Annäherung an den Scheinriesen

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Herr Tur Tur ist eine Figur aus Micha­el Endes Büchern um Jim Knopf und Lukas, den Loko­mo­tiv­füh­rer. Herr Tur Tur lebt ein­sam in einer Wüs­te, er hat sich dort­hin zurück­ge­zo­gen, denn die Men­schen erschre­cken, wenn sie ihn sehen. Das hat nichts mit sei­nem Cha­rak­ter zu tun: Herr Tur Tur ist ein fried­li­cher, empa­thi­scher, ein­fühl­sa­mer Mann, wenn man ihn ken­nen­lernt. Nie­mals wür­de er einem Geschöpf etwas zulei­de tun.

Aber er ist ein Schein­rie­se, und das bedeu­tet: Aus der Fer­ne wirkt er wie ein Rie­se, und nur sehr sel­ten über­win­det jemand sei­ne Angst, nähert sich ihm – und stellt fest, daß die­ser Schein­rie­se ein ganz nor­ma­ler Mensch ist, wenn man neben ihm steht und mit ihm spricht. Über sei­ne selbst­ge­wähl­te Ein­sam­keit ist Herr Tur Tur recht trau­rig, denn eigent­lich ist er ein gesel­li­ger Kerl, einer, der nütz­lich sein möch­te für die Gesell­schaft. Viel­leicht (mag sich Micha­el Ende gedacht haben) wür­de alles anders, wenn ein­mal jemand die Geschich­te Tur Turs auf­schrie­be und sie denen zu lesen gäbe, die sich vom Schein trü­gen (und das heißt: abschre­cken) lassen.

Es gibt min­des­tens ein Dut­zend Bücher, die sich mit uns und unse­rem Milieu beschäf­ti­gen – man­che Autoren nähern sich nur schrift­lich an, man­che mit vor­ge­faß­ter Mei­nung, ande­re suchen uns tat­säch­lich auf, suchen das Gespräch, um viel­leicht etwas von jenen Theo­rien und den vie­len Begriffs­set­zun­gen und Bil­dern zu fin­den, mit denen aus­ge­rüs­tet nun auch im Bun­des­tag »Poli­tik für das Volk« gemacht wer­den soll. Ellen Kositza hat die­se Lite­ra­tur und ihre Autoren in einem Text ein­mal grob unterteilt:

Ѽ Es gibt die, die nichts wis­sen, nichts gele­sen haben und den­noch laut plär­ren; Hei­ko Maas (Auf­ste­hen statt weg­du­cken. Eine Stra­te­gie gegen Rechts, 2017), Ralf Ste­g­ner (mit einem Auf­satz im Sam­mel­band AfD – bekämp­fen oder igno­rie­ren ver­tre­ten, 2016) und Kon­sor­ten. Der­glei­chen ist nicht der Rede wert.

Ѽ Dann haben wir die, die sehr wenig lesen, Fund­stü­cke aus dem Inter­net zusam­men­sam­meln und dar­aus ein Alarm­tüt­chen bas­teln, das vor allem auf den Autor selbst auf­merk­sam machen soll. Lia­ne Bednarz wäre so ein Fall (Gefähr­li­che Bür­ger, 2015). Sie exis­tiert als Publi­zis­tin so, wie ein Grou­pie exis­tiert, das sei­nem Star hinterhersteigt.

Ѽ Es gibt des wei­te­ren sol­che, die in einen Aus­tausch tre­ten und auf­merk­sam zuhö­ren. Sie tun dies, um dar­aus eine Agen­da zu stri­cken, die in einem ein­zi­gen Satz sich bün­delt und dann als Essenz auf allen Kanä­len, vor allem denen der Öffent­lich-Recht­li­chen, vor­ge­tra­gen wird: »Die­se Rech­ten haben ein­fa­che Ant­wor­ten auf kom­ple­xe Fra­gen.« Pro­mi­nen­ter Ver­tre­ter: der Sozio­lo­ge Armin Nas­sehi (Die letz­te Stun­de der Wahr­heit. War­um rechts und links kei­ne Alter­na­ti­ven mehr sind, 2015).

Ѽ Es fol­gen die­je­ni­gen, die viel lesen, wenig fra­gen, ihr Welt­bild­chen schon fer­tig zusam­men­ge­zim­mert haben und sich schrei­bend nur noch um ein paar furcht­erre­gen­de Adjek­ti­ve bemü­hen müs­sen: Andre­as Speits Bür­ger­li­che Scharf­ma­cher (2016) ist nach­weis­lich ein Ver­kaufs­flop. Indes: Vor allem dem Scharf­ma­cher Speit, das sei er- innert, haben wir den Best­sel­ler­sta­tus von Rolf Peter  Sie­fer­les  Finis Ger­ma­nia zu ver­dan­ken. Leu­te wie er tre­ten zuver­läs­sig auf jede Mine, die man auslegt.

Ѽ Kom­men wir zu denen, die nichts fra­gen und kei­nen Kon­takt suchen (also auch nicht zuhö­ren möch­ten), aber dies und das lesen, viel­leicht sogar viel lesen, aber eben mit der Kan­ten­sche­re in der Hand: Es domi­niert die denun­zia­to­ri­sche Absicht, weil man die »Gefahr« der Aus­ein­an­der­set­zung wit­tert. Der stramm lin­ke Publi­zist Vol­ker Weiß (Die auto­ri­tä­re Revol­te, 2017) ging auf die­se Wei­se vor. Er wird von die­sem Buch noch lan­ge zeh­ren müs­sen, er ist sich selbst in die Fal­le gegangen.

All das sind kei­ne »Annä­he­rungs­bü­cher« (wie wir die inter­es­san­te­ren Ver­su­che bezeich­nen), son­dern Distanz­be­schrei­bun­gen, die das Schein­ba­re ent­we­der bereits zu ken­nen glau­ben und ihren Glau­ben wort­reich unter­füt­tern wol­len – oder aber um den Schein wis­sen und ihn sehr bewußt als das Wirk­li­che ver­kau­fen und noch auf­bau­schen, weil nur ein sol­cher Popanz Inter­es­sier­te davon abhal­ten könn­te, sel­ber ein­mal nach­zu­schau­en. Lia­ne Bednarz wäre dem­nach der zwang­haf­te, Speit der unge­schick­te, Weiß der wis­sen­schaft­lich ange­hauch­te und Maas der abge­ho­be­ne Ver­such, mit Fern­waf­fen das Ziel, uns, zu tref­fen. Weit gefehlt!

Zu den Annä­he­rungs­bü­chern also, aber vor­ab noch eine Bemer­kung: Die Leser sind wei­ter als die Publi­zis­ten. Sie sind ent­de­ckungs­freu­dig, wohl auch geis­tig unter­ernährt, denn der Main­stream hat sei­ne Lie­fe­run­gen ratio­niert und ver­kauft abge­nag­te Kno­chen. Der Sie­fer­le-Skan­dal (des­sen Aus­maß im Son­der­heft »Sie­fer­le lesen« unse­rer Zeit­schrift doku­men­tiert ist) hat unse­rem Ver­lag Zehn­tau­sen­de neu­er Leser beschert, kei­ne Sen­sa­ti­ons­le­ser, son­dern sol­che, die bedäch­ti­ger sind und gründ­li­cher dar­über nach­den­ken, war­um sie an Man­gel­er­schei­nun­gen lei­den, wenn sie die FAZ, den Spie­gel, ein Buch von Caro­lin Emcke oder von Navid Ker­ma­ni verdauen.

Wir ler­nen Leser ken­nen, die ein­mal kom­plett die Spei­se­kar­te hoch und wie­der run­ter bestel­len, die Emp­feh­lun­gen erwar­ten und sich nach zwei Wochen mit prä­zi­sen Fra­gen zu einer erwei­tern­den Lek­tü­re auf die­sem oder jenem Feld zurück­mel­den. Das dür­fen, müs­sen dicke Bücher sein, har­te Bret­ter, nicht das schma­le Ver­nut­zungs­wis­sen oder die Art Bestä­ti­gungs­li­te­ra­tur, deren Quint­essenz auf ein Flug­blatt paßt. Wir ver­mu­ten hal­be Heer­scha­ren von Lesern, die einen ande­ren (unse­ren!) geis­ti­gen Kon­ti­nent erkun­den wür­den, wüß­ten sie denn, daß es ihn gibt.

Und in jeder Ober­stu­fen­klas­se, in jedem Ger­ma­nis­tik­se­mi­nar und in jeder Kom­pa­nie wären min­des­tens fünf jun­ge Leu­te auf­zu­fin­den, die sofort begrif­fen, wonach sie such­ten, gin­gen sie einen Schritt wei­ter, bloß einen Schritt. Der Zugang ist immer noch recht geschickt ver­stellt. Der Schein­rie­se, der Schein­rie­se, und das ist das Beklem­men­de: Die Leser sind wei­ter als die Publi­zis­ten, aber lei­der auch abhän­gig von ihnen, weil immer noch als In- stanz gilt, wer den Zugang zu den Sen­de­zei­ten und Feuil­le­ton­spal­ten hat.

Annä­he­rungs­buch I: »Mein Kon­ser­va­tis­mus behaup­tet, dass es nicht nur sinn­voll, son­dern auch not­wen­dig ist, zwi­schen dem Eige­nen und dem Frem­den zu unter­schei­den«, schreibt da einer, und: »Ich bin ent­schie­den gegen­warts­kri­tisch, in vie­ler Hin­sicht moder­ni­sie­rungs­kri­tisch, und ich bin davon über­zeugt, dass sich das jeweils Neue gegen das Erprob­te zu recht­fer­ti­gen hat, und nicht, wie es der­zeit der Fall ist, umgekehrt.«

Es ist der ehe­ma­li­ge Feuil­le­ton­chef der Zeit, Ulrich Grei­ner, Jahr­gang 1945, der das schreibt. Hei­mat­los. Bekennt­nis­se eines Kon­ser­va­ti­ven heißt sein Buch, und wäre es nicht vor ein paar Mona­ten, son­dern vor zehn Jah­ren erschie­nen (als Grei­ner noch nicht in Ren­te war, son­dern im Herz­blatt der links­li­be­ra­len BRD Ver­ant­wor­tung trug), wür­den wir ihn begrü­ßen und für sei­ne spä­te, aber wert­vol­le Ein­sicht loben. Aber zwei Aspek­te hin­dern uns daran.

Zum einen eben die­ses viel zu Spä­te, das so sehr nach einem Rie­cher für eine nahe Ten­denz­wen­de gen rechts riecht. Was vor zehn Jah­ren noch ein kras­ser Schritt war (sei­nen Kol­le­gen öffent­lich zu zei­gen, daß man ab sofort gegen die Strö­mung zu schwim­men geden­ke), ist heu­te noch nicht ganz, aber bei­na­he schon avant­gar­dis­tisch, min­des­tens aber schon inter­es­san­ter als die hilf­lo­se Ver­wen­dung des Gesin­nungs­be­stecks von gestern.

Zum andern: »Der Kon­ser­va­tis­mus, der mir vor­schwebt, ist kein poli­ti­sches Pro­gramm, und schon gar nicht folgt er Armin Moh­lers ›kon­ser­va­ti­ver Revo­lu­ti­on‹.« Und wei­ter, über PEGIDA: »Die Medi­en haben die teil­wei­se bösen Exzes­se, die dort sicht- und hör­bar wur­den, in den Vor­der­grund gestellt, ohne gebüh­rend dar­auf auf­merk­sam zu machen, dass kei­nes­wegs alle, die sich vor­nehm­lich in Dres­den ver­sam­mel­ten, rechts- radi­kal waren.«

Es ist die­ser sor­tie­ren­de, abtren­nen­de, über­blick­an­ma­ßen­de Ton eines Dazu­sto­ßen­den, der uns nicht gefal­len kann, und mehr: der die bis zum Erbre­chen mit Vor­schuß­ver­nunft aus­ge­stat­te­ten »Gemä­ßig­ten« ver­stärkt, die Wohl­fühl- und Wohl­stands­kon­ser­va­ti­ven über 60, die Fein- und Wein­schme­cker, deren Agen­da erfüllt ist, wo man sie in ihrer kon­ser­va­ti­ven Home­zo­ne in Frie­den läßt. Die Annä­he­rung der abge­si­cher­ten Besitz­stands­wah­rer: ein neu­es Genre.

Annä­he­rungs­buch II: Der Grün­de, sich uns anzu­nä­hern, gibt es vie­le, und signi­fi­kant für die­se frü­he Pha­se der Kon­takt­auf­nah­me ist das Bemü­hen der Besu­cher, den Ein­druck ent­lang der eige­nen Kate­go­rien zu ver­ar­bei­ten. Grei­ner stieß mit sei­ner Expe­di­ti­on nicht beson­ders weit vor, und er berich­tet nun, daß es sich auch gar nicht loh­ne, mehr als beschwich­ti­gungs­kon­ser­va­ti­ves Neu­land zu betre­ten. Sein Buch ist also zugleich ein Annäh­rungs­buch und eine Grenz­zie­hung. Mit uns reden will er nicht.

Mit Rech­ten reden. Ein Leit­fa­den lau­tet hin­ge­gen der Titel eines Buches, das gera­de bei Klett-Cot­ta erschie­nen ist (neben den Büchern Ernst Jün­gers also). Die Autoren Per Leo, Maxi­mi­li­an Stein­beis und Dani­el-Pas­cal Zorn haben sich da etwas Selt­sa­mes vor­ge­nom­men. Sie reden nicht mit uns, son­dern mit unse­ren Büchern, vor allem mit unse­rem Gesprächs­band Tris­tesse Droi­te, der in zwei Auf­la­gen erschien und Kult­sta­tus errang.

Man kann also nicht recht behaup­ten, daß in die­sem neu­es­ten unter den Annäh­rungs­bü­chern bloß über uns gere­det wür­de – es ist eher ein Zu-uns-Spre­chen, eine Art Mono­log von drei­en, die auf ihrem Vor­stoß ins Herz der Fins­ter­nis Din­ge erlebt und Erfah­run­gen gemacht haben, mit denen sie nun fer­tig­wer­den müs­sen. Daß Mit Rech­ten reden an uns gerich­tet ist, bele­gen nicht nur die Häu­fig­keit unse­rer Namens­nen­nun­gen und die wech­seln­den Anre­den, unter denen »ver­ehr­te Fein­de« eines gewis­sen Spa­ga­t­char­mes nicht ent­behrt: Das Buch ist der­art voll­ge­stopft mit Anspie­lun­gen selbst auf ent­le­ge­ne Tex­te und atmo­sphä­ri­sche Schnip­sel aus unse­rem Kos­mos, daß wohl nur wir selbst in der Lage sind, das alles zu entschlüsseln.

Mit Rech­ten reden ist kei­ne wis­sen­schaft­li­che Arbeit, son­dern Lite­ra­tur. Es gibt da einen »rech­ten Infor­man­ten«, der im Kon­go war und am 30. Juni 2017 an Mala­ria ver­stirbt. Die Gesprä­che am Ster­be­bett sind eine Art poli­ti­scher Beich­te, Erzäh­lun­gen sur­rea­ler Träu­me, in denen wir (»Nur die Rech­ten müs­sen die Här­te des Geset­zes fürch­ten«) kari­kiert auf­tre­ten und in aller Unschär­fe und Absur­di­tät den­noch auf eine Art »getrof­fen« wer­den, wie das nur lite­ra­ri­sches Schrei­ben ver­mag. Daß zumal Per Leo ein guter Sti­list sei, hat Ellen Kositza in der Bespre­chung sei­nes Romans Flut und Boden bereits ver­merkt und ihn dar­über hin­aus für die Viel­schich­tig­keit und Ehr­lich­keit sei­ner his­to­ri­schen Iden­ti­täts­fin­dung gelobt. Etwas von bei­dem ist auch in Mit Rech­ten reden vor­han­den, es mag an Leos Anteil liegen.

Die­ses Buch gibt uns eini­ges zum Grü­beln auf, denn es stellt die Fra­ge, wohin wir mit unse­rer gro­ßen Erzäh­lung, unse­rem Habi­tus, unse­rem Ansatz wol­len. Leo und sei­ne Mit­au­toren mei­nen, unse­re Ant­wort auf unse­re Fra­ge gefun­den zu haben, und das meint: auf eine Fra­ge, die nur wir uns so stel­len. Sie lau­tet, war­um das, was wir erkannt zu haben glau­ben und zu unse­rer Lebens­auf­ga­be mach­ten, von so weni­gen geteilt wür­de: »Die Rech­ten sind die Min­der­heit, die sich selbst Deutsch­land nennt. Und dar­an wol­len sie um jeden Preis lei­den.« Unser Mythos sei der vom »ewi­gen, uner­lös­ten Opfer«, und dar­um kön­ne, »wer nicht mit ihnen lei­det, nur gegen sie sein. Aggres­si­ve Jam­mer­lap­pen sind sie. Weh­lei­di­ge Arsch­lö­cher. Uner­lös­te, tat­be­rei­te Opfer.«

Das ist star­ker Tobak, das ist ein Fron­tal­an­griff, und zwar ein sau­ber aus­ge­ar­bei­te­ter (was an den paar Zitat­schnip­seln von eben nicht deut­lich wird, aber wäh­rend der Lek­tü­re des voll­stän­di­gen ent­schei­den­den Kapi­tels schon). Wir mei­nen aber, daß die­ser Angriff ins Lee­re stößt. Wir sind schon wei­ter, waren viel­leicht mal dort, wo die Leo-Stein­beis-Zorn-Gra­na­ten nun ein­schla­gen, aber nur, weil die Opfer­rol­le eine mög­li­che Ver­hal­tens­leh­re war (und tat­säch­lich sind ein paar von uns in die­ser Rol­le auf­ge­gan­gen). Nein, wir sind längst weiter.

Wor­an man das sieht? Auf der Buch­mes­se zum Bei­spiel betrei­ben wir einen recht teu­ren Stand in die­sem Jahr, und weil das nicht unkom­men­tiert blei­ben kann, hat die Buch­mes­sen­lei­tung einen Aus­stel­ler schräg gegen­über davon über­zeugt, sei­nen Stand an die Ama­deu Anto­nio Stif­tung abzu­tre­ten, um uns zu »kon­fron­tie­ren«. Die­se Stif­tung, die noch nicht ein­mal ein Ver­lag ist (geschwei­ge denn, daß sie ver­le­ge­ri­schen Kal­ku­la­tio­nen fol­gen müß­te), soll den Stand geschenkt bekom­men haben. Es wäre also genü­gend Mate­ri­al bei­sam­men für eine sze­nein­ter­ne Opfer- und Trä­nen­drü­sen-Kam­pa­gne, aber so sind wir eben nicht.

Statt­des­sen ver­mu­ten wir: Es wird in Hal­le 3.1, Gang G, einen ziem­lich pein­li­chen Stand geben, an dem fünf lan­ge Mes­se­ta­ge lang kei­ne rech­te Freu­de auf­kom­men dürf­te. Unser Stand wird das nicht sein.

Wir wis­sen, daß mit die­sen Anmer­kun­gen das bis­her lite­ra­rischs­te Annäh­rungs­buch nicht aus­rei­chend gewür­digt ist. Vor allem über Rudolf Bor­chardts Fra­ge nach »dem Deut­schen« wäre zu spre­chen, aber nicht jetzt und hier. Des­we­gen: Wer uns so intim zu ken­nen meint, mag sich jenen Wap­pen­spruch zu eigen machen, der von den Pur­pur­rei­tern auf uns kam und des­sen Ver­wen­dung unser Pri­vi­leg nicht ist: meyn geduld hat ursach!

 Annä­he­rungs­buch III: Kom­men wir zu Tho­mas Wag­ner, die­sem Publi­zis­ten aus dem Umfeld der Jun­gen Welt, der sich selbst als links ver­steht, un- glaub­lich viel gele­sen und für sein Buch Die Angst­ma­cher. 1968 und die Neu­en Rech­ten mit sehr vie­len Leu­ten gespro­chen hat. Mar­tin Sell­ner, Frank Böckel­mann, Bene­dikt Kai­ser, Alain de Benoist, Hen­ning Eich­berg und uns. Alle hat er auf­ge­sucht, gut vor­be­rei­tet und mit Fra­gen ent­lang einer Sor­ge, die ihn umtreibt und die er sich auch mit sei­nem Buch nicht neh­men konn­te: Ver­liert die Lin­ke nicht nur Ter­rain, son­dern gleich gan­ze The­men­fel­der an eine Neue Rech­te, die mit den Metho­den der 68er tief ins Fleisch jener neo­li­be­ra­len Beu­te ein­schnei­det, die man Dis­kurs­ho­heit nennt?

Wag­ners Buch ist das bis­her lehr­reichs­te, auch für uns. Wir sau­gen Nek­tar dar­aus, unser Biblio­theks­exem­plar ist vol­ler Anstrei­chun­gen, und bis in kon­zep­tio­nel­le Gesprä­che hin­ein ver­wen­den wir es als Stein­bruch. Viel­leicht muß immer einer von außen kom­men und das ihm Frem­de ord­nen, damit man selbst das längst Selbst­ver­ständ­li­che in ande­rer Struk­tur noch ein­mal neu ken­nen­lernt – und dar­über begreift, wo man nicht wei­ter­bau­te, obwohl es sich gera­de dort loh­nen könnte.

Wag­ner hat begrif­fen, daß wir der­zeit jede Schlacht gewin­nen, und daß ein hilf­lo­ses Estab­lish­ment ver­sucht, die Aus­ein­an­der­set­zun­gen von heu­te mit den Keu­len von ges­tern zu ent­schei­den: mit Unter­stel­lun­gen, Ver­leum­dun­gen, Dif­fa­mie­run­gen, mit Dis­kurs­ver­wei­ge­rung oder eben damit, daß ein kraft­strot­zen­der Ver­lag auf der Buch­mes­se mit einer Denun­zia­ti­ons- und Selbst­be­die­nungs­stif­tung kon­fron­tiert wird. Der Begriff der »offe­nen Gesell­schaft« ist dadurch zu einem Syn­onym für »Abschlie­ßung« gewor­den – und, möch­te man ergän­zen, zu einem für »irrele­van­te Pro­jek­te«. Die Neue Rech­te und ihr poli­ti­scher Arm hin­ge­gen ken­nen die gefähr­li­che Satt­heit nahe der Irrele­vanz noch längst nicht. Sie sind eine intel­li­gen­te Her­aus­for­de­rung, und sie haben begon­nen, im lin­ken Revier zu wildern.

»Was nun?« möch­te man in die Annä­he­rungs­grä­ben rufen. Skyl­la oder Cha­ryb­dis? Den Schein­rie­sen her­aus­stel­len, weil man nicht möch­te, daß die Angst vor ihm schwin­det? Oder ihm nahe kom­men, zu nahe tre­ten, ihn ent­zau­bern dadurch, zu dem Preis, daß noch viel mehr Leser, Leu­te, Wäh­ler bemer­ken, was für ein net­ter Kerl in die­sem Neu­land wohnt? Die­ser Weg – wird kein leich­ter sein.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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