Der gewaltlose Clausewitz

Martin Sellner

Martin Sellner ist Kopf der österreichischen Identitären Bewegung.

Das ers­te Mal hör­te ich den Namen Gene Sharp in einer Doku über den Ara­bi­schen Früh­ling. Dar­in wur­de um den US-ame­ri­ka­ni­schen Poli­tik- wis­sen­schaft­ler ein regel­rech­ter Mythos auf­ge­baut. Sein Werk Von der Dik­ta­tur zur Demo­kra­tie soll­te eine Art Blau­pau­se zum fried­li­chen Umsturz dar­stel­len. Wer ist die­ser Gene Sharp, und was ist dran an die­ser rei­ße­ri­schen Behauptung?
Der Mann, der mili­tä­risch klin­gen­de Titel wie Power and Strugg­le oder Gan­dhi Faces the Storm für sei­ne Tex­te wählt, ist erklär­ter Pazi­fist. Gebo­ren 1928, stu­dier­te er Sozi­al­wis­sen­schaf­ten an der Ohio Sta­te Uni­ver­si­ty und wur­de 1968 zum Dok­tor der Phi­lo­so­phie in Oxford pro­mo­viert. Dane­ben ver­brach­te er wegen Wehr­dienst­ver­wei­ge­rung neun Mona­te in Haft und dien­te als Sekre­tär von A. J. Mus­te, einem bekann­ten ame­ri­ka­ni­schen Pazi­fis­ten. Doch Sharp war und ist kein ver­träum­ter Frie­dens­apos­tel. Obwohl er 2009 und 2012 für den Frie­dens­no­bel­preis nomi­niert wur­de, ist sein Den­ken durch­wegs militärisch.

Sharp grenzt sich stets von pazi­fis­ti­schen Uto­pien ab. Er gilt als »Clau­se­witz des gewalt­frei­en Wider­stands«; das erwähn­te Buch Von der Dik­ta­tur zur Demo­kra­tie ver­faß­te er 1993 in Zusam­men­ar­beit mit Robert Hel­vey, einem Oberst der US-Armee. Sharp war der einer der ers­ten, der den gewalt­lo­sen Wider­stand zum Zen­trum sei­ner wis­sen­schaft­li­chen Arbeit mach­te. Auf sei­nem Lehr­stuhl für Poli­ti­sche Wis­sen­schaf­ten an der Uni­ver­si­tät von Mas­sa­chu­setts, den er ab 1972 inne­hat­te, wid­me­te er sich dem Ver­gleich aller bekann­ten gewalt­lo­sen Revo­lu­ti­ons­be­we­gun­gen. Als er ihre Struk­tu­ren und Prin­zi­pi­en destil­liert hat­te, grün­de­te er 1983 die »Albert Ein­stein Institution«.
Die Kern­the­se sei­ner Arbeit: Gewalt­lo­ser Wider­stand ist effek­ti­ver, um Dik­ta­tu­ren zu Fall zu brin­gen. Die Mili­tär­stra­te­gin Eri­ca Cheno­veth hat das mitt­ler­wei­le in einer wis­sen­schaft­li­chen Stu­die bestä­tigt: Im Unter­su­chungs­zeit­raum von 1900 bis 2006 waren gewalt­lo­se poli­ti­sche Bewe­gun­gen dop­pelt so erfolg­reich wie mili­tan­te Gegenparts.
Das legen­dä­re Buch Sharps ist in 30 Spra­chen über­setzt wor­den. Es hat in einer beacht­li­chen Welt­tour­nee von Ser­bi­en über Geor­gi­en, Ukrai­ne und Weiß­ruß­land bis nach Kai­ro sei­ne Spu­ren hin­ter­las­sen. Das von den USA finan­zier­te und unter­stütz­te »CANVAS Insti­tu­te« orga­ni­siert welt­weit Vor­trä­ge und schult Akti­vis­ten auf­bau­end auf Sharps Ideen. Die Demons­tran­ten am Tahir-Platz schwo­ren dar­auf, DDR-Dis­si­dent Gerd Pop­pe beteu­ert, wie sehr ihn das ins Land geschmug­gel­te Buch inspi­riert hat, und sogar die Mus­lim-Bru­der­schaft bot über­setz­te Tex­te zum Down­load an. Ein »Revo­lu­ti­ons-Fran­chise« nennt die ZEIT das.
Das Lese­er­leb­nis, an das mich Sharps Tex­te erin­ner­ten, war Lenins Was tun? Genau wie Lenin hef­tet er sich an die Fähr­te der Macht. »Anders als Uto­pis­ten«, so lei­tet Sharp sein Buch Power and Strugg­le ein, »ver­su­chen die Ver­tre­ter der gewalt­lo­sen Akti­on nicht, die Macht zu ›kon­trol­lie­ren‹, indem sie sie abschaf­fen oder ableh­nen.« Sie wol­len sie ergrei­fen! Alle Macht ist für Sharp »sozia­le Macht«, also die Fähig­keit, das Ver­hal­ten ande­rer direkt oder indi­rekt zu beein­flus­sen. Poli­ti­sche Macht sei ledig­lich ein Son­der­fall, der sich durch sei­ne Ziel­set­zung unterscheide.

Macht kön­ne, so lau­tet Sharps The­se, am bes­ten über ihre Quel­len kon­trol­liert wer­den, von denen er sechs auf­lis­tet: Auto­ri­tät, mensch­li­che Res­sour­cen, deren Fer­tig­kei­ten, unsicht­ba­re Fak­to­ren (wozu er die herr­schen­de Ideo­lo­gie zählt) sowie mate­ri­el­le Res­sour­cen und Sanktionen.

Kor­re­spon­die­rend zählt er sie­ben Grün­de auf, aus denen Men­schen gehor­chen. Sie tun es aus Gewohn­heit, Angst vor Sank­tio­nen, mora­li­schem Pflicht­ge­fühl, Eigen­in­ter­es­se, Iden­ti­fi­ka­ti­on mit dem Herr­scher, Gleich­gül­tig­keit (die soge­nann­te »Zone of Indif­fe­rence«) oder Man­gel an Selbst­ver­trau­en. All die­se Fak­to­ren, das ist Sharps zen­tra­les Argu­ment, kön­nen nicht vom Staat kon­trol­liert wer­den. Die Koope­ra­ti­on der Bevöl­ke­rung gilt es, durch orga­ni­sier­te und sicht­ba­re »Nicht­teil­na­me« zu erset­zen. So trock­net man alle Quel­len der Macht aus und bringt die Grün­de des Gehor­sams ins Wanken.

Ab einer gewis­sen Stär­ke der Oppo­si­ti­on blei­ben nach Sharp nur noch vier Mög­lich­kei­ten für das Sys­tem übrig: »Con­ver­si­on, accom­mo­da­ti­on, coer­ci­on, or dis­in­te­gra­ti­on«, also Anpas­sung, Ent­ge­gen­kom­men, Zwang oder Auf­lö­sung. Es über­nimmt die Ideen und For­de­run­gen der Revo­lu­tio­nä­re oder es zerfällt.

Die Stei­ge­rung der »Peo­p­le Power« und der Nicht­ko­ope­ra­ti­on geschieht durch den »gewalt­lo­sen Zwang«, der den Unmut sicht­bar macht und den Geg­ner aus der Reser­ve lockt. Sharp lis­tet fol­gen­de Kate­go­rien gewalt­lo­ser Kampf­mit­tel auf:

  1. Gewalt­lo­ser Pro­test und »Über­re­dung« (durch Kund­ge­bun­gen, Pro­test­mär­sche, Mahn­wa­chen, Aktio­nen, Theater );
  2. Non­ko­ope­ra­ti­on in Form gesell­schaft­li­cher und poli­ti­scher Nicht­zu­sam­men­ar­beit (Äch­tung von Per­so­nen im pri­va­ten Umfeld, Rück­zug aus sozia­len Insti­tu­tio­nen, Wahl­boy­kot­te, zivi­ler Unge­hor­sam) und wirt­schaft­li­cher Ver­wei­ge­rung (Boy­kot­te, Streiks, etc.);
  3. gewalt­lo­se Inter­ven­ti­on (rasche, gewalt­lo­se Beset­zun­gen, Sitins, Hun­ger­streiks, sym­bo­li­sche Inbe­sitz­nah­men bis hin zu Ein­set­zun­gen von Parallelregierungen).

Das Arse­nal an Tech­ni­ken dient dem Zweck, die Auto­ri­tät des Sys­tems zu schwä­chen sowie die Qua­li­tät und Quan­ti­tät des Wider­stands auf­zu­bau­en. Bezo­gen auf die oben auf­ge­lis­te­ten Fak­to­ren poli­ti­scher Macht bedeu­tet das, mit­tels öffent­li­cher Aktio­nen die Leu­te aus ihrer Gewohn­heit und Gleich­gül­tig­keit zu rei­ßen, ihnen durch nie­der­schwel­li­gen Mas­sen­ak­ti­vis­mus und Soli­da­ri­tät die Angst vor Repres­si­on zu neh­men und ihnen durch Etap­pen­sie­ge Selbst­ver­trau­en zu geben.

Die Öffent­lich­keit und Gewalt­frei­heit des Vor­ge­hens ist dabei essen­ti­ell. Sharp nennt das »gewalt­lo­se Dis­zi­plin« und pre­digt sie, inspi­riert von Gan­dhi, als eine rit­ter­li­che Tugend. Nur das gewalt­lo­se, nie­der­schwel­li­ge und im bes­ten Fal­le humor­vol­le Vor­ge­hen der Akti­vis­ten ist für die Mas­se anschluß­fä­hig. Die tota­le Trans­pa­renz beugt der Iso­lie­rung vor und ermög­licht sogar, die Wir­kung der Repres­si­on umzu­keh­ren. Als »Clau­se­witz« der gewalt­lo­sen Akti­on ent­wirft Sharp einen Stu­fen­plan zur Anwen­dung die­ser Mit­tel in zwei Pha­sen. Die »Disper­si­ons­pha­se« dient der Eva­lu­ie­rung und dem Auf­bau des eige­nen Potentials.

In ihr über­wie­gen geziel­te klei­ne Aktio­nen und Inter­ven­tio­nen, die sich an klei­ne­ren Sym­pto­men und Rand­the­men des Sys­tems abar­bei­ten; er nennt das »selek­ti­ven Wider­stand«. Die­se Schrit­te mün­den in eine »Kon­zen­tra­ti­ons­pha­se«, in der, von den Farb­re­vo­lu­tio­nen lehr­buch­ar­tig vor­ge­führt, eine fried­li­che Platz­be­set­zung die fina­le For­de­rung stellt.

Sharps Duk­tus wird hier zuneh­mend mili­tä­risch. Er unter­schei­det eine »Grand Stra­tegy«, deren fina­les Ziel der Macht­wech­sel ist, von der Stra­te­gie, die über ein­zel­ne Kam­pa­gnen Zwi­schen­zie­le im Gesamt­kon­zept anvi­siert. Das Lehr­buch zum fried­li­chen Umsturz, das Sharp unter ande­rem 2012 den alter­na­ti­ven Nobel­preis ein­brach­te, beinhal­tet eine Prüf­lis­te zur Aus­ar­bei­tung einer »Grand Stra­tegy«: Wel­che Macht­quel­len der Dik­ta­tur sind am anfäl­ligs­ten? In wel­chen Grup­pen gibt es die größ­te Bereit­schaft zum öffent­li­chen Wider­stand? Wel­che selek­ti­ve Kam­pa­gne eig­net sich zum Start des Widerstands?

Aus der Beant­wor­tung die­ser Fra­gen und nach Ein­schät­zung der eige­nen Mit­tel und Kräf­te ergibt sich eine lang­fris­ti­ge »Grand Stra­tegy«, in der gestaf­fel­te Kam­pa­gnen inein­an­der­grei­fen, bis die »Peo­p­le Power« am Zenit und das Ziel erreicht ist. Sharps Lek­tü­re hat für Akti­vis­ten  eine gera­de­zu kathar­ti­sche Wir­kung! Wel­che Art von Stra­te­gie ver­fol­gen wir durch unse­re eige­nen Aktio­nen? Haben wir über­haupt eine? Das einen­de Band, das tau­sen­de Home­pages, Vide­os, Aktio­nen, Kurz­kam­pa­gnen, Geld­spen­den, Haus­pro­jek­te, Bücher, Lie­der und Schu­lun­gen zu einem ein­zi­gen Zug ver­bin­det, fehlt fast immer. Sharp macht die­ses Feh­len schmerz­lich bewußt.

Sei­ne Ana­ly­sen bezie­hen sich zwar auf Mili­tär­dik­ta­tu­ren, wes­we­gen ein Groß­teil der Fak­to­ren, Aktio­nen und Zie­le auf die Situa­ti­on bei uns nicht über­trag­bar sind. Die Grund­struk­tur trifft jedoch zu: Ein­wan­de­rungs- und Islam­kri­ti­ker sind eine ver­spreng­te, unor­ga­ni­sier­te und ver­fem­te Oppo­si­ti­on, die sich einem tota­li­tä­ren Appa­rat gegen­über­sieht, der ihr das poli­ti­sche Exis­tenz­recht abspricht. Unse­re Akti­vis­ten kämp­fen jedoch nicht gegen, son­dern »um« den Staat. Unser Kampf­feld ist fast aus­schließ­lich das, was Sharp die »unsicht­ba­ren Fak­to­ren«  nennt,  es ist die kul­tu­rel­le Hege­mo­nie im Sin­ne Anto­nio Gramscis.

Das Schlacht­feld, auf das sich Sharps Plan gut über­tra­gen läßt, wäre die Meta­po­li­tik. Sein Kon­zept ist die fol­ge­rich­ti­ge Ergän­zung zu Alain de Benoists Gramsci-Rezep­ti­on. Sharps Modell ist strin­gent und prag­ma­tisch. Es hat wenig poli­tik­wis­sen­schaft­li­che Tie­fe, son­dern will funktionieren.

Die meis­ten der Bewe­gun­gen, auf die Sharp rekur­riert oder die er mit­an­ge­sto­ßen hat, sind im wei­tes­ten Sin­ne »links«. Sie fügen sich – von Gan­dhi, über Mar­tin Luther King bis hin zum Tahir-Platz – in das vom uni­ver­sa­lis­ti­sche Nar­ra­tiv der Eman­zi­pa­ti­on. Sofern es gegen »den Wes­ten« geht, ist eine tem­po­rär befrei­ungs­na­tio­na­lis­ti­sche Rich­tung durch­aus vor­ge­se­hen. Der Flucht­punkt all jener Bewe­gun­gen ist jedoch immer die »ver­ein­te Mensch­heit«; ihre Bezugs­grö­ße ist das Indi­vi­du­um. Alles, was sich die­sem Fort­schritt  und  Glo­ba­li­sie­rungs­pro­zeß ver­wei­gert und sei­ne kon­kre­te Iden­ti­tät behaup­tet, wird tra­di­tio­nell als »Dik­ta­tur« diffamiert.

Sharp und sei­ne Jün­ger über­neh­men die­sen Jar­gon unkri­tisch. Auch die Anwen­dung ihrer Tech­ni­ken im Wes­ten wird von CANVAS nur für lin­ke »eman­zi­pa­to­ri­sche« Zie­le der tota­li­tä­ren Gleich­heit und Grenz­öff­nung anemp­foh­len. Daß Kon­ser­va­ti­ve die­se Tex­te für sich ent­de­cken könn­ten, kam ihnen wohl eben­so­we­nig in den Sinn wie Gramsci, als er sei­ne Gefäng­nis­hef­te ver­faß­te.

Für mich bün­delt sich der schein­ba­re Wider­spruch zwi­schen einem kon­ser­va­tiv-revo­lu­tio­nä­ren Ziel und einer »lin­ken« Wider­stands­me­tho­de in zwei Fragen:

  1. Ist die Wider­stands­tech­nik nur als vom Wes­ten finan­zier­ter Regime chan­ge umsetz­bar?
  2. Ist Sharps Metho­de intrin­sisch und ideen­ge­schicht­lich »links«?

Die ers­te Fra­ge ist leich­ter zu beant­wor­ten. Zwar bezieht sich Sharp immer wie­der auf die »Unter­stüt­zung inter­na­tio­na­ler Bewe­gun­gen« durch die Welt­öf­fent­lich­keit. Aber nie ist die­ser Fak­tor eine Con­di­tio sine qua non. Im Gegen­teil: Es unter­schei­det den gewalt­lo­sen Wider­stand gera­de von extre­mis­ti­schen, para­mi­li­tä­ri­schen Grup­pen, daß er (jeden­falls im bes­ten Fall) ohne aus­län­di­sche Unter­stüt­zung exis­tie­ren kann. Sei­ne Offen­heit und Anschluß­fä­hig­keit kön­nen ihn unab­hän­gig machen: Sei­ne Basis ist die Mas­se. Daß selbst die CIA die Tech­ni­ken Sharps anwen­det, ist kein Ein­wand gegen sie, son­dern ein Beweis für ihre Wirk­sam­keit. Da in unse­ren west­li­chen Mei­nungs­dik­ta­tu­ren die Repres­sio­nen ver­gleichs­wei­se harm­los, die Meta­po­li­tik dyna­misch, ver­netzt und kom­plex und die Wider­stands­mög­lich­kei­ten zahl­reich sind, ist die Erfolgs­be­din­gung eine ande­re als in Mili­tär­dik­ta­tu­ren. Unse­re »Grand Stra­tegy« ist kein Regime chan­ge, son­dern ein Opi­ni­on chan­ge, ein Mei­nungs­um­schwung, der durch Sharps Tech­ni­ken mit wesent­lich gerin­ge­rem Auf­wand erzielt wer­den könnte.

Die zwei­te Fra­ge stellt uns vor eine grö­ße­re Her­aus­for­de­rung. An kei­nem Punkt appel­liert Sharp in den stra­te­gi­schen Schrif­ten (nur auf die bezie­he ich mich) dezi­diert an den lin­ken Uni­ver­sa­lis­mus. Er bejaht die Demo­kra­tie – doch das tat Carl Schmitt auch. Anders als Schmitt ver­steht Sharp dar­un­ter aller­dings nicht nur eine Fra­ge der Legi­ti­ma­ti­on und Homo­ge­ni­tät, son­dern die Exis­tenz von Oppo­si­ti­on und vom Staat unab­hän­gi­ger sozia­ler Grup­pen, also einen Plu­ra­lis­mus. Er sieht die­se NGOs aber weni­ger als Agen­ten des Glo­ba­lis­mus, son­dern als Immun­sys­tem eines Vol­kes. Ich den­ke, daß man bei Sharp die Metho­de klar von lin­ken Inten­tio­nen tren­nen kann.

Sharps Tech­ni­ken zie­len ganz neu­tral auf Desta­bi­li­sie­rung einer mono­li­thi­schen Ord­nung durch gesell­schaft­li­chen Plu­ra­lis­mus ab. Ist das per se »links«? Geht man von einer schick­sal­haf­ten Invo­lu­ti­on der Welt­ge­schich­te und dem not­wen­di­gen Sieg des letz­ten Men­schen aus, so wäre  es denk­bar, Sharps sub­ver­si­ve Metho­den an sich als Gefahr für den Kat­echon zu betrach­ten. Dann ist Akti­vis­mus aber an sich  abzu­leh­nen. Sieht man aller­dings die heu­ti­ge »Ord­nung« als ein »Sys­tem gewor­de­nes Cha­os« (Alex­an­der Dugin) und glaubt an in die Mög­lich­keit einer kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on, gibt es auch Raum für Sharps Methoden.

Erkennt man den Zusam­men­hang zwi­schen tota­lem Staat und Moder­ne sowie die Wahl­ver­wandt­schaft von Uni­ver­sa­lis­mus, Ega­li­ta­ris­mus und Pro­gres­sis­mus mit dem Tota­li­ta­ris­mus, so ist Are­ndts Kri­tik an die­sem eben­so­we­nig »links« wie Sharps Leit­fa­den zu sei­ner Über­win­dung. Dem Uni­ver­sa­lis­mus der »Eman­zi­pa­ti­on«, die auf betriebs­blin­der Auf­klä­rung und ver­al­te­ten Ideo­lo­gien auf­baut, kann ein eth­no­plu­ra­lis­ti­scher Frei­heits­kampf ent­ge­gen­ge­setzt werden.

Die inten­dier­te Abschaf­fung des Poli­ti­schen durch die Glo­ba­lis­ten bedeu­tet tat­säch­lich eine Wuche­rung der Kon­troll­me­cha­nis­men und den Über­gang zu einer Erzie­hungs­dik­ta­tur. Gera­de die Demo­kra­tie in ihrer direk­ten Form wird den Eli­ten daher immer suspek­ter. Darf unser Kampf dabei auch krea­tiv, sub­ver­siv, ja »post­mo­dern« geführt wer­den, wie sich das heu­te in iden­ti­tä­rem Stra­ßen­thea­ter und Demos der US-ame­ri­ka­ni­schen Alt­Right-Bewe­gung abzeich­net? Ja! Wie sag­te Wal­ter Benjamin?

»Daß es ›so wei­ter‹ geht, ist die Katastrophe.«

Tat­säch­lich haben die Eli­ten der Mei­nungs­dik­ta­tu­ren der­zeit nur eines im Sinn: die »Ruhe« auf­recht­zu­er­hal­ten. Und damit mei­nen sie ihre Macht. Es soll kon­su­miert, gear­bei­tet und gefei­ert wer­den. Ter­ror­an­schlä­ge und Unru­hen sol­len als Teil des All­tags akzep­tiert wer­den. The show must go on. Die schwei­gen­de Mehr­heit wird durch Angst und Iso­la­ti­on in eine Art digi­ta­les Bie­der­mei­er gedrängt, wäh­rend jeder Dis­si­dent mit der Aura des Extre­mis­mus, der Gewalt und des Obsku­ren ver­se­hen wird. Vor nichts müs­sen sich die heu­ti­gen Funk­ti­ons­eli­ten so sehr fürch­ten wie vor einer offe­nen, trans­pa­ren­ten und gewalt­lo­sen Bewe­gung, die allein die­se emo­tio­na­le Bar­rie­re ein­rei­ßen kann. Wie man die­se auf­baut, kann man bei Gene Sharp ler­nen. Das schöns­te dar­an ist: Man kann das alles völ­lig offen tun.

Des­we­gen muß die Bewe­gung auch kei­ne Angst vor Ver­bot und Beob­ach­tung oder gar dem Leak von »Inter­na« haben. Die »Stra­te­gie« ist es, die lega­len und gebo­te­nen Mit­tel der Demo­kra­tie gegen jene anzu­wen­den, die sich fälsch­li­cher­wei­se zu ihren Allein­ver­tre­tern gemacht haben. Unse­re Pro­gram­me, unse­re Inhal­te, unse­re Hal­tun­gen dür­fen und sol­len an die Öffent­lich­keit, die wir uns Akti­on für Akti­on, Kam­pa­gne für Kam­pa­gne zurück­er­obern wol­len. Daß uns ein  »lin­ker«  Theo­re­ti­ker wie Sharp dabei eben­so inspi­riert wie »lin­ke« Akti­ons­for­men von Green­peace, ist ein Wider­spruch, der nicht auf uns, son­dern auf den lin­ken Uni­ver­sa­lis­mus zurück­fällt. Um sein Pro­jekt der glo­ba­len Eman­zi­pa­ti­on durch­zu­set­zen, muß er nach außen und innen immer dik­ta­to­ri­scher wer­den. Zum Vor­ge­hen gegen die­se lin­ke Erzie­hungs­dik­ta­tur muß Sharps »Leit­fa­den zur Befrei­ung« nicht von uns ver­ein­nahmt wer­den – er wur­de für uns geschrieben.

Martin Sellner

Martin Sellner ist Kopf der österreichischen Identitären Bewegung.

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