Dem russischen Dichter Dostojewski wird der Satz zugeschrieben: »Geld ist geprägte Freiheit.« Heute muß man daraus »Bargeld« machen, um den Sinn des Spruches zu wahren. Wie so viele Themen taugt auch eine Diskussion um ein mögliches Bargeldverbot vortrefflich zur Polarisierung, denn für die einen ist es der nächste Großangriff auf unsere Freiheiten, für die anderen eine Verschwörungstheorie. Betrachtet man die politische Arena, so ist das Thema gar keines. Es gibt keine ernstzunehmende Gruppe oder Partei, die Einschränkungen des Bargeldverkehrs oder gar ein vollständiges Verbot fordern würde. Gleichwohl gibt es belastbare Indizien.
1. Die EU-Initiative zur Einschränkung von Bargeldzahlungen: Am 23. Januar diesen Jahres wurde durch die EU-Kommission ein Papier zum »Impact Assessment«, also der Folgenabschätzung einer legislativen Initiative der EU- Kommission für 2018 veröffentlicht. Der Titel ist wenig zweideutig: Proposal for an EU initiative on restrictions on payments in cash. Das heißt, auf EU-Ebene ist bereits heute das Gesetzgebungsverfahren zur Beschränkung von Barzahlungen angelaufen.
2. Die akademische Diskussion: Mit Kenneth Rogoff, Larry Summers und in Deutschland Peter Bofinger haben sich prominente Köpfe der Ökonomenzunft bereits eindeutig für ein Bargeldverbot ausgesprochen. Man kann dies durchaus als intellektuelles Vorbereitungsfeuer verstehen, damit beim nächsten Aufflammen einer der diversen krisenhaften Schwelbrände die Argumente für eine solche Maßnahme vorlägen.
3. Bereits gültige Bargeldeinschränkungen: Bargeldbeschränkungen sind in Europa die Regel. Osteuropa (ohne das Baltikum), ganz Südeuropa sowie Südosteuropa (ohne Slowenien) haben unterschiedliche gesetzliche Höchstgrenzen für Bargeldzahlungen eingeführt. Skandinavien und die britischen Inseln haben zwar de jure keine Beschränkungen, de facto aber sehr wohl, da Bargeld teils gar nicht mehr akzeptiert wird. Im vergangenen Jahr wurde entschieden, 500-Euro-Scheine aus dem Verkehr zu ziehen. Weiterhin sind mit Anti-Geldwäsche-Paketen der EU bereits heute in bestimmten Branchen Zahlungen über 15.000
Euro reguliert, und ab Sommer 2017 werden ab der 10.000-Euro-Grenze besondere Aufzeichnungspflichten gelten.
Als Argumente für Bargeldbeschränkungen können zwei generelle Leitmotive unterschieden werden. Einerseits wird die Bekämpfung von Steuerhinterziehung (inklusive Schwarzarbeit), Geldwäsche und Terrorfinanzierung angeführt. Diese Argumente haben – analog des Arguments der Kinderpornographie im Internet – das Kaliber eines Totschlagarguments, da sich niemand für Steuerhinterziehung oder Terrorfinanzierung einsetzen wird. Es bleibt vor allem die Frage nach Effektivität und Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen.
Eine Bargeldabschaffung könnte der schwarzbezahlten Putz- oder Gartenhilfe den Garaus machen, aber zu erwarten, daß beispielsweise die kriminelle Energie bei der Hinterziehung von Steuern und Sozialbeiträgen etwa bei großen Bauprojekten verschwände, grenzt an Naivität – von Terrorfinanzierung ganz zu schweigen. Solche Täter werden neue Wege suchen und finden. Diverse Kryptowährungen mit hoher Integrität, deren populärster Vertreter Bitcoin ist, ermöglichen bereits heute, Zahlungsvorgänge im Internet völlig virtualisiert, anonym und bankenunabhängig durchzuführen: ein Alptraum für Staaten und Finanzregulatoren.
Die zweite, vermutlich entscheidendere Argumentationslinie ist die ökonomische. Rogoff und Co. argumentieren mit der Lage an den Geldmärkten, die durch die Negativzinspolitik der Notenbanken gekennzeichnet ist. Negative (Einlage-)Zinsen der EZB und Käufe von Staatsanleihen sollen zu Krisenbekämpfung und Wirtschaftsgesundung beitragen. Der unmittelbare Nutzen für alle Schuldner – und damit insbesondere die hochverschuldeten Staaten – sind sinkende Zinskosten. Das verhilft den Staaten zu Spielräumen für andere Staats- ausgaben, um die Konjunktur zu unterstützen oder das Wohlwollen der Wähler zu erkaufen. Den Banken als Verkäufern der Anleihen fließt direkt Geld zu, und dank der gesunkenen Zinsen können sie Kursgewinne vereinnahmen, die das Eigenkapital stärken.
Gleichzeitig müssen sie für die Anlage ihrer Reserven bei der EZB nun zahlen, da diese Zinsen negativ sind. Die-Kreditvergabe setzen.
Während dieser Mechanismus das Kreditangebot vergrößert, wirken sinkende Zinsen auch auf die Kreditnachfrageseite. Als Opportunitätskosten sind die risikolosen Marktzinsen auch der Maßstab für Investitionsentscheidungen. Bei Marktzinsen von fünf Prozent ist ein Projekt mit drei Prozent Renditeerwartung nicht interessant, bei einem Prozent Marktzins jedoch sehr wohl, so daß sich Anzahl und Umfang von Investitionen erhöhen sollten. Außerhalb des Immobiliensektors, der auch durch tatsächliche Nachfrage angetrieben wird, haben sich jedoch keine wahrnehmbaren realwirtschaftlichen Wachstumsimpulse durch die Niedrigzinspolitik ergeben.
Das »Wohin mit den Reserven?«-Problem der Banken wurde so groß, daß mehrere Groß- banken die Einlagerung von Bargeld evaluierten, um den Strafzinsen der Zentralbank zu entgehen. Dieser Möglichkeit zur Bargeldhortung
ist nach Kenntnis des Autors keine Großbank gefolgt, aber die Existenz dieses »Notausgangs« limitiert die Höhe der Negativzinsen. Sobald ein bestimmter Wert überschritten ist, lohnt sich Bargeldhortung, sowohl für Banken als auch Unternehmer und Privatleute, und dadurch könnte ein erheblicher Teil des Geldes aus dem Zugriff der Zentralbanken fliehen.
Dem steht in »normalen Zeiten« jedoch die Inflation, also die Geldentwertung, entgegen. In den letzten Monaten konnte die Inflation dank steigender Energiepreise ein kleines Comeback feiern und nähert sich der vom ehemaligen Höchstwert zum Zielwert für Geldwertstabilität mutierten Zweiprozentmarke. Inflation macht aus unverzinslichem Bargeld unversehens Schwundgeld. Daß Inflation einen Anti-Bargeld-Anreiz setzt, läßt sich – noch – mit überschaubarem Aufwand und Risiko lösen, nämlich mit Gold. Über das Scharnier Bargeld ist es nämlich weiterhin möglich, anonym Gold zu erwerben, und erfahrungsgemäß entwickelt sich der Goldpreis in Zeiten hoher Inflationsraten, und damit auch hohen Wertverlust des Bargelds, sehr gut.
Allerdings sind die Goldpreisschwünge und das damit einhergehende Verlustrisiko selbst teils viel höher als die schleichende Entwertung des Bargeldes durch Inflation. Gold ist also vor allem eine Versicherung gegen Systemversagen oder Systemwillkür.
Bei letzterem Punkt ist zu beachten: Bargeldhortung ist nur sinnig, wenn es sich im Bedarfsfall auch wieder in Verkehr bringen läßt. Daß Staaten bei entsprechender Interessenlage zu rücksichtslosen Maßnahmen fähig sind, zeigt nicht zuletzt das Beispiel Indiens, wo im vergangenen November mal eben 80 Prozent des umlaufenden Bargelds für wertlos erklärt wurden. Der Werterhalt war nur durch Einzahlung auf ein Bankkonto, also unter Preisgabe jeglicher Anonymität, möglich.
Die Schließung des »Notausgangs Bargeld« liefert Bürger und Unternehmen willkürlichem Vermögensentzug und Besteuerung völlig aus. Aber da bereits heute der übergroße Teil des Vermögens ja gerade nicht in Bargeld angelegt ist, sondern in Immobilien oder »Papiervermögen« in Form von Aktien‑, Anleihedepots, Lebensversicherungen oder ähnlichem, unterliegen all diese Formen von Vermögen ohnehin dem Zugriff des Staates, so daß der tatsächliche Effekt durch eine mögliche Bargeldabschaffung vermutlich gering wäre. Fundamentaler sind da die tagtäglichen Veränderungen. Wo heute aus Sicht des
»Großen Bruders« am Geldautomaten das große Dunkelfeld beginnt, könnte zukünftig jeder Zahlungsempfänger ermittelt werden.
Das mag ja beim Supermarkt noch angehen, aber die Frage, ob das Geld in Richtung Speis und Trank, sprich Kneipe oder Restaurant fließt, könnte perspektivisch nicht nur die Terrorabwehr, sondern auch die Krankenkasse interessieren. Durch Speichern und Auswerten der Orte der
Transaktionen entsteht weiterhin ein umfassendes Bewegungsprofil. Vergessen wir jedoch nicht, daß viele heutzutage durch ihre Mobiltelephone sehr viel detailliertere Spuren hinterlassen. Auch Bahnfahrkarten am Automaten oder Tankstellenrechnungen per EC- oder Kreditkarte zu begleichen, macht ein bißchen gläserner.
Diese Transparenz ist nur das eine. Die Bewegungsfreiheit politisch unliebsamer Personen einzuschränken, wäre das zweite, das viel krassere: Was, wenn mit der Kreditkarte plötzlich nicht mehr geflogen, getankt und mit der Bahn gefahren werden könnte, weil man zu jener Gruppe gerechnet würde, die die Verfassung in Frage stellte? Mit Bargeld in der Tasche wäre diese Form der Gängelung nicht möglich.
Abschließend sei noch darauf verwiesen, daß es ernstzunehmende Organisationen gibt, die in Bargeldbeschränkungen großes Gefahrenpotential sehen und mit Informationskampagnen dagegenhalten. Stellvertretend sei hier auf die IHK Gießen-Friedberg verwiesen, die mit Aufklebern, Veranstaltungen und auf ihrer Internetpräsenz Aufklärungsarbeit leistet.
Nur für den Fall, daß doch irgend jemand die Absicht hat …