Nach der Wahl ist vor der Wahl! Die Christdemokraten haben es zumindest plakattechnisch leicht: Das mild-sorgende Antlitz der Hauptkandidatin altert schon seit vielen Jahren nicht, und »erfolgreich« ist – wie »Deutschland« – bekanntlich ein extrem dehnbarer Begriff: Man kann so oder so viel reinpacken.
»Der beste Platz für Politiker ist das Wahlplakat. Dort ist er tragbar, geräuschlos und leicht zu entfernen«. Himmelhilf, er hat »entfernen« gesagt und »Politiker« gemeint! Anno dazumal, jedenfalls zu Lebzeiten Loriots, ging ein derart flotter Spruch so durch. Google findet keine Treffer, die Loriot und »gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« beinhalten.
Man weiß nicht recht, was man von Wahlplakaten halten soll. Haben sie je eine Wahlentscheidung beeinflußt? Über 50 Millionen Euro sollen in diesem Wahlkampf allein in Plakate geflossen sein. Hat eigentlich mal jemand (den Finanzmittelverbrauch mal außer acht gelassen – was könnte man mit 50 Millionen »sonst so« finanzieren?) den »ökologischen Fußabdruck« dieses Aufwands berechnet?
Sind Kugelschreiber mit Parteienlogo wirksamer? Luftballons? Kondome? Die Demoskopie weiß davon wenig. Es gibt keinen Bürger, der bekennte: »Als ich Frau Müllers nettes Gesicht zum siebten Mal lächeln sah, wußte ich, wo ich mein Kreuzchen zu machen habe. Beim vierten Plakat war ich mir noch unsicher.« Was bewirken dingliche Kundgebungen, Zeichensetzungen im öffentlichen Raum? Zum Graffiti-Phänomen hatte man gesagt, das seien Reviermarkierungen. Gleich einem Hund, der sein Bein hebt, werde damit angezeigt: Achtung! Mein Kiez! Hier ist der Bereich, in dem ich etwas gelte!
In Gebieten, wo Besitzlose und Habenichtse sich drängen, im urbanen Bereich also, gibt es daher viele Parolen, in Form von Schriftzügen, Aufklebern. Auf Großstadtampelmasten wird politisiert, daß die Schwarte kracht. Offenkundig zeitigt die wilde Aufkleberei einen gewissen Effekt. Wir alle kennen Irmela Mensah-Schramm, spätestens jedenfalls, seit ihre nun schon dreißig Jahre währende Tätigkeit in einer Ausstellung im Deutschen Historischen Museum gewürdigt wurde.
Die 72jährige »junggebliebene Frau in Cargo-Pants und Trekking-Sandalen« (Badische Zeitung) hat wegen ihres Aufkleberentfernungstreibens und ihrer Übersprühungsaktionen schon Dutzende Anzeigen wegstecken müssen. Auch eine Kniescheibe hat sie sich gebrochen – als sie in einen Einkaufswagen stieg, um an einen Aufkleber an einer Supermarktwand zu kommen. Sie hält »rechte Parolen« im öffentlichen Raum für wirksam und gefährlich.
Könnte was dran sein: Anders als linke Sprüche richten sich »rechte« Botschaften an eine öffentlich marginalisierte und stigmatisierte Gruppe. Solche Aufkleber signalisieren:
»Du bist nicht allein! Wir sind viele!«
Hier nun geht es um dieses Großplakat, das ohne Namensnennung der Porträtierten auskam. »Erfolgreich für Deutschland. CDU«. Klar, es ist Frau Merkel, das erkennen wir trotz Weichzeichner, trotz der widernatürlich angehobenen Mundwinkel und trotz der hochironischen Pose, »für Deutschland« zu sein.
Aber – Moment mal! Ich bin mit Kindern unterwegs von Schnellroda nach Naumburg. Kurz hinter Freyburg an der Unstrut fahren wir in einen Kreisel. Ein Abzweig führt in einen noch nie besuchten Stadtteil mit geheimniskrämerischem Ortsschild: »Die Gieren«. Wer giert? Nach was? Häuser sind nicht zu sehen. Das Internet schweigt sich aus über den seltsamen Namen. Die direkt umgebenden Gemarkungen tragen ebenfalls Bezeichnungen, die man im Herr der Ringe verorten möchte: »Tote Täler«, »Schweigeberge«. Rätselhaftes Land.
Zwischen den Kreiselabfahrten Richtung Naumburg und »Die Gieren« hatte die CDU zur Bundestagswahl nun ein Plakat mit dieser über- lebensgroßen Bundeskanzlerin aufgestellt. (Kostenfaktor: knapp 500 Euro – man google einmal »Kosten Grenzzaun«.)
Die Kinder geben ihrem Staunen Ausdruck:
»Fahr noch mal rum! Was ist das für ein dämonischer Blick? Das gibt’s doch nicht! Das muß doch jeder sehen, wie teuflisch die guckt!« In der Tat. Die markanten Einkerbungen im Merkelgesicht (die in der Schönheitsmedizin tatsächlich »Marionettenfalten« heißen) haben sie weggefiltert, auch anderes wurde retuschiert. Aber wie konnte den Plakatdesignern dieser stechende Blick entgehen? Es war mir selbst nie aufgefallen, dieses geradezu zombiehafte Erscheinungsbild! Gut, wir kreiseln noch eine Runde. Halten vor dem Plakat. Aaah! Das ist es! Da waren Bengel zugange, die in beide Merkelpupillen ein identitäres Lambda geklebt haben! Und die Stikker paßten offenkundig genau! Was für ein Effekt! Genial!
Später der Rückweg nach Schnellroda, wieder der Kreisel. Ein Auto steht da, eine Frau hält ihr Telephon aus dem Fenster und photographiert. Wer waren die Plakattäter? Gut: 23,4 Prozent der Stimmen gingen in diesem Wahlkreis an die AfD, man konnte es ahnen. Aber: Gäbe es eine identitäre Gruppe in Freyburg, wüßten wir davon. Es muß da ein subversiver Einzeltäter unterwegs gewesen sein. Du bist nicht allein!
Das paßt zu einer anderen Beobachtung. Jüngst war der Außenbereich des örtlichen Gymnasiums (anderer Wahlkreis) mit ähnlichen Aufklebern gepflastert. Die »Juniorwahl« der großen Schule hatte vier [sic!] Stimmen für die AfD ergeben, alle persönlich bekannt. Niemand von denen (einigermaßen glaubhaft versichert) betätigte sich je als Stickerkleber. Eine Art Geheimes Deutschland scheint hier zugange zu sein. »Gewonnen« bei dieser Probe- und Anlaufwahl haben übrigens »Die Grünen«, gefolgt von »Die Linke«. Die Sozilehrer dürfen sich auf die Schulter klopfen! Steht also fest: Die Alten wählten etabliert, die junge Intelligenz (naja: die Gymnasiasten) links.
Wo soll das hinführen? Und warum wählen die Begabteren (oder auch nur die Statussichereren) im Schnitt eher nicht rechts? Der Sozial- wissenschaftler Manfred Kleine-Hartlage (Warum ich kein Linker mehr bin, Antaios-Bestseller 2012) hat sich gründlich mit dieser Frage beschäftigt. Erstens, »da der Mensch Konformist ist, will er – wenigstens durch ideologische Teil- habe – zu den seriösen Eliten gehören und schaltet zu diesem Zweck auch gerne den gesunden Menschenverstand ab.« Eine psychologische Bestechung – man will ja zu den offiziös »Guten«zählen – kommt hinzu, und die »geistige Korruption« ist in trockenen Tüchern.
Des weiteren sei Linkssein ein Distinktionsmerkmal zu »denen da unten.« Jede Putzfrau weiß, daß die Rede von Bereicherung- durch-Massenimmigration, von Genderexperimenten und Inklusion Bullshit ist. »Wie und warum schaffen die Linken es, so viele Menschen solche Dinge glauben zu lassen, von denen doch jede Putzfrau weiß, daß die Unfug sind? Nun, genau deshalb, weil jede Putzfrau das weiß! Wenn die Putzfrau nämlich sagt, daß der Regen von oben nach unten fällt, dann kann sich der, der das Gegenteil behauptet, eben dadurch als Intellektueller ausweisen.«
Relativ fest steht: Rund drei Millionen Deutsche, die dieses Jahr noch wahlberechtigt waren, werden es in vier Jahren nicht mehr sein: Im Jenseits gibt es keine Wahlscheine. Statistiken bestätigen: Die Alten wählen das Vertraute. Sie haben ihr Kreuzchen überproportional häufig bei der SPD und den Unionsparteien gemacht. Was wächst nach, wenn die Alten tot sind und die Jungen das Wahlalter erreichen? Wie sehr wächst der Verstand bis zum Abituralter?
Insofern: Sehen wir in dem Merkelschen Augenblick zwischen »Die Gieren« und »Freyburg« (ach, diese sprechenden Namen!) eine große Hoffnung glimmen. Die glutäugige Dauerkanzlerin hing übrigens eine Woche lang. Eine Woche vor dem Urnengang (noch so ein hübsches Wort) wurde das Großplakat erneuert. Eine Woche später wurde es entsorgt, vielmehr wohl: verwahrt. Alles sieht aus wie immer. Fast. Es steht dort eine Weide, leicht krüppelig geschnitten, Dilettanten waren am Werk. Sie treibt gerade, im Frühherbst, zur Unzeit, Kätzchen aus. Es ist klar, daß sie erfrieren werden, bevor sie aufblühen. Die Weide wird andermal wieder lospowern. Es ist übrigens keine Trauerweide. »Meyn Geduld hat Ursach.«