das kurz reframen« läßt den Geg­ner tief in das eige­ne Arse­nal hin­ein­schau­en. Nach all­zu schlich­tem  Derai­ling darf es auch nicht ausschauen.

Ein pro­fil-Redak­teur fragt nach der »Ästhe­tik der iden­ti­tä­ren Bewe­gung«, sein Frame ist in etwa: »faschis­ti­sche Ästhe­tik« und »ent­ar­te­te Kunst«. Er fragt: »Wel­che Kunst und Kul­tur ist abzulehnen?«

Ant­wort: »Ästhe­tisch  miß­glück­te  natür­lich. Das bedeu­tet wohl­ge­merkt noch lan­ge nicht, daß man schlech­te Kunst ver­bie­ten soll, genau­so­we­nig aber soll­te sie von inkom­pe­ten­ten Ent­schei­dungs­trä­gern staat­lich geför­dert wer­den. Die Fra­ge hat übri­gens mit der Akti­on der IB im Audi­max der Uni Wien und ihren Absich­ten nur sehr wenig zu tun. Der Pro­test rich­te­te sich schließ­lich nicht gegen etwa­ige ästhe­ti­sche Defi­zi­te des Stücks und sei­ner Inszenierung.«

Er fragt wei­ter: »Was soll mit Tex­ten pas­sie­ren, die  dem  wider­spre­chen?« Ant­wort: »Nichts.« Den unter­stell­ten faschis­ti­schen Frame ins Lee­re lau­fen zu las­sen, einen neu­en Blick­rah­men zu ent­wer­fen (näm­lich die poli­ti­sche Indienst­nah­me von Kunst auf sei­ten der Lin­ken) und auf das Irre­füh­ren­de der Fra­ge­stel­lung hin- zuwei­sen – das ist Ref­raming.

Gas­light­ing

In der Psy­cho­lo­gie wird es als Gas­light­ing bezeich­net, den Gegen­über sys­te­ma­tisch in den Wahn­sinn zu trei­ben. Die­se Meta­pher ent­stammt dem gleich­na­mi­gen Film (dt. Gas­licht) von 1940, in dem ein Ehe­mann sei­ne Frau durch Mani­pu­la­ti­on an ihrer gesam­ten Wirk­lich­keits- und Selbst­wahr­neh­mung nach und nach ins Irren­haus brin­gen will und ihre Juwe­len an sich.

Mei­nem Gegen­über geht es dar­um, Vor­ge­fal­le­nes als Unge­sche­he­nes zu kom­mu­ni­zie­ren (»Wie­so? Es war doch gar nichts!«), mei­ne Wahr­neh­mung kom­plett zu leug­nen (»Das siehst du nur so!«), mir Per­sön­lich­keits­ver­än­de­run­gen ein­zu­re­den (»Irgend­wie kommt es mir vor, als wenn du in letz­ter Zeit …«), bis hin dazu, mei­ne Exis­tenz in Abre­de zu stel­len und nach  und nach tie­fe Unsi­cher­heit zu erzeu­gen, ob mit mir viel­leicht wirk­lich etwas nicht stimme.

Die Main­stream­m­e­di­en betrei­ben auf der poli­ti­schen Ebe­ne flä­chen­de­cken­des Gas­light­ing. Abwei­chen­de Rea­li­täts­wahr­neh­mung wird patho­lo­gi­siert, dif­fa­miert, geleug­net. Der Gro­ße Aus­tausch wird wahl­wei­se fre­ne­tisch begrüßt oder als inexis­tent dar­ge­stellt. »Pro­ble­me« mit der Abschaf­fung der wei­ßen Ras­se wer­den als psy­chi­sche Pro­ble­me von Ras­sis­ten the­ma­ti­siert, mit denen man sich doch bit­te nicht iden­ti­fi­zie­ren möge. »Was du sagst, ist doch krank, Caro­li­ne, das glaubt doch nie­mand außer dir, ich mach’ mir echt Sor­gen, wie du so abrut­schen konn­test.« Das ist kei­ne Gesprächs­füh­rungs­tech­nik mehr, son­dern pure Aggres­si­on, getarnt als Freund­lich­keit. Gas­light­ing ist die lin­kes­te der lin­ken Psy­cho­waf­fen, weil sie jede Argu­men­ta­ti­ons­ba­sis unter­läuft und alles in Fra­ge stellt.

Shit test­ing

Die Shit test theo­ry (etwa: Pöbel­pro­be) stammt aus der »Manos­phe­re« des Inter­nets. Ange­fan­gen hat es mit Dating- und Auf­reiß­tips für Män­ner, davon aus­ge­hend, daß Men­schen bio­lo­gi­sche Wesen sind, die sich erfolg­reich fort­pflan­zen wol­len. Des­halb suchen die ego­is­ti­schen Gene von Frau­en ziel­stre­big nach Alpha­män­nern, ganz egal, was die Gen­der­theo­rie dazu sagt. Frau­en tes­ten Män­ner durch ver­ba­le Angrif­fe auf ihre Männ­lich­keit, auf ihr Frame, sie ver­hal­ten sich bit­chy: zickig, anspruchs­voll, belei­digt oder belei­di­gend. Je nach­dem, wie er reagiert – gefäl­lig oder for­dernd, wan­kend oder un- nach­gie­big, ver­un­si­chert oder gelas­sen – wird er als Alpha oder Beta eingestuft.

Poli­ti­sche Shit  tests funk­tio­nie­ren  nach dem­sel­ben Sche­ma. Da sitzt z. B. ein Mode­ra­tor auf dem Podi­um, der ein­deu­tig bit­chy ist: kei­ne Fra­ge ohne Unter­ton, stän­di­ge Angrif­fe auf den sozia­len Sta­tus, klei­ne Belei­di­gun­gen ad homi­nem, her­ge­hol­te Unter­stel­lun­gen. Wie beim Ref­raming: Durch Recht­fer­ti­gun­gen ver­lie­ren Sie alle Punk­te beim Publi­kum, die Sie bis da- hin auf­ge­baut haben.

Sprin­gen Sie nie­mals über ein Stöck­chen, das man Ihnen hin­hält. Akzep­tie­ren Sie insi­nu­ie­ren­de Fra­ge­stel­lun­gen nicht. Die bes­te Art, mit einem Shit test umzu­ge­hen, ist, ihn ein­fach zu igno­rie­ren. Das geht natür­lich nicht immer. Wenn es nicht geht, dann stim­men Sie ein­fach zu und über­trei­ben den Shit test bis ins Absur­de hin­ein ( Agree and ampli­fy) oder grei­fen zu einer ande­ren Form des  Ref­ramings. Bei­spiel: In einer Flirt­si­tua­ti­on kommt die Frage:

»Hast du schon mal die FPÖ gewählt oder dar­an gedacht, es zu tun?« – »Nein, die ist mir nicht rechts genug!«

Vir­tue signalling

Kein Mensch stellt sich hin und sagt: »Ich bin gut«, son­dern ver­steckt die­se Bot­schaft in indi­rek­ten Aus­sa­gen über sein Han­deln, sei­ne Hand­lungs­al­ter­na­ti­ven (was er Schlim­me­res hät­te tun kön­nen, was ande­re Men­schen tun wür­den etc.) und sei­ne mora­lisch hoch­ste­hen­den Werte.

Tugend­bot­schaf­ten abzu­set­zen (Vir­tue signal­ling) dient nor­ma­ler­wei­se der Befes­ti­gung des eige­nen sozia­len Sta­tus in einer Grup­pe Gleich­ge­sinn­ter. Die Grup­pe fes­tigt ihren mora­li­schen Zusam­men­halt als »wir Guten«, indem sie »die Bösen« defi­niert. Das Sche­ma funk­tio­niert grund­sätz­lich in jeder Grup­pe, links wie rechts. Sich zur inne­ren Sta­tus­fes­ti­gung nach außen zu distan­zie­ren, ist typisch Cuck, rech­te »Distan­ze­ri­tis« ist eben­falls Vir­tue signal­ling.

Vir­tue signal­ling wird spä­tes­tens dann zur erkenn­ba­ren Kriegs­stra­te­gie, wenn die Tugend­haf­tig­keit der Lin­ken sie blind für Empa­thie macht. Offen­bar fällt es so man­chen beson­ders »guten« Lin­ken nicht unan­ge­nehm auf, wie es wirkt, wenn die Tugend­bot­schaf­ten dem Bösen direkt ins Gesicht klat­schen. Der Klar­text des signa­li­sier­ten Guten ist aus­ge­spro­chen gehäs­sig: Leu­te wie dich wol­len wir nicht.

»Enga­ge­ment« oder »Ein­satz« zu beto­nen, ist eine typi­sche Tugend­bot­schaft. Inter­es­sant wird es dann, wenn im sel­ben Atem­zug die Kon­di­tio­nen oder Kon­se­quen­zen mit­ge­nannt wer­den. Die Rhe­to­rik der »Anstän­di­gen« legt sich dadurch sel­ber frei. Nicht mehr und nicht weni­ger soll die­ses Glos­sa­ri­um beför­dern: die Rhe­to­rik der »Anstän­di­gen« frei­zu­le­gen und über­le­bens­wich­ti­ge neue Frames für den Psy­cho­krieg zu liefern.

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

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